Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der Tatbestand (§ 105 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 FGO), der zumindest inhaltlich von den Entscheidungsgründen getrennt werden muss, hat in sich verständlich zu sein und in knapper (nicht verknappter) Darstellung ein klares, vollständiges und in sich abgeschlossenes Bild des Streitstoffs (der Entscheidungsgrundlage) unter Hervorhebung der Anträge der Beteiligten zu enthalten (BFH v. 05.09.1989, VII R 61/87, BStBl II 1989, 979; BFH v. 24.07.1996, X R 45/94, BFH/NV 1997, 295). Er muss in sich geordnet sein, sei es unter dem Gesichtspunkt der zeitlichen Abfolge (einschließlich der "Prozessgeschichte"), sei es in logischer Folge (so BFH v. 05.09.1989, VII R 61/87, BStBl II 1989, 979). Sowohl Beweiserhebungen wie auch die Beiziehung von Akten, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind, müssen sich aus ihm ergeben. Das wesentliche Vorbringen der Beteiligten zu ihren Anträgen ist in straffer Form wiederzugeben. Auch die von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge sind in den Tatbestand aufzunehmen. Mit ihm bestimmen die Beteiligten den Entscheidungsrahmen des Gerichts (BFH v. 12.01.2012, II S 9/11, BFH/NV 2012, 709). Denn aus dem Tatbestand müssen die Beteiligten entnehmen können, wie weit ihr Vorbringen – insbes. tatsächlicher Art – vom Gericht zur Kenntnis genommen wurde. Außerdem dient der Tatbestand dazu, den Umfang der für das Revisionsverfahren bindenden Tatsachenfeststellungen festzulegen. Daher dürfen Bezugnahmen die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nicht ersetzen (BFH v. 14.01.2010, IV R 13/06, BFH/NV 2010, 1483). Für das mündliche Vorbringen der Beteiligten kommt dem Tatbestand Beweisfunktion zu; der Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden (§ 155 FGO i. V. m. § 314 ZPO).

 

Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Bezugnahme auf Schriftstücke (Schriftsätze, Protokolle, sonstige Unterlagen) ist nach § 105 Abs. 3 Satz 2 FGO nur wegen der "Einzelheiten" möglich, wenn sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Verweisungen dieser Art dürfen nur ergänzenden Charakter haben; entscheidungserhebliche Feststellungen können nicht durch sie ersetzt werden (BFH v. 21.01.1981, I R 153/77, BStBl II 1981, 517; BFH v. 19.10.2011, XI R 40/09, BFH/NV 2012, 798) und schon gar nicht durch eine pauschale Bezugnahme auf die Prozessakten und die Beiakten (BFH v. 21.05.1992, V R 41/87, BFH/NV 1993, 282). Die jeweilige Bezugnahme muss präzise erfolgen; die Wendung "im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die von der Behörde vorgelegten Akten Bezug genommen" ist zwar üblich, aber ebenso ungeeignet, diese zum Bestandteil des Tatbestands zu machen, wie die lapidare Mitteilung, "dem Gericht haben die Steuerakten des FA vorgelegen". Fehlt der Tatbestand gänzlich oder gibt der Tatbestand eines angefochtenen Urteils einschließlich der (ordnungsgemäß) in Bezug genommenen Schriftstücke den zum Verständnis des Urteils erforderlichen Sach- und Streitstand nicht hinreichend wieder, so ist das Urteil, weil es keine Grundlage für seine sachliche Nachprüfung bildet, von Amts wegen im Revisionsverfahren aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (BFH v. 23.04.1998, IV R 30/97, BStBl II 1998, 626; BFH v. 11.05.2015, XI B 29/15, BFH/NV 2015, 1257).

 

Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Absehen kann das Gericht von einer (weiteren) Darstellung des Tatbestands nur in einem auf Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid ergehenden Urteil nach Maßgabe des § 90a Abs. 4 FGO; § 105 Abs. 5 FGO erfasst nur die Entscheidungsgründe. Nicht erforderlich ist, dass das Gericht bereits vor der mündlichen Verhandlung einen Tatbestand gefertigt hat und dieser in der mündlichen Verhandlung verlesen bzw. vorgetragen wird (BFH v. 02.06.2010, V B 139/08, BFH/NV 2010, 2085).

Zur Tatbestandsberichtigung s. § 108 FGO. Zur grundsätzlichen Bindung des BFH an den festgestellten Tatbestand s. § 118 Abs. 2 FGO.

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