Tz. 13

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 FGO) ist ein Verfahrensgrundsatz, dessen Missachtung einen Verfahrensfehler begründet und der, wenn das Urteil auf ihr beruht (s. § 118 FGO Rz. 12), d. h. ohne den Mangel möglicherweise anders ausgefallen wäre, zur Aufhebung des Urteils führt. Ein Verfahrensfehler liegt immer vor, wenn das Gericht eine gebotene Beweisaufnahme unterlässt. Dies gilt u. a. dann, wenn das FG auf die Vernehmung eines geladenen Zeugen, ohne gegenüber den Beteiligten zu erkennen zu geben, auf welchen Erwägungen der Verzicht beruht (BFH v. 12.06.2012, V B 128/11, BFH/NV 2012, 1804). Das Gericht verletzt diesen Grundsatz auch dann, wenn es die Beweiswürdigung vorwegnimmt (z. B. BFH v. 23.12.2002, III B 77/02, BFH/NV 2003, 502; BFH v. 29.06.2011, X B 242/10, BFH/NV 2011, 1715; eingehend Seer in Tipke/Kruse, § 81 FGO Rz. 38 ff.); dies ist z. B. der Fall, wenn das FG eine Beweiserhebung mit der Begründung unterlässt oder ablehnt, ihr zu erwartendes Ergebnis könne die Überzeugung des Gerichts nicht ändern (z. B. BFH v. 24.09.2013, XI B 75/12, BFH/NV 2014, 164). Ein Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung liegt aber dann nicht vor, wenn kein ordnungsgemäßer Beweisantrag (vgl. z. B. § 82 FGO i. V. m. § 373 FGO für den Zeugenbeweis; s. § 82 FGO Rz. 6a) gestellt wurde (BFH v. 22.11.2013, X B 35/13, juris).

 

Tz. 14

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Allerdings können die Beteiligten auf dessen Einhaltung– ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge bzw. rügeloses Verhandeln – verzichten (§ 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 295 ZPO; BFH v. 20.08.2010, IX B 41/10, BFH/NV 2010, 2239; BFH v. 11.01.2011, I B 87/10, BFH/NV 2011, 836; vgl. auch z. B. Ratschow in Gräber, § 115 FGO Rz. 103); eine unterlassene rechtzeitige Rüge hat den endgültigen Rügeverlust zur Folge (st. Rspr., vgl. z. B. BFH v. 01.03.2013, IX B 48/12, BFH/NV 2013, 1238). Stützt daher das FG seine Entscheidung z. B. auf von den Beteiligten als Beweismittel vorgelegte Protokolle eines AG über die Vernehmung von Zeugen in einem gegen den Stpfl. geführten Strafverfahren (s. Rz. 9) und hat der Stpfl. in der mündlichen Verhandlung vor dem FG ein Unterlassen der Zeugenvernehmung nicht gerügt, obwohl im dies möglich gewesen wäre, liegt kein Verfahrensfehler eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vor (BFH v. 19.05.2009, VI B 8/08, BFH/NV 2009, 1454). Verzichtet ein Verfahrensbeteiligter auf die Vernehmung eines erkrankten Zeugen, dessen schriftliche Zeugenaussage in der mündlichen Verhandlung verlesen wird, ist er im NZB-Verfahren mit der Rüge ausgeschlossen, das Gericht habe gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen (BFH v. 12.01.2016, VII B 111/15, BFH/NV 2016, 579). Von einem Verzicht auf die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist z. B. dann auszugehen, wenn die Beteiligten im Rahmen eines Erörterungstermins erklären, dass die Beweisaufnahme durch den Berichterstatter erfolgen soll (BFH v. 08.07.2009, XI R 64/07, BStBl II 2010, 4).

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