Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Wie schon die Überschrift der Vorschrift ("Prozesszinsen") deutlich macht, muss es sich – mit Ausnahme der aus Unionsrecht folgenden Zinsansprüche – um Beträge handeln, hinsichtlich deren beim FG eine Klage anhängig gemacht worden ist. Ohne Rechtshängigkeit im finanzgerichtlichen Verfahren (§ 66 FGO) fallen keine Prozesszinsen an. Für Beträge, die durch ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren erstritten werden, ist keine Verzinsung vorgesehen. Hier können jedoch Zinsen nach § 233a AO anfallen. Dabei muss das Klageverfahren kausal für die Herabsetzung der Steuer sein; daran fehlt es, wenn der angefochtene Bescheid nach Änderung eines nicht angefochtenen Grundlagenbescheids oder erst nach Beendigung der Rechtshängigkeit aufgrund eines Vorläufigkeitsvermerks oder eines anderweitig anhängigen Musterverfahrens geändert wird (BFH v. 15.10.2003 X R 48/01, BStBl II 2004, 169; v. 29.08.2012, II R 49/11, BStBl II 2013, 104; v. 18.09.2012, II R 9/09, BStBl II 2013, 149).

1. Gerichtliche Entscheidung

 

Tz. 8

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO ist Voraussetzung, dass durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung (Vollaufhebung einer Festsetzung gem. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO bzw. niedrigere Festsetzung gem. § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO) eine Steuer herabgesetzt wird oder die Herabsetzung aufgrund einer solchen Entscheidung erfolgt (Teilaufhebung gem. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO, die einen geänderten Verwaltungsakt der Behörde bedingt; Entscheidung nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO, die ebenfalls den Erlass eines anderen Verwaltungsakts durch die Behörde erfordert). Es reicht nicht aus, wenn die Herabsetzung nur mittelbare Folge der gerichtlichen Entscheidung ist (BFH v. 16.12.1987, I R 350/83, BStBl II 1988, 600), wie z. B. bei Musterprozessen oder Änderungen außerhalb der streitbefangenen Zeiträume (BFH v. 29.08.2012, II R 49/11, BStBl II 2013, 104; BFH v. 18.09.2012, VIII R 9/09, BStBl II 2013, 149). Allerdings ist in Ausnahmefällen möglich, dass eine Herabsetzung auch ohne formalrechtliche Verknüpfung aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung erfolgt, wenn der gerichtliche Rechtsstreit erforderlich ist und die Herabsetzung zwangsläufige Voraussetzung für die wirtschaftlich begehrte Steuerminderung ist – auch wenn diese durch gesonderte Festsetzung erfolgt. Erforderlich ist aber stets eine insoweit bestehende verfahrensrechtliche Verknüpfung von Entscheidung und Herabsetzung (BFH v. 05.04.2006, I R 80/04, BFH/NV 2006, 1435 m. w. N.). Daran fehlt es, wenn nur die Auszahlung bereits festgesetzter Beträge im Wege der Zahlungsklage (allg. Leistungsklage) erstritten wird. Hier fehlt es an der nach dem Gesetzeswortlaut erforderlichen Veränderung der Steuer- oder Steuervergütungsfestsetzung (BFH v. 06.05.2008, VII R 10/07, BFH/NV 2008, 1714). Auch eine bloße Aufhebung der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Sachentscheidung (§ 100 Abs. 3 FGO) löst keine Zinspflicht aus. Diese Grundsätze gelten entsprechend für Entscheidungen bezüglich Steuervergütungen. Spricht das Gericht die Verpflichtung aus, über einen Vergütungsantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, reicht dies für die Entstehung des Zinsanspruchs aus, wenn das FA die Vergütung gewährt. Auch eine (deklaratorische) Aufhebung eines unwirksamen Bescheids oder einer erfolgreichen Nichtigkeitsfeststellungsklage löst die Zinspflicht für Prozesszinsen aus, da dem Stpfl. auch insoweit entstandene Nachteile auszugleichen sind (BFH v. 16.05.2013, II R 20/11, BStBl II 2013, 1655).

2. Anderweitige Erledigung

 

Tz. 9

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 236 Abs. 2 AO ordnet die entsprechende Anwendung des § 236 Abs. 1 AO an, wenn die in § 236 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AO bezeichneten Voraussetzungen vorliegen, die sich ihrem Wesen nach und im Ergebnis nicht von den Fällen unterscheiden, in denen die Änderung unmittelbar durch die Gerichtsentscheidung veranlasst ist. Die Entscheidung muss kausal für die Herabsetzung der Steuer oder die Gewährung der Steuervergütung sein (BFH v. 15.10.2003, X R 48/01, BStBl 2004, 169).

Nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO treten die Zinsfolgen des § 236 Abs. 1 AO auch dann ein, wenn sich der Rechtsstreit dadurch erledigt, dass die Finanzbehörde dem Klagebegehren durch Erlass eines Aufhebungs- oder Änderungsbescheids entspricht. Der Anspruch auf Prozesszinsen entsteht, sobald der Rechtsstreit infolge der übereinstimmenden Erledigungserklärungen beendet ist (BFH v. 25.01.2007, III R 85/06, BStBl II 2007, 598). Davon zu unterscheiden ist der Zinslauf, wenn z. B. Steuervergütungen zuvor aufgrund eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ausgezahlt wurden. Vom Wortlaut nicht angesprochen ist der Erlass eines Teilabhilfebescheids, der über § 68 FGO automatisch mit dem Ziel zum Gegenstand des Gerichtsverfahrens gemacht wird, einen weitergehenden Erfolg der Klage zu erreichen. In diesem Fall wird eine Erledigung der Hauptsache i. S. des § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO auch dann anzunehmen sein, wenn der Rechtsstreit nur noch hinsic...

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