Rz. 164

Die tatsächliche Verständigung bezieht sich grundsätzlich auf einen in der Vergangenheit abgeschlossenen und jetzt der steuerlichen Beurteilung unterliegenden Sachverhalt. Im Gegensatz zu der verbindlichen Zusage aufgrund einer Außenprüfung, § 204 AO, ist die tatsächliche Verständigung nicht zukunftsorientiert. Vielmehr erfolgt die Verständigung über die steuerliche Behandlung des Sachverhalts in einem abgeschlossenen Veranlagungszeitraum.[1] Sie kann in jedem Stadium der Steuerfestsetzung für einen bestimmten Veranlagungszeitraum getroffen werden, also im Veranlagungs- oder Außenprüfungsverfahren, im Einspruchsverfahren und im gerichtlichen Verfahren sowie im Straf- oder Bußgeldverfahren.[2] Wegen des Grundsatzes der Selbstständigkeit der Beurteilung für jeden Veranlagungszeitraum kann aus der Behandlung eines Sachverhalts für einen Veranlagungszeitraum nicht auf eine entsprechende Behandlung des gleichen oder vergleichbaren Sachverhalts in einem anderen Besteuerungszeitraum geschlossen werden. Eine Bindung für künftige Veranlagungszeiträume bei gleichem oder gleichartigem Sachverhalt tritt nur ein, wenn dies in den Erklärungen der Beteiligten klar und eindeutig zum Ausdruck kommt.

 

Rz. 165

Die tatsächliche Verständigung ist zulässig, soweit der Behörde ein Beurteilungs-, Ermessens- oder Beweiswürdigungsspielraum zusteht. Das ist der Fall bei schwierig zu ermittelnden Sachverhalten sowie bei Bewertungen und Schätzungen. Typische Beurteilungsspielräume sind etwa die Frage nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer bei Abschreibungen und der Angemessenheit bei Fragen der verdeckten Gewinnausschüttung.

 

Rz. 166

Im Bereich der Sachverhaltsermittlung ist die tatsächliche Verständigung zulässig, wenn sich der Sachverhalt nur mit einem im Hinblick auf die steuerlichen Auswirkungen unvertretbaren Arbeitsaufwand ermitteln lässt. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Ermittlung des Sachverhalts auf Indizien gestützt werden muss. Da Indizien eine erhebliche Unsicherheit innewohnt, führt eine tatsächliche Verständigung zu einer sichereren Beurteilungsgrundlage. Das ist insbesondere der Fall, wenn innere Tatsachen festzustellen sind, auf die nur aus objektiven Umständen geschlossen werden kann, wie z. B. das Vorliegen oder Fehlen einer Absicht.[3] Beim Arbeitsaufwand kann auch der bei einem finanzgerichtlichen Verfahren erforderliche Arbeitsaufwand berücksichtigt werden. Nur die Kompliziertheit des Sachverhalts reicht aber nicht aus.[4] Einschränkend demgegenüber BMF v. 30.7.2008, IV A 3 – S 0223/07/10002, BStBl I 2008, 831, Tz. 2.1, wonach die tatsächliche Verständigung ausschließlich im Bereich der Sachverhaltsermittlung zulässig sein soll. Das ist insoweit nicht richtig, als ein Beurteilungsspielraum, z. B. bei der Bewertung, über den Bereich der reinen Sachverhaltsermittlung hinausgeht und bereits in den Bereich der Rechtsanwendung hineinreicht.

 

Rz. 166a

Ohne Bedeutung ist es demgegenüber, ob die Schwierigkeit der Sachverhaltsermittlung auf einem vorhergehenden Verstoß gegen die Ermittlungspflicht des FA oder die Mitwirkungspflicht des Stpfl. beruht. Auf die Zulässigkeit der tatsächlichen Verständigung haben subjektive Faktoren wie Verschulden keine Auswirkung. Eine tatsächliche Verständigung ist daher auch zulässig, wenn die Schwierigkeit der Sachverhaltsermittlung auf einer arglistigen Täuschung durch den Stpfl. beruht. Dies führt nicht zur Unwirksamkeit der tatsächlichen Verständigung, sondern zur Anfechtungsmöglichkeit für das FA.[5]

 

Rz. 167

Kein Beurteilungs-, Beweiswürdigungs- oder Ermessensspielraum besteht im Bereich der reinen Rechtsanwendung (Auslegung der Gesetze). Eine reine Rechtsfrage liegt vor, wenn der Sachverhalt klar und nicht (mehr) aufklärungsbedürftig ist, und die Zweifel sich nur auf die rechtliche Würdigung dieses Sachverhalts beziehen.[6] Hier sind weder Schätzungen noch Vereinbarungen mit dem Stpfl. möglich. Unsicherheiten in der Rechtsanwendung müssen durch die üblichen Auslegungsmethoden beseitigt werden.[7] Das gilt auch für zivilrechtliche Vorfragen, z. B. hinsichtlich zivilrechtlicher Verträge. Hierbei handelt es sich um Rechtsfragen, die durch Auslegung zu beantworten sind.[8] Eine tatsächliche Verständigung ist aber über tatsächliche Vorfragen einer Rechtsfrage möglich.[9]

 

Rz. 168

Maßgebend für die Zulässigkeit der tatsächlichen Verständigung ist somit nicht, ob sich eine Unsicherheit ergibt oder nicht, sondern ob der Finanzbehörde ein auszufüllender Ermessens-, Beweiswürdigungs- oder Beurteilungsspielraum zusteht. Unsicherheit kann auch bei Rechtsfragen bestehen, ohne dass dies zu einer tatsächlichen Verständigung berechtigt, da im Bereich der reinen Rechtsauslegung der Finanzbehörde kein Spielraum zusteht. Ebenfalls nicht zulässig ist eine tatsächliche Verständigung über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen, wenn keine Unsicherheit bei der Auslegung der Vorschrift besteht, und über die Anwendung oder Nichtanwendung bestimmter Rechtsvorschriften.[10]

 

Rz. 169

In der Praxis sind Re...

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