Tz. 64

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 174 Abs. 4 AO dient der materiellen Rechtmäßigkeit. Folglich steht trotz des Wortlauts "kann" die Folgeänderung nicht im Ermessen des FA (BFH v. 14.03.2012, XI R 2/10, BStBl II 2012, 653; auch s. Rz. 52; Rüsken in Klein, § 174 AO Rz. 63). Bei Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheids sind daher aus dem zugrundeliegenden Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines weiteren Bescheids die richtigen steuerlichen Konsequenzen zu ziehen. Die Folgeänderungen können in einem oder mehreren anderen Bescheiden getroffen werden. Diese müssen nicht dieselbe Steuerart, denselben Veranlagungszeitraum oder denselben Stpfl. (§ 174 Abs. 5 AO, s. Rz. 72 ff.; BFH v. 30.08.2007, IV R 50/05, BStBl II 2008, 129) betreffen. § 174 Abs. 4 AO ermöglicht hingegen nicht die nochmalige Korrektur des Steuerbescheids, der die Änderung nach § 174 Abs. 4 AO erst ermöglicht hat (BFH v. 08.07.1992, XI R 54/89, BStBl II 1992, 867; ebenso von Wedelstädt, DB 2000, 113; Koenig in Koenig, § 174 AO Rz. 69; Frotscher in Schwarz, § 174 AO Rz. 145; Rüsken in Klein, § 174 AO Rz. 51; von Groll in HHSP, § 174 AO Rz. 257; a.A. BFH v. 08.06.2000, IV R 65/99, BStBl II 2001, 89; BFH v. 11.03.2002, IX B 116/01, BFH/NV 2002, 895; dazu auch von Wedelstädt in Gosch, § 174 AO Rz. 105.1 ff.).

 

Tz. 65

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 174 AO enthält kein Verböserungsverbot, sodass die Gesamtheit der steuerlichen Auswirkungen aus der Entlastung im Ausgangsverfahren und der Belastung im Folgeverfahren insgesamt auch zu einer steuerlichen Mehrbelastung des Stpfl. führen können. Das Verböserungsverbot des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO steht einer Änderung nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO nicht entgegen, da es sich bei dieser Änderung nicht um eine Entscheidung im Rechtsbehelfsverfahren, sondern um eine eigenständige Änderung handelt (BFH v. 19.05.2005, IV R 17/02, BStBl II 2005, 637; BFH v. 18.02.2016, V R 53/14, BFH/NV 2016, 869; von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 1241). Die Folgeänderung kann sich aber auch zugunsten des Stpfl. auswirken (von Wedelstädt in Gosch, § 174 AO Rz. 113 m. w. N.; a. A. BFH v. 14.11.2012, I R 53/11, BFH/NV 2013, 690). Auch s. Rz. 88.

 

Tz. 66

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die richtigen steuerlichen Folgerungen i. S. des § 174 Abs. 4 AO müssen aus der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts erfolgen, wegen dessen neuer Beurteilung die Ausgangsänderung erfolgte. Ergibt sich die richtige steuerliche Beurteilung nicht aus diesem bestimmten Sachverhalt, liegt kein Fall des § 174 Abs. 4 AO vor (von Wedelstädt in Gosch, § 174 AO Rz. 108.1 mit Bsp.). Die Folgeänderung setzt voraus, dass sich die richtigen steuerlichen Folgerungen zwingend aus der Beurteilung des Sachverhalts im Ausgangsänderungsverfahren ergeben (BFH v. 03.08.1988, I R 115/84, BFH/NV 1989, 482; von Wedelstädt in Gosch, AO/FGO, § 174 AO Rz. 108). Die Korrektur der irrigen Beurteilung des Sachverhalts im ersten Bescheid muss also zwangsläufig – aufgrund der wechselseitigen materiell-rechtlichen Abhängigkeit – die Rechtswidrigkeit der anderen Steuerfestsetzung aufzeigen, weil hier zunächst aus demselben Sachverhalt ebenfalls unrichtige steuerliche Folgerungen gezogen worden sind. Die Behandlung des Sachverhalts im Ausgangsänderungsverfahren muss also zwingend Auswirkungen auf den nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO zu ändernden Steuerbescheid haben (von Wedelstädt in Gosch, AO/FGO, § 174 AO, Rz. 108).Von der Befugnis zur Folgeänderung nach § 174 Abs. 4 AO sind grundsätzlich nur unmittelbare Folgerungen aus der materiell-rechtlichen Wertung des bestimmten Sachverhalts erfasst (gl. A. von Wedelstädt in Gosch, § 174 AO Rz. 108; Loose in Tipke/Kruse, § 174 AO Rz. 48). Ausreichend sind aber auch mittelbare, aber bilanzrechtlich zwingende Folgerungen, die sich aus der irrigen Beurteilung des Sachverhaltes ergaben (BFH v. 27.02.1997, IV R 38/96, BFH/NV 1997, 388).

 

Tz. 67

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 174 Abs. 4 AO ermöglicht, dass "aus dem Sachverhalt" Folgerungen durch Änderung des Bescheids gezogen werden können, nicht aber aus den steuerrechtlichen Folgen dieses Sachverhaltes (BFH v. 15.03.1994, XI R 45/93, BStBl II, 1994, 600; von Wedelstädt in Gosch, § 174 AO Rz. 101).

 

Tz. 68

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

 

Beispiel:

Aus der Verringerung des GewSt-Messbetrages lässt sich keine Korrektur der GewSt-Rückstellung ableiten; die kurzfristige Kreditierung führt zu keiner anderen steuerlichen Beurteilung im Rahmen der ESt.

 

Tz. 69

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Bei Erlass des Folgeänderungsbescheids ist das FA nicht an die bei der Ausgangsänderung vertretene rechtliche Beurteilung gebunden (BFH v. 02.05.2001, VIII R 44/00, BStBl II 2001, 562). Welches die "richtigen steuerlichen Folgen" sind, bestimmt sich im Zeitpunkt der Folgeänderung. Zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung ist grds. zu berücksichtigen. § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO greift für die Folgeänderung jedenfalls dann nicht ein, wenn aufgrund der Rechtsprechungsänderung die Aufhebung des...

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