Tz. 10

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Forderung, gegen die aufgerechnet wird, braucht noch nicht fällig zu sein, sie muss jedoch erfüllbar sein (§ 271 Abs. 2 BGB). Erfüllbar ist die Hauptforderung, wenn sie entstanden ist (§ 38 AO); ihre Festsetzung ist nicht erforderlich (BFH v. 13.01.2000, VII R 91/98, BStBl II 2000, 246; BFH v. 08.03.2017, VII R 13/15, – juris). Nicht zulässig ist die Aufrechnung gegen eine aufschiebend bedingte Forderung, wohl aber gegen eine auflösend bedingte Forderung vor Eintritt der auflösenden Bedingung. Fällt im letztgenannten Fall die zur Aufrechnung gestellte Forderung weg, so wird die Aufrechnung rückwirkend unwirksam (BFH v. 05.08.1986, VII R 167/87, BStBl II 1987, 8). Desgleichen kann gegen eine gestundete Forderung aufgerechnet werden, nicht jedoch mit einer solchen.

 

Tz. 11

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Zur Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren – also auch des Fiskus in der Insolvenz des Stpfl. – finden §§ 94 bis 96 InsO Anwendung (AEAO zu § 251, Nr. 8). Diese mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretenden Wirkungen entfallen erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens gem. § 200 InsO (BFH v. 04.09.2009, VII B 239/07, BFH/NV 2009, 6; BFH v. 13.12.2016, VII R 1/15, BStBl II 2017, 541). Ein etwaiges Aufrechnungshindernis gem. § 96 InsO entfällt somit erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und nicht bereits mit dem Beschluss über die Ankündigung der Restschuldbefreiung (BFH v. 07.06.2006, VII B 329/05, BStBl II 2006, 641). Ansprüche des ehemaligen Insolvenzschuldners auf Erstattung von Einkommensteuer gehören nicht zu den in der Wohlverhaltensphase an den Treuhänder abgetretenen Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge. Folglich ist die Aufrechnung des FA gegen ESt-Erstattungsansprüche in der Wohlverhaltensphase mit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Steueransprüchen zulässig (BFH v. 21.11.2006, VII R 1/06, BStBl II 2008, 272). Ein allgemeines Aufrechnungsverbot während der Wohlverhaltensphase enthält die InsO nicht (BFH v. 22.05.2012, VII R 58/10, ZInsO 2012, 2104).

 

Tz. 11a

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Generell soll gem. § 94 InsO das Vertrauen des Insolvenzgläubigers auf eine bestehende Aufrechnungslage geschützt werden, nicht aber auf eine erst nachträglich, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehende. Darüber hinaus bleibt die Aufrechnung auch dann zulässig, wenn die Forderungen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar begründet sind, jedoch eine von ihnen noch aufschiebend bedingt ist, die Forderungen noch nicht fällig sind oder sich noch nicht gleichartig gegenüberstehen. In diesen Fällen bleibt die Aufrechnung gem. § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO zu dem Zeitpunkt zulässig, wenn die Forderungen gleichartig und fällig sind und sich unbedingt gegenüberstehen. Eine Ausnahme davon sieht § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO vor. Ist die Forderung des Fiskus zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht fällig, wohl aber die des Insolvenzschuldners gegen den Fiskus, ist eine Aufrechnung durch das FA auch nach Eintritt der Fälligkeit der Steuerschuld ausgeschlossen.

 

Tz. 11b

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Darüber hinaus beinhaltet § 96 InsO weitere am Gedanken von § 94 InsO orientierte Aufrechnungsverbote (s. im Einzelnen Bartone, AO-StB 2003, 215; Werth, AO-StB 2007, 70), wobei diese sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Anknüpfungspunkte nicht gegenseitig ausschließen (BFH v. 05.05.2015, VII R 37/13, BStBl II 2015, 856).

 

Tz. 11c

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Masse schuldig geworden ist. Auch unter der Geltung der InsO kommt es nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinn entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war (BFH v. 16.11.2004, VII R 75/03, BStBl II 2006, 193; BFH v. 16.01.2007, VII R 7/06, BStBl II 2007, 745; BFH v. 28.02.2012, VII R 36/11, BStBl II 2012, 451). Danach ist die Aufrechnung nachinsolvenzrechtlich begründeter Steuerschulden gegen den Erstattungsanspruch gem. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zulässig (BFH v. 24.02.2015, VII R 27/14, BStBl II 2015, 993). Hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzschuldner eine gewerbliche Tätigkeit durch Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag ermöglicht, fällt ein durch diese Tätigkeit erworbener Umsatzsteuervergütungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse und kann vom FA mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden (BFH v. 01.09.2010, VII R 35/08, BStBl II 2011, 336; BFH v. 23.08.2011, VII B 8/11, BFH/NV 2011, 2115). Die Vorsteuervergütung für einen bestimmten Besteuerungszeitraum wird das FA in dem Zeitpunkt "zur Insolvenzmasse schuldig" i. S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 AO, in dem ein anderer Unter...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge