Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Bei der Prüfung der Frage, ob bei Vermeidung des unter § 127 AO fallenden Verstoßes eine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können, sind sämtliche Überlegungen, die hinsichtlich der durch den Verwaltungsakt getroffenen Regelung anzustellen waren, fehlerfrei nachzuvollziehen. Dabei sind sämtliche durch den angefochtenen Verwaltungsakt ausgelösten materiellen Rechtsfolgen zu berücksichtigen (s. BFH v. 14.11.1984, I R 151/80, BStBl II 1985, 607). Bei der Überprüfung der materiellen Richtigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts muss das FG erforderlichenfalls auch eigene Ermittlungen anstellen. Die Anwendung des § 127 AO ist ausgeschlossen, wenn der Verfahrensfehler auch die Sachaufklärung betrifft (Seer in Tipke/Kruse, § 127 AO Rz. 13). Nur wenn die Überprüfung zu dem zweifelsfreien Ergebnis führt, dass im Falle einer Aufhebung die sachlich identische Entscheidung erneut getroffen werden müsste, darf das Aufhebungsbegehren zurückgewiesen werden. Die bloße Möglichkeit, dass bei einer erneuten Entscheidung anders entschieden werden könnte, reicht dagegen nicht aus. Hat der formelle Verstoß sich nicht auf die tragenden Gründe der Verwaltungsentscheidung ausgewirkt, kommt eine Aufhebung der Entscheidung mangels Kausalität des Fehlers für die Sachentscheidung ebenfalls nicht in Betracht (Seer in Tipke/Kruse, § 127 AO Rz. 13). Im finanzgerichtlichen Verfahren können der Finanzbehörde jedoch die Kosten des Verfahrens nach § 137 Satz 2 FGO aufgelegt werden (s. § 137 FGO Rz. 5).

 

Tz. 8

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 127 AO ist danach in der Regel nur auf gesetzesgebundene Verwaltungsakte anwendbar. Auf Ermessensentscheidungen findet die Regelung grundsätzlich keine Anwendung (BFH v. 14.01.2010, VIII B 104/09, BFH/NV 2010, 605). Dies gilt jedoch nicht, wenn der mit dem Rechtsbehelf gerügte Fehler die Entscheidung durch die zuständige Finanzbehörde unter keinen Umständen beeinflusst haben kann (BFH v. 02.08.2012, V B 68/11, BFH/NV 2013, 243). Dies ist z. B. bei einer Ermessensreduzierung auf Null der Fall (s. AEAO zu § 127, Nr. 2). In den Anwendungsbereich des § 127 AO fällt als von den Gerichten voll inhaltlich überprüfbare Entscheidungen die Anwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen (von Wedelstädt in Gosch, § 127 AO Rz. 18) und Schätzungsfälle (BFH v. 11.02.1999, V R 40/98, BStBl II 1999, 382; von Wedelstädt in Gosch, § 127 AO Rz. 19; Ratschow in Klein, § 127 AO Rz. 12; AEAO zu § 127, Nr. 1; a. A. Seer in Tipke/Kruse, § 127 AO Rz. 15), da es sich bei diesen, soweit kein Beurteilungsspielraum besteht, nicht um Ermessensentscheidungen handelt (zum unbestimmten Rechtsbegriff s. § 5 AO Rz. 8, zur Schätzung s. § 162 AO Rz. 59). Dasselbe gilt für Entscheidungen, die eine Vertragsauslegung zum Gegenstand haben (Ratschow in Klein, § 127 AO Rz. 12; a. A. s. FG Rheinland-Pfalz v. 08.10.1990, 5 K 332/88, EFG 1991, 162).

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