Tz. 33

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt grundsätzlich einen darauf gerichteten Antrag des Betroffenen voraus. § 110 Abs. 2 Satz 1 AO setzt für den Antrag eine Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses. Dies bedeutet gegenüber der entsprechenden Regelung in der FGO (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO: zwei Wochen) eine Ausdehnung zugunsten der Betroffenen. Die Antragsfrist beginnt mit dem Wegfall des die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründeten Hindernisses. Entsprechend § 108 Abs. 1 AO i. V. m. § 187 Abs. 1 BGB wird dabei der Tag, an dem das Hindernis weggefallen ist, nicht mitgerechnet.

Der Tag, an dem das Hindernis wegfällt, ist nicht immer einfach zu bestimmen. Die Art und Weise der entschuldbaren Verhinderung bewirkt häufig, dass der Betroffene zunächst keine Kenntnis von der Fristversäumnis erhält (z. B. bei Poststörungen, Falschadressierung durch Angestellte). Die Antragsfrist beginnt in solchen Fällen nicht, bevor der Betroffene von der Versäumung der Frist Kenntnis erlangt oder ihm hinsichtlich des rechtzeitigen Einganges seines Schreibens begründete Zweifel hätten kommen müssen; auf den Zeitpunkt, in dem völlige Klarheit über die Versäumung der Frist besteht, kommt es nicht an. Hatte der Betroffene unverschuldet von dem ordnungsgemäß bekannt gegebenen Verwaltungsakt keine Kenntnis erlangt, beginnt die Wiedereinsetzungsfrist in dem Zeitpunkt, in dem sich der Betroffene oder sein Vertreter, nachdem ihnen Zweifel an der Wahrung der Rechtsbehelfsfrist kamen oder hätten kommen müssen, bei äußerster Beschleunigung den Verwaltungsakt beschaffen konnten oder hätten beschaffen können. Im Zweifel wird man auf eine schlüssige und glaubhafte Darstellung vertrauen müssen, um dem Rechtsschutzgedanken der Wiedereinsetzung Rechnung zu tragen.

 

Tz. 34

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Monatsfrist kann als gesetzliche Frist nicht verlängert werden; allerdings auch die Frist für die Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 Abs. 1 AO wiedereinsetzungsfähig (Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzung).

 

Tz. 35

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Aus der Tatsache, dass für den Antrag (und die Nachholung der versäumten Handlung) eine Frist von einem Monat gewährt wird, ist nicht zu schließen, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch gewährt werden kann, wenn das "Hindernis" für die Fristwahrung in einem Zeitpunkt wegfällt, der weniger als einen Monat vor dem Fristablauf liegt. Denn der gesetzlichen Konzeption lässt sich nicht entnehmen, dass dem Betroffenen mindestens ein Zeitraum von einem Monat für seine Entscheidung, ob er die befristete Handlung vornehmen will, zur Verfügung stehen soll, wenn er vorübergehend ohne Verschulden an der Fristwahrung verhindert war. Vielmehr ist eine unvorhersehbare, aber nur zeitweilige Verhinderung kein Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei, wenn ihr Ende noch in den Lauf der Frist fällt, die Fristwahrung zu diesem Zeitpunkt noch möglich ist und der Beteiligte bei der verbleibenden Zeitspanne damit rechnen darf, dass die fristgebundene Handlung (z. B. Rechtsbehelfsschrift) den Empfänger noch rechtzeitig erreicht. Allerdings muss dem Betroffenen nach dem Wegfall des Hindernisses noch eine ausreichende Überlegungsfrist verbleiben; diese muss nicht insgesamt die Monatsfrist erreichen (BFH v. 11.12.1986, IV R 184/84, BStBl II 1987, 303; BFH v. 21.05.1999, IX B 60/99, BFH/NV 1999, 1313).

 

Tz. 36

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der Wiedereinsetzungsantrag bedarf keiner Form. Dies gilt auch dann, wenn die versäumte Handlung selbst formgebunden ist, sofern es sich nicht um einen Antrag nach § 56 FGO handelt (s. § 155 FGO i. V. m. § 236 Abs. 1 ZPO). Unabhängig von der innerhalb der Antragsfrist erforderlichen formgerechten Nachholung der versäumten Handlung kann somit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schriftlich, zur Niederschrift oder mündlich (auch telefonisch) beantragt werden. Dabei muss der Antrag nicht ausdrücklich als Wiedereinsetzungsantrag bezeichnet werden; es reicht aus, wenn der Finanzbehörde aus dem objektiven Inhalt der Erklärung deutlich wird, dass der Betroffene Wiedereinsetzung begehrt. Dabei sind unklare Anträge im Zweifel rechtsschutzerhaltend auszulegen (BFH v. 09.12.2009, II R 52/07, BFH/NV 2010, 824). Zum Inhalt des Antrags gehören nicht nur die Angabe der versäumten Frist und das Begehren, die Wirkungen der Fristversäumnis zu beseitigen, sondern auch die Bezeichnung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigenden Umstände (st. Rspr. s. statt aller BFH v. 09.07.1992, IV R 102/91, BFH/NV 1993, 37; BFH v. 02.03.1994, I R 134/93, I S 18/93, BFH/NV 1995, 121; BFH v. 17.10.2003, II B 109/02, BFH/NV 2004, 156), sofern sie nicht amtsbekannt (BFH v. 26.11.1976, III R 125/74, BStBl II 1977, 246) oder offenkundig (BFH v. 15.12.1977, VI R 179/75, BStBl II 1978, 240) sind. Erforderlich ist, dass sich aus der Begründung die wesentlichen Umstände ergeben, aus den s...

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