Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Haftung setzt voraus, dass eine Steuerhinterziehung (s. § 370 AO) oder eine Steuerhehlerei (s. § 374 AO) begangen wurde und Täter (Mittäter) oder Anstifter bzw. Gehilfe (Teilnehmer) eine Person war, die nicht selbst Steuerschuldner ist. Die leichtfertige Steuerverkürzung (s. § 378 AO) führt nicht zur Haftung nach § 71 AO, möglicherweise jedoch nach § 69 AO, in dessen Anwendungsbereich auch in leichtfertige Pflichtverletzung genügt. Andererseits erfasst § 69 AO einen anderen Personenkreis, denn nicht jeder an einer Steuerverkürzung beteiligte, hat eine Vertreterstellung i. S. der §§ 34, 35 AO inne. Ist zwar der Tatbeitrag des Beteiligten bekannt und ist gewiss, dass es zu Steuerhinterziehungen gekommen ist, können aber die konkreten Steuerschuldner und folglich auch die konkreten Steuerforderungen nicht ermittelt werden, kann die Haftung insoweit nicht auf den Tatbeitrag zur Steuerhinterziehung gestützt werden (BFH v. 15.01.2013, VIII R 22/10, BStBl II 2013, 526; AdV-Verfahren: BFH v. 16.07.2009, VIII B 64/09, BStBl II 2010, 8). U. E. spricht hier auch die Akzessorietät, also die Abhängigkeit der Haftung vom Bestand einer konkreten Hauptforderung, gegen die Haftung.

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Steuerstraftat muss vollendet, die Verkürzung der Steuer also eingetreten, bzw. der Tatbestand der Steuerhehlerei erfüllt sein. Die Beteiligung eines zuständigen Beamten an der Tat lässt weder deren Strafbarkeit noch die Haftung entfallen (BFH v. 25.10.2005, VII R 10/04, BStBl II 2006, 356; s. § 370 AO Rz. 9). Wegen der Begriffe Steuerhinterziehung, Steuerhehlerei, Erfolgseintritt und der Formen der Teilnahme an diesen Steuerstraftaten s. die Erläuterungen zu den §§ 370 und 374 AO. Darauf, ob die hinterzogenen Beträge dem Steuergläubiger auch bei steuerehrlichem Verhalten zugeflossen wären, kam es nach einer älteren Entscheidung des BFH nicht an (BFH v. 02.04.1981, V R 39/79 BStBl II 1981, 627). Dies lässt jedoch den Schadensersatzcharakter der Vorschrift außer Acht, der Kausalität zwischen Pflichtwidrigkeit und Schadenseintritt bedingt (s. § 69 AO Rz. 20). Dies erkennt der BFH an (BFH v. 26.08.1992, VII R 50/91, BStBl II 1993, 8) und wendet den Grundsatz der anteiligen Gläubigerbefriedigung (s. § 69 AO Rz. 13) auch im Fall der Haftung wegen Steuerhinterziehung an, mit der Folge, dass die Haftung ggfs. ganz entfällt (BFH v. 16.03.1993, VII R 89/90, BFH/NV 1994, 359). Etwas anderes mag dann gelten, wenn nach dem Tatplan in fiktive Warenkreisläufe Personen eingeschaltet werden, die bewusst unterkapitalisiert sind und ein Vorteil dadurch erlangt werden soll, dass sich Zahlung von Umsatzsteuer und Vorsteuer nicht mehr ausgeglichen gegenüberstehen (BFH v. 11.02.2002, VIII B 323/00, BFH/NV 2002, 891; s. § 25d UStG – Umsatzsteuerkarussell). Die Grundsätze der anteiligen Haftung für die Umsatzsteuer sind auch nicht auf die Haftung eines Steuerhehlers für die durch Schwarzbrennen entstandene Branntweinsteuer zu übertragen (BFH v. 23.04.2014, VII R 41/12, BStBl II 2015, 117). Bei der Berechnung des Haftungsschadens kommt es auf den Nominalbetrag der ausgefallenen Steuerforderung an. Besteuerungsgrundlagen verschiedener Stpfl. dürfen nicht miteinander vermengt werden. So haftet der (faktische) Geschäftsführers des Lieferers für dessen Umsatzsteuer, ohne dass es darauf ankommt, wie beim Leistungsempfänger ggf. die Vorsteuer zu behandeln ist (Umsatzsteuerkarussell: BFH v. 05.08.2101, V R 13/09, BFH/NV 2011, 81).

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Kommt nach dem festgestellten Sachverhalt entweder Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei in Betracht, so genügt die wahlweise Feststellung der einen oder anderen Straftat auch für Zwecke der Haftung nach § 71 AO (BFH v. 12.05.1955, V z 48/53 U, BStBl III 1955, 215).

 

Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Haftung setzt nicht voraus, dass der Haftende wegen der Tat oder Teilnahme an ihr strafgerichtlich belangt worden ist. Das kann z. B. daran scheitern, dass eine Selbstanzeige nach § 371 AO erstattet wurde (FG Ha v. 14.07.2004, I 127/04 und I 184/04, EFG 2005, 166). Die für die Inanspruchnahme des Haftenden zuständige Finanzbehörde entscheidet selbstständig und unabhängig von der Würdigung durch die für die Strafverfolgung zuständigen Behörden und Gerichte darüber, ob die genannte Steuerstraftat und die angenommene Beteiligungsform vorliegen (AEAO zu § 70: im Einvernehmen mit der Straf- und Bußgeldsachenstelle). Freilich wird das Ergebnis eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens nicht völlig unbeachtet bleiben. Werden im Verwaltungs- bzw. Rechtsbehelfsverfahren keine substantiierten Einwendungen gegen die Feststellungen im Strafurteil erhoben, kann sich die Behörde oder das Gericht die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen des Strafgerichts zu eigen machen, wenn und soweit sie zur Überzeugung gelangen, dass diese zutreffend sind (BFH v. 13.07.1994, I R 112/93, BStBl II 1995, 198; BG...

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