Rz. 10

§ 87 Abs. 2 AO behandelt die Frage, wie die Finanzbehörden zu verfahren haben, wenn fremdsprachige Schriftstücke (Anträge, Eingaben, Belege, Urkunden oder sonstige Dokumente) bei ihnen eingehen. Grundsätzlich ist einmal von der Pflicht zur Entgegennahme auch fremdsprachiger Erklärungen auszugehen, die sodann einer Handhabung nach Maßgabe der Abs. 2 bis 4 zuzuführen sind. Nicht geregelt ist die Frage der Vorgehensweise bei mündlichen Besprechungen und Verhandlungen. Zu der entsprechenden Norm des § 23 Abs. 2 VwVfG wird die behördliche Verpflichtung zur Hinzuziehung eines Dolmetschers analog § 185 GVG befürwortet.[1] Dem kann nur bei entsprechender Kostentragungspflicht des Beteiligten zugestimmt werden.[2] Anderenfalls ist die behördliche Verpflichtung darauf zu beschränken, dem Beteiligten die für den Fortgang des Verfahrens bestehende und von ihm zu besorgende Notwendigkeit der Zuziehung eines Dolmetschers mitzuteilen. Bei im Lager des Stpfl. stehenden Übersetzungspersonen obliegt es der Finanzbehörde, diese nach pflichtgemäßem Ermessen zurückzuweisen, wenn eine auf den wirklichen Willen des Stpfl. rückführbare Besprechung nicht möglich erscheint und damit ein Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens droht.

[1] Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 23 VwVfG Rz. 2; Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 23 VwVfG Rz. 8.

3.1.1 Verlangen einer Übersetzung (Abs. 2 S. 1)

 

Rz. 11

Nach § 87 Abs. 2 S. 1 AO kann die Finanzbehörde die Vorlage einer Übersetzung des Dokuments verlangen. Der Behörde ist damit jedoch kein Ermessen zwischen Übersetzungsverlangen und Nichtbeachtung des Schriftstücks eingeräumt. Die Nichtbeachtung widerspräche den allgemeinen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dem Legalitätsprinzip[1] und dem Untersuchungsgrundsatz.[2] Zunächst dürfen für die zu belegenden Tatsachen oder den zu stellenden Antrag keine anderen Erkenntnisquellen (z. B. deutsche Belege, Zeugen, o. ä.), bzw. die Einleitung des Verfahrens von Amts wegen möglich sein. Die Finanzbehörde soll überdies zunächst prüfen, ob eine zur Bearbeitung ausreichende Übersetzung durch eigene Bedienstete oder im Wege der Amtshilfe ohne Schwierigkeiten beschafft werden kann.[3] Übersetzungen sind nur im Rahmen des Notwendigen, nicht aus Prinzip anzufordern[4], wobei sie auch nicht ultima ratio ist und eine zu starke Verschiebung der Aufklärungslast auf die Finanzbehörde abzulehnen ist.

 

Rz. 12

Eine verlangte Übersetzung soll unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern[5], vorgelegt werden. Insofern entscheiden die Umstände des Einzelfalls, innerhalb welchen Zeitraums es dem Beteiligten möglich und zumutbar ist, eine Übersetzung zu besorgen. Es wird sich grundsätzlich anbieten, dem Stpfl. in diesen Fällen eine – gem. § 109 Abs. 1 S. 2 AO jederzeit auch rückwirkend verlängerbare[6] – Frist zu setzen. An die Fähigkeiten des Übersetzers sind keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Da die Übersetzung allein dazu dient, die Grundlagen des Verwaltungshandelns verständlich zu dokumentieren, sind orthographische und grammatikalische Unzulänglichkeiten hinzunehmen Diese führen nicht zur Zurückweisung der Übersetzung.

Kommt der Beteiligte dem Übersetzungsverlangen nicht nach, so kann die Behörde auf dessen Kosten selbst eine Übersetzung beschaffen. Hier ist der Behörde ein echtes Ermessen zwischen der Veranlassung einer für den Beteiligten kostenpflichtigen Übersetzung von Amts wegen und der Nichtbeachtung des Dokumenteninhalts eingeräumt. Auf diese Konsequenzen sollte der Beteiligte möglichst hingewiesen werden. Im Regelfall ist es nicht ermessensfehlerhaft, das vorgelegte Dokument nach dem Grundsatz des § 87 Abs. 1 AO als unbeachtlich zu behandeln.[7] Denn zum einen ist der behördliche Übersetzungsauftrag mit dem Kostenrisiko des Regressausfalls verbunden. Zum anderen hat der Beteiligte gegen seine Mitwirkungspflichten aus §§ 90 Abs. 1, 87 Abs. 1 S. 1 u. 2 AO verstoßen, sodass die Finanzbehörde entweder mit vermindertem Beweismaß[8] oder nach den Regeln der objektiven Beweislast[9] zuungunsten des Beteiligten verfahren kann. Nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlage nach § 162 Abs. 1 S. 1 AO schätzen darf, soweit sie diese nicht ermitteln kann, und dass ein Schätzungsanlass im Sinne des § 162 Abs. 2 S. 1 u. a. gegeben ist, wenn der Stpfl. seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO verletzt hat.[10]

Unter Beachtung des Amtsermittlungsgrundsatzes und der Grundsätze des fairen Verfahrens[11] hat die Finanzbehörde indes sämtliche Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen. Die fehlende Übersetzung verkürzt die Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts im Übrigen nicht. Jedenfalls dürfen Anhaltspunkte in fremder Sprache nicht allein deshalb im Rahmen der Schätzung unbeachtet bleiben, weil der Stpfl. sich nicht um eine Übersetzung bemüht hat. Dies gilt insbesondere für dem Stpfl. zugute kommende Aspekte.[12]

 

Rz. 13

Die Anforderung einer Übersetzung ist nach allgemeiner Auffassung...

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