Tz. 14

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen. Die Bindung an das Klagebegehren gehört als wesentlicher Verfahrensgrundsatz zur Grundordnung des Verfahrens (BFH v. 20.11.2003, X B 65/03, BFH/NV 2004, 362; BFH v. 13.07.2009, IX B 33/09, BFH/NV 2009, 1821). Es darf dem Kläger in der Sache also nicht mehr zusprechen, als seinem Prozessziel (= Klagebegehren) entspricht. Das Gericht ist danach in seiner Entscheidung trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht völlig frei. Vielmehr bestimmt ausschließlich der Kläger das Streitprogramm (Dispositionsmaxime; s. BFH v. 22.09.1999, VII B 210/99, BFH/NV 2000, 166). Um dieses Streitprogramm bestimmen zu können, muss das Klagebegehren eindeutig bestimmt werden (BFH v. 02.05.2008, X B 237/07, n. v.). Dafür kommt der Antrag des Klägers in Betracht, den die Klageschrift enthalten soll (§ 65 FGO). Maßgebend ist indes der zuletzt in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag (BFH v. 09.04.2013, IX B 16/13, BFH/NV 2013, 1114). In der Praxis ist jedoch der Klageantrag oftmals unpräzise, wenn nicht gar unbrauchbar. In diesen Fällen ist das Klagebegehren durch Auslegung des gesamten Vorbringens zu ermitteln. Korrespondierend bestimmt § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO dazu, dass das Gericht an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist. Dies verpflichtet das Gericht zugleich, auf eine sachdienliche Antragstellung hinzuwirken. Dabei ist aber das zuvor gefundene Ergebnis der Auslegung des Klagebegehrens zu beachten. Würdigt das Gericht das Klagebegehren falsch und unterschreitet es in seiner Entscheidung deshalb das vom Kläger vorgegebene Streitprogramm, indem es nur über einen Teil des Klagebegehrens entscheidet, führt dies zu einem Verfahrensfehler und zur Aufhebung der Entscheidung (BFH v. 18.08.2005, II R 68/03, BFH/NV 2006, 360; BFH v. 19.02.2009, II R 49/07, BStBl II 2009, 932; BFH v. 11.04.2017, IX R 50/15, BFH/NV 2017, 1300). Gleiches gilt, wenn das Gericht über einen entgegen dem Wortlaut ausgelegten Antrag entscheidet (BFH v. 20.11.2003, X B 65/03, BFH/NV 2004, 362).

Ist der Verwaltungsakt unwirksam oder nichtig, muss das Gericht diesen ungeachtet des Antrags aufheben, da bei einer Bindung an das Klagebegehren eine rechtstaatliche Entscheidung nicht möglich wäre, sog. Entscheidungsnotstand (BFH v. 19.06.2001, X B 18/01, BFH/NV 2001, 1582). Es muss sich aber um einen schwerwiegenden Verstoß handeln, bei dem ein Aufrechterhalten der Verwaltungsentscheidung als Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens anzusehen wäre. Ein "nur" rechtswidriger Verwaltungsakt reicht nicht aus.

 

Tz. 15

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Auf der anderen Seite darf das Gericht den Kläger nicht schlechter stellen als vor dem Klageverfahren; eine Verböserung durch das Gericht ist ausgeschlossen (keine "reformatio in peius"). Allerdings folgt dies nicht aus § 96 Abs. 1 FGO, aber aus der Rechtsschutzfunktion des finanzgerichtlichen Verfahrens. Das Gericht ist aber nicht gehindert, bei der Gesamtprüfung des Steuerfalles im Rahmen der Saldierung steuerliche Folgen zulasten des Rechtsschutzsuchenden zu ziehen; der Saldierungsrahmen ist aber durch das Verböserungsverbot begrenzt (BFH v. 19.11.2013, XI B 9/13, BFH/NV 2014, 373).

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