Leitsatz

§ 55 Abs. 4 InsO ist nur auf Masseverbindlichkeiten, nicht aber auch auf Vergütungsansprüche zugunsten der Masse anzuwenden.

 

Normenkette

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, § 55 Abs. 4 InsO

 

Sachverhalt

Der Kläger wurde am 16.8.2017 zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt über das Vermögen einer KG bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am 1.11.2017 eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Kläger übermittelte am 10.11.2017 USt-Voranmeldungen für den Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung (August, September und Oktober 2017), aus denen sich Vergütungsansprüche ergaben, die nach seiner Auffassung unter der Massesteuernummer festzusetzen seien.

Demgegenüber ging das FA davon, dass die in der Sache unstreitigen Vergütungsansprüche dem vorinsolvenzrechtlichen Vermögensteil zuzurechnen seien, und lehnte eine Festsetzung unter der Massesteuernummer ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Nach dem Urteil des FG waren die dem Grunde nach unstreitigen Vergütungsansprüche nicht unter der Massesteuernummer festzusetzen (FG Münster, Urteil vom 12.6.2019, 5 K 166/19 U, Haufe-Index 13290012, EFG 2019, 1405).

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte die Klageabweisung. Soweit der Kläger eine auf das Kalenderjahr bezogene Steuerberechnung für den Massebereich des § 55 InsO unter Einbeziehung der im Insolvenzeröffnungsverfahren entstandenen Vorsteuerüberhänge erstrebte, war hierüber nach seinem Urteil nicht (im hier vorliegenden Verfahren) über die Voranmeldungszeiträume des Insolvenzeröffnungsverfahrens, sondern nur im (vorliegend nicht streitgegenständlichen) Verfahren über einen den Massebereich des § 55 InsO betreffenden Jahresbescheid zu entscheiden.

 

Hinweis

1. Wird über das Vermögen eines Unternehmers die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt, ist § 55 Abs. 4 InsO für die Dauer des Insolvenzeröffnungsverfahrens unter den dort bezeichneten Voraussetzungen anzuwenden. Danach handelt es sich bei der für den Zeitraum des Insolvenzeröffnungsverfahrens entstehenden Umsatzsteuer um eine Masseverbindlichkeit. Als Masseverbindlichkeit behandelt der BFH dabei den Schuldsaldo des Unternehmers, der sich aus der nach§§ 1618 UStG vorzunehmenden Steuerberechnung ergibt, die insbesondere zu einer Verrechnung der Steuer auf Ausgangsumsätze mit abziehbaren Vorsteuerbeträgen führt.

2. Unklar ist, welche Bedeutung § 55 Abs. 4 InsO zukommt, wenn es im Insolvenzeröffnungsverfahren zu einem Vergütungsanspruch kommt. So ist es z.B. bei einem sog. Vorsteuerüberhang, bei dem die abziehbaren Vorsteuerbeträge die Steuer auf Ausgangsumsätze übersteigen, wie es z.B. bei Anwendung von §§ 6, 6a UStG i.V.m. § 15 Abs. 3 UStG der Fall sein kann.

a) Dem Grunde nach klar ist, dass ein dem Unternehmer zustehender Anspruch keine Masseverbindlichkeit ist.

b) Betrachtet man einzelne Voranmeldungszeiträume des Insolvenzeröffnungsverfahrens, ist auch klar, dass § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO bei einer ausschließlich wortlautgetreuen Auslegung einer Aufrechnung des FA gegen einen derartigen Vergütungsanspruch nicht entgegensteht.

c) Fraglich ist demgegenüber, wie in Bezug auf die Jahressteuerberechnung zu verfahren ist. Der BFH verlangt insoweit eine Jahresberechnung, die bei einer unterjährigen Insolvenzeröffnung zur Ermittlung einer Umsatzsteuerjahresinsolvenzforderung sowie einer Umsatzsteuerjahresmasseverbindlichkeit führt.

aa) Bei dieser Berechnung erhöht die sich aus § 55 Abs. 4 InsO ergebende Masseverbindlichkeit die Umsatzsteuerjahresmasseverbindlichkeit.

bb) Dementsprechend könnte es als folgerichtig anzusehen sein, dass ein sich im Insolvenzeröffnungsverfahren ergebender Vergütungsanspruch die Umsatzsteuerjahresmasseverbindlichkeit mindert. Denn nur so ist gewährleistet, dass den abziehbaren Vorsteuerbeträgen unabhängig davon, ob sie nur einen Steueranspruch mindern oder weiter gehend einen Vergütungsanspruch begründen, insolvenzrechtlich dieselbe Bedeutung zukommt. Eine vorherige Aufrechnung gegen den Vergütungsanspruch aus einem Voranmeldungszeitraum des Insolvenzeröffnungsverfahrens ginge dann nachträglich ins Leere.

Über diese Frage kann allerdings nur in einem Rechtsbehelfsverfahren über eine Umsatzsteuerjahresmasseverbindlichkeit, nicht aber in einem Verfahren gegen einzelne Vorauszahlungsbescheide des Insolvenzeröffnungsverfahrens entschieden werden. Denn die Bedeutung der Vorauszahlungsbescheide beschränkt sich auf den jeweiligen Voranmeldungszeitraum. Dementsprechend kommt den Vorauszahlungsbescheiden auch keine materiell-rechtliche Bindungswirkung für die Jahressteuerberechnung zu.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 23.7.2020 – V R 26/19

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