Tz. 18

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Solange der Vorbehalt der Nachprüfung wirksam ist, eröffnet er die jederzeitige Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids und der ihm gleichgestellten Bescheide. Dies bedarf keiner weiteren Rechtsgrundlage. Denn der gesamte Steuerfall bleibt "offen" und kann – abgesehen von der Einschränkung des § 176 AO – in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht überprüft werden. Erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist verliert der Vorbehalt der Nachprüfung seine Wirkung (BFH v. 09.02.2011, IV R 15/08, BStBl II 2011, 764 m. w. N.). Der Steuerbescheid kann – auch in Gestalt einer Einspruchsentscheidung – bei Fortbestehen des Vorbehalts auch mehrmals geändert werden (BFH v. 03.04.1997, X B 124/96, BFH/NV 1997, 661; Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 40), und zwar auch dann, wenn von der in der Einspruchsentscheidung zugrunde gelegten Rechtsentscheidung abgewichen wird (BFH v. 05.06.2003, III R 26/00, BFH/NV 2003, 1529) oder wenn nach § 364b Abs. 2 Satz 1 AO präkludierte Tatsachen nunmehr berücksichtigt werden sollen (Birkenfeld in HHSp, § 364b AO Rz. 161; von Wedelstädt, DB 1996, 113, 114; von Wedelstädt, StuW 1996, 186, 189). Dem steht der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen (s. Rz. 21; s. § 4 AO Rz. 75).

 

Tz. 18a

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Das FA ist nicht gehindert, zulasten des Stpfl. auch solche Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen, die auch schon beim Erlass des Vorbehaltsbescheids bekannt oder erkennbar waren (BFH v. 21.03.2002, III R 30/99, BStBl II 2002, 547). Entgegen dem Wortlaut des § 164 Abs. 2 Satz 1 AO besteht kein Ermessen der Finanzbehörde, wenn der Steuerbescheid rechtswidrig ist, da der Ermessenspielraum durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO) auf "Null" reduziert ist.

 

Tz. 19

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der Steuerbescheid oder ihm gleichgestellte Bescheide können auch bei unzulässigem Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben oder geändert werden, wenn also das FA den Vorbehalt trotz abschließender Prüfung zu Unrecht verfügt (BFH v. 16.09.2004, X R 22/01, BFH/NV 2005, 322 m. w. N.) oder aufrechterhalten hat oder ihn nach § 164 Abs. 3 Satz 3 AO hätte aufheben müssen. Dies gilt auch, wenn dem Stpfl. eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO erteilt worden ist, denn diese Mitteilung ist kein Verwaltungsakt, der eine allgemeine Änderungssperre auslöst (BFH v. 09.11.2006, V R 43/04, BStBl II 2007, 344 m. w. N.; auch s. Rz. 28). Dem steht der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen (BFH v. 14.09.1993, VIII R 9/93, BStBl II 1995, 2). Die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO greift im Rahmen des § 164 Abs. 2 AO nicht, da sie nur für Änderungen nach § 173 AO, nicht jedoch für Änderungen nach anderen Vorschriften gilt (BFH v. 21.07.1999, V B 27/99, BFH/NV 2000, 6 m. w. N.). Deshalb muss der Stpfl. in derartigen Fällen die Aufhebung des Vorbehalts beantragen, um spätere Änderungen nach § 164 Abs. 2 AO zu seinen Ungunsten zu verhindern.

 

Tz. 20

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung ist uneingeschränkt zugunsten wie zuungunsten des Stpfl. zulässig. Es ist gleichgültig, ob dies aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen erfolgt (BFH v. 10.06.1999, IV R 69/98, BStBl II 1999, 691 m. w. N.) oder ob diese dem FA zum Zeitpunkt des Erlasses der Vorbehaltsfestsetzung schon bekannt waren oder nicht (BFH v. 05.06.2003, III R 26/00, BFH/NV 2003, 1529 m. w. N.). Das FA ist dabei an seine im Vorbehaltsbescheid vertretene Sachverhaltswürdigung oder Rechtsauffassung nicht gebunden (BFH v. 02.10.1984, VIII R 20/84, BStBl II 1985, 428; BFH v. 28.08.2002, V B 71/02, BFH/NV 2003, 4), und zwar auch dann nicht, wenn es auf Einspruch einen Änderungsbescheid zugunsten des Stpfl. erlassen hat, in dem der Vorbehalt der Nachprüfung aufrechterhalten worden ist (BFH v. 05.06.2003, III R 26/00, BFH/NV 2003, 1529 m. w. N.). Es kann auch eine unter Vorbehalt der Nachprüfung durchgeführte gesonderte Feststellung aufheben, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen (BFH v. 10.06.1999, IV R 69/98, BStBl II 1999, 691 m. w. N.). Ein mit dem Einspruch angefochtener unter Vorbehalt der Nachprüfung stehender Steuerbescheid kann im Rahmen des Einspruchsverfahrens zuungunsten des Stpfl. ohne Verböserungshinweis nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO geändert werden (u. a. BFH v. 22.03.2006, XI R 24/05, BStBl II 2006, 576 m. w. N.; s. § 367 AO Rz. 19), es sei denn, eine Änderung des angefochtenen Steuerbescheids während des Einspruchsverfahrens ist nur deshalb möglich, weil durch den Einspruch die Festsetzungsfrist in ihrem Ablauf gehemmt ist (§ 171 Abs. 3a AO); in diesem Fall gilt § 367 Abs. 2 Satz 2 AO entsprechend, denn durch die Rücknahme des Einspruchs würde diese Ablaufhemmung enden und damit die Änderungsmöglichkeit wegen Wegfalls des Vorbehalts der Nachprüfung (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO) entfallen (BFH v. 25.02.2009, IX R 24/08, BStBl II 2009, 587; BFH v. 22.12.2010, I R 86/09, BFH/NV 20...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge