Leitsatz
1. Ein Beteiligter ist im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten (§ 119 Nr. 4 FGO; § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO a.F.), falls das FG sein Verfahren gemäß § 94a FGO nach billigem Ermessen bestimmt und ohne mündliche Verhandlung entscheidet, obgleich ein Beteiligter einen Antrag auf mündliche Verhandlung (§ 94a Satz 2 FGO) gestellt hat.
2. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung kann auch konkludent gestellt werden. Ein solcher Antrag kann auch in der Bitte eines Beteiligten gesehen werden, zwei Streitsachen – wegen des damit verbundenen Terminaufwands – in nur einer Verhandlung durchzuführen.
Normenkette
§ 94a, § 119 Nr. 4 FGO, § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO a.F. (in der Fassung vor dem 1.1.2001)
Sachverhalt
Der Kläger hatte wegen Einkommensteuer 1990 Klage erhoben. Nachdem er beim FG eine weitere Klage wegen Einkommensteuer 1991 erhoben hatte, bat der Kläger u.a. darum, die beiden Verfahren wegen des Terminaufwands (u.a. Anreise an den Gerichtsort) in einer Verhandlung durchzuführen. Das FG wies die Klage wegen Einkommensteuer 1990 ab; da der Streitwert 1000 DM nicht überstieg, entschied es ohne mündliche Verhandlung nach § 94a FGO.
Entscheidung
Die Entscheidung Die Revision führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Der Kläger habe konkludent einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 94a Satz 2 FGO gestellt. In der Bitte, beide Verfahren zusammen zu terminieren, komme auch für die Klage wegen Einkommensteuer 1990 hinreichend klar und eindeutig zum Ausdruck, dass eine mündliche Verhandlung stattfinden solle.
Hinweis
Bei (geringen) Streitwerten, die 1000 DM nicht übersteigen, neigen FGs bisweilen dazu, vorschnell von der Möglichkeit des § 94a FGO Gebrauch zu machen und das Verfahren nach billigem Ermessen zu bestimmen. Auch wenn die FGs selbstverständlich rechtliches Gehör zu gewähren haben, sind sie z.B. nicht an die sonst geltenden strengen Beweisregeln (§§ 81 ff. FGO) gebunden; insbesondere können die FGs ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die Beteiligten können jedoch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch einen entsprechenden Antrag erzwingen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH muss ein solcher Antrag nicht zwingend ausdrücklich gestellt werden; es genügt ein konkludenter Antrag. Nach der Rechtsprechung liegen solche Anträge z.B. vor: in den Erklärungen eines Klägers, den Steuerbetrag in der mündlichen Verhandlung bestimmen zu wollen, zunächst auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht zu verzichten bzw. in der mündlichen Verhandlung näher bezeichnete Anträge zu stellen. Ist unsicher, ob ein Kläger eine mündliche Verhandlung beantragt hat, so haben die FGs wegen der besonderen Bedeutung der mündlichen Verhandlung diese Zweifel vor Anwendung des § 94a FGO aufzuklären.
Da ein FG nach der Rechtsprechung des BFH nicht darauf hinzuweisen braucht, dass es gemäß § 94a FGO zu verfahren beabsichtigt, ist einem Beteiligten, wenn ihm eine mündliche Verhandlung nicht gleichgültig ist und der Streitwert möglicherweise 1000 DM nicht übersteigt, dringend zu raten, eine solche bereits in der Klageschrift zu beantragen. Ggf. kann später immer noch auf den Antrag auf mündliche Verhandlung verzichtet werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.9.2000, VI R 16/98