2.4.1 Begriff der persönlichen Unbilligkeit

 

Rz. 169

Eine abweichende Steuerfestsetzung aus Gründen der persönlichen Billigkeit kommt in Betracht, wenn der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in einem konkreten Einzelfall durch die generalisierende gesetzliche Regelung verletzt wird. Das ist der Fall, wenn die Leistungsfähigkeit eines Stpfl. nicht mehr in dem vom gesetzlichen Tatbestand erwarteten Umfang vorhanden, sondern so sehr gemindert ist, dass ihm die volle steuerliche Belastung nicht mehr zugemutet werden kann.[1] Die Ermessensentscheidung über die persönliche Unbilligkeit erfordert es regelmäßig, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Stpfl. umfassend zu prüfen.[2] Die abweichende Steuerfestsetzung setzt Bedürftigkeit und Würdigkeit voraus. Die Billigkeitsgründe müssen regelmäßig im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung vorliegen.

 

Rz. 170

Ist der Stpfl. Organgesellschaft, aber selbst Stpfl. (z. B. bei GrSt, KfzSt), ist für die persönliche Unbilligkeit grundsätzlich auf die Verhältnisse der Organgesellschaft, nicht des Organträgers abzustellen, da der Organträger nicht Stpfl. ist. Allerdings kann es nicht unberücksichtigt bleiben, wenn ein Ergebnisabführungsvertrag besteht, da dann die Organgesellschaft wegen der Verlustübernahmeverpflichtung des Organträgers regelmäßig nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten kann. Die Erlassbedürftigkeit wird daher bei der Organgesellschaft nur vorliegen, wenn sie trotz der Verlustübernahmeverpflichtung in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät.

 

Rz. 171

Gründe, die die Leistungsfähigkeit mindern, dürfen nicht zu einer Billigkeitsmaßnahme führen, wenn sie das Gesetz selbst schon zum Anlass für eine gewisse Steuerentlastung genommen hat (z. B. bei Krankheitskosten, die als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden können).

[2] FG Hamburg v. 13.5.1980, IV 66/79 S-H, EFG 1980, 533.

2.4.2 Bedürftigkeit

 

Rz. 172

Bei der Bedürftigkeit dürfen nur die in der Person des Stpfl. bzw. seines Rechtsnachfolgers liegenden Verhältnisse berücksichtigt werden. Bei Rechtsnachfolge ist, auch wenn die Steuer aus dem übernommenen Vermögen stammt, die gesamte wirtschaftliche Situation des Rechtsnachfolgers in Betracht zu ziehen, nicht nur die des übernommenen Vermögens.[1]

 

Rz. 173

Die Billigkeitsmaßnahme muss dem Stpfl. wirtschaftlich zugute kommen, darf also nicht nur Dritten (z. B. anderen Gläubigern) nützen.[2] Das ist etwa im Insolvenzverfahren der Fall, wenn die Billigkeitsmaßnahme nur dazu führt, dass sich die Insolvenzquote für die anderen Gläubiger erhöht.

An der Bedürftigkeit fehlt es auch, solange die Steuer auf Dritte überwälzt werden kann.[3]

Aus dem Erfordernis, dass der Erlass dem Stpfl. wirtschaftlich zugute kommen muss, schließt die Rechtsprechung, dass dies bei Forderungen gegen den Stpfl., die uneinbringlich sind, nicht der Fall sei, da der Erlass dann keinen wirtschaftlichen Vorteil darstelle.[4] M. E. ist dem nicht zu folgen. Auch diese Forderungen sind belastend, ihr Erlass ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Diese Forderungen engen zumindest den künftigen wirtschaftlichen Spielraum des Stpfl. ein, z. B. bei einer beabsichtigten Kreditaufnahme. Es kann daher eine Billigkeitsmaßnahme geboten sein, um diesen wirtschaftlichen Spielraum wiederherzustellen. Dies erkennt die neuere Rechtsprechung an.[5] Danach kann eine Billigkeitsmaßnahme aus Gründen der persönlichen Billigkeit auch dann gerechtfertigt sein, wenn die Steuerrückstände den Stpfl. daran hindern, eine neue selbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um sich eine eigene, von der Sozialhilfe unabhängige Existenz aufzubauen (im Streitfall: Versagung einer Taxikonzession mit Hinweis auf die Steuerschulden). Die Billigkeitsmaßnahme ist in diesem Fall mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Stpfl. verbunden, da sie sich konkret auf seine wirtschaftliche Existenz auswirkt.

 

Rz. 174

Aus dem Grundsatz der Bedürftigkeit soll danach auch folgen, dass die Billigkeitsmaßnahme geeignet sein muss, die Bedürftigkeit zu beseitigen. Maßnahmen, die im Ergebnis die persönliche Situation des Stpfl. nicht bessern, sind nicht zulässig. Das ist z. B. der Fall, wenn der Stpfl. nur Einkünfte unterhalb der Pfändungsfreigrenze hat. Da er dadurch ohnehin vor Zwangsvollstreckungsmaßnahmen geschützt ist, verbessert eine Billigkeitsmaßnahme seine wirtschaftliche Situation nicht. Entsprechendes gilt für Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit; auch dann verbessert eine Billigkeitsmaßnahme die wirtschaftliche Situation des Stpfl. nicht.[6] Eine Billigkeitsmaßnahme setzt in diesem Fall voraus, dass der Stpfl. durch Darlegung seiner Pläne für die Zukunft vorträgt, dass die Steuerschulden ihn an der Verwirklichung dieser Pläne hindern.[7] Es ist aber nicht erforderlich, dass der Erlass die Bedürftigkeit auf Dauer, d. h. bis zum Lebensende des Stpfl. beseitigt. Es genügt, dass dies für einige Jahre der Fall ist.[8] Dem ist m. E. zuzustimmen. Die Besteuerung darf nicht dazu führen, dass der Stpfl. deutlich...

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