Leitsatz

Für die Durchführung des Veranlagungsverfahrens bedarf es keines Antrags des Steuerpflichtigen gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG (mehr), wenn das FA das Veranlagungsverfahren von sich aus bereits durchgeführt und die ESt festgesetzt hat. Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei Erlass des Steuerbescheids aus der insoweit maßgeblichen Sicht des FA die Voraussetzungen für eine Veranlagung von Amts wegen vorlagen.

 

Normenkette

§ 162 AO, § 25, § 46 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 8 EStG

 

Sachverhalt

Der bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft angestellte Kläger erzielte Einkünfte aus nichtselbstständiger und selbstständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen sowie aus VuV. Da er trotz Aufforderung keine Steuererklärung für das Streitjahr 2000 abgab, erließ das FA Ende 2002 einen Schätzungsbescheid. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Die Steuererklärung reicht er beim FA am 3.1.2003 ein.

Da die Summe der neben dem Arbeitslohn erzielten Einkünfte negativ und eine Antragsveranlagung nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG beantragt worden war, hob das FA den Schätzungsbescheid auf und lehnte eine Veranlagung ab. Die Klage hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und entschied, dass das FA verpflichtet sei, die ESt unter Berücksichtigung der Steuererklärung des Klägers festzusetzen. Aufgrund der in den Praxis-Hinweisen angeführten Rechtslage komme es im Streitfall auch nicht mehr darauf an, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO hätte gewährt werden können oder müssen.

 

Hinweis

1. Mit der vorliegenden Besprechungsentscheidung stellt der BFH klar, dass ein Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG für die (weitere) Durchführung des Veranlagungsverfahrens nicht (mehr) erforderlich ist, wenn das FA aus seiner Sicht davon ausgehen durfte, dass es eine Amtsveranlagung durchzuführen und auch tatsächlich durchgeführt hat.

2. Die Antragsveranlagung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist gegenüber den Veranlagungstatbeständen aus § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 7 EStG subsidiär. Der Steuerpflichtige kann die Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nur beantragen, wenn er nicht bereits nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 7 EStG von Amts wegen zu veranlagen ist. Der Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist verfahrensrechtlicher Natur. Er leitet nur das Veranlagungsverfahren ein, mittels dessen die materiell gem. § 36 Abs. 1 EStG entstandene ESt ermittelt und festgesetzt wird. Nach der Konzeption der §§ 25, 46 EStG soll der Antrag auf Durchführung der Veranlagung die Finanzbehörde zu einem Handeln veranlassen, wenn sie nicht von sich aus tätig werden muss. Der Veranlagungsantrag soll das Veranlagungsverfahren in Gang setzen. Er macht den Erlass des ESt-Bescheids aber nicht antragsabhängig.

3. Geht man hiervon aus, so bedarf es für die Durchführung des Veranlagungsverfahrens keines Antrags des Steuerpflichtigen nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG mehr, wenn das FA das Veranlagungsverfahren von sich aus bereits durchgeführt und ESt durch Erlass eines Steuerbescheids (§ 155 Abs. 1 Satz 1 AO) festgesetzt hat.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie im Besprechungsfall – bei Erlass des Steuerbescheids die Voraussetzungen für eine Veranlagung von Amts wegen aus der insoweit maßgeblichen Sicht des FA vorliegen. In einem solchen Fall kann der Antrag auf Durchführung der Veranlagung seinen Zweck, ein Veranlagungsverfahren in Gang zu setzen, nicht mehr erreichen. Dabei ist die Frage der Durchführung der Veranlagung grundsätzlich losgelöst von einer – erst später erkennbar gewordenen – inhaltlichen Unrichtigkeit des Steuerbescheids zu beurteilen.

4. Angesichts dieser vom BFH in der Besprechungsentscheidung vertretenen (einfach-rechtlichen) Rechtsauffassung kam es im Streitfall auch nicht mehr darauf an, ob die Ausschlussfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG gleichheitswidrig ist (siehe Vorlagebeschlüsse, jeweils vom 22.5.2006, VI R 49/04, BFH-PR 2006, 477, und VI R 46/05, BFH-PR 2006, 476).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 22.5.2006, VI R 15/05

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