Verfahrensgang

AG Cottbus (Entscheidung vom 06.07.2011; Aktenzeichen 73 Ds 367/10)

 

Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 6. Juli 2011 wird, soweit darin die Bestellung des Verteidigers zum Pflichtverteidiger abgelehnt wird, aufgehoben.

Dem Angeklagten wird gemäß §§ 140 Abs. 2, 141 StPO Rechtsanwalt ..... in ..... zum Verteidiger bestellt.

 

Gründe

I.

Dem Beschwerdeführer, der eine Fahrschule betrieb, wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Cottbus vom 25. Juni 2010 vorgeworfen, in der Zeit vom 1. Juli 2008 bis zum 31. Oktober 2008 durch drei selbstständige Handlungen den Einzugsstellen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in einer Gesamthöhe von 695,61 € vorenthalten zu haben.

Das Amtsgericht Cottbus lehnte mit Beschluss vom 6. Juli 2011 den Antrag des Beschwerdeführers ab, ihm seinen gewählten Verteidiger zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich um ein Verfahren aus der Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft handele, seien dem Beschwerdeführer konkret vorgeworfenen Tathandlungen als nicht so schwerwiegend und die rechtliche Aufarbeitung als nicht besonders schwierig einzustufen, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers angezeigt wäre. Es sei im Falle einer Verurteilung keine derart hohe Strafe zu erwarten, die eine Pflichtverteidigerbestellung rechtfertigen würde.

Gegen die Ablehnung des Bestellungsantrags richtet sich die Beschwerde vom 13. Juni 2011. Der Beschwerdeführer verweist darauf, dass die Beweismitteliste der Anklageschrift neben der Benennung von fünf Zeugen umfangreiche zu verlesene Urkunden aufführe. Ohne die - dem Verteidiger vorbehaltene - Einsicht in die mehr als 200 Blatt könne der Beschwerdeführer sich nicht verteidigen.

Das Amtsgericht hat der Beschwerden nicht abgeholfen und die Sache der Kammer vorgelegt.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Es handelt sich bei der Ablehnung einer Pflichtverteidigerbestellung nicht um eine Entscheidung, die der Urteilsfällung im Sinne von § 305 Satz 1 StPO vorausgeht (h. M. vgl. Meyer-Goßner StPO, 54. Auflage 2011, § 141 Rdnr. 10a mit weiteren Nachweisen).

Die Beschwerde ist auch begründet. Dem Beschwerdeführer ist in dem zu prüfenden Einzelfall unter Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse der von ihm gewählte Verteidiger als Pflichtverteidiger zu bestellen.

Eine Bestellung ist hier gemäß § 140 Abs. 2 StPO auf Grund der Schwierigkeit der Rechtslage, die zur einer effektiven Verteidigung die vorherige Einsicht in Akten erforderlich macht, geboten.

Es handelt sich bei den angeklagten Vorwürfen um Taten, die Wirtschaftsstrafsachen i.S. des § 74c Abs. 1 Nr. 3 GVG darstellen und für die im Regelfall die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für erforderlich gehalten wird (Löwe-Rosenberg, StPO, 26. A., § 140 StPO, Rdnr. 70 m.w.N). Die Regelvermutung kann und wird zwar entfallen, wenn es sich im Einzelfall trotz der Einordnung als Wirtschaftsstrafsache lediglich um einfache steuer-, zoll- und abgabenrechtliche Sachverhalte handelt. Das gilt auch in Verfahren wegen des Vorenthaltens von Arbeitnehmerentgelten.

Im hier zu entscheidenden Fall spricht für einen "einfachen" Fall, dass es sich lediglich um drei Taten handelt und der der Anklage zugrunde gelegte Gesamtschaden mit 695,61 € nicht sehr hoch ist. Allerdings nimmt die Anklageschrift auf eine Vielzahl von Urkunden Bezug. Darunter befinden sich nicht nur die Lohnabrechnungen der Arbeitnehmer, die dem Beschwerdeführer im Wesentlichen bekannt sein dürften, sondern auch die der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren mitgeteilten Rückstandsaufstellungen der Einzugsstellen und die zusammenfassende Rückstandsaufstellung des Landeskriminalamtes. Aus Sicht der Kammer gebietet es der Grundsatz des fairen Verfahrens, dem Angeklagten derartige Zahlenwerke zur tatsächlichen und rechnerischen Prüfung vor einer Hauptverhandlung zur Verfügung zu stellen. Hier beruft sich die Staatsanwaltschaft für die Annahme einer Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers zu den Tatzeiten ferner auf die Aussage eines Arbeitsnehmers und einem durch diesen im Rahmen seiner Vernehmung vorgelegten Kontoauszug. Auch damit muss sich der Beschwerdeführer auseinandersetzen und die ermittelte Aktenlage prüfen können.

Da die Aktensicht nach § 147 Abs. 1, 4 StPO nur einem Verteidiger gewährt wird, ist die Sache in derartigen Fällen für den Angeklagten als schwierig anzusehen und die Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO zu bejahen (Meyer-Goßner, StPO, a.a.O., § 140, Rdnr. 27).

Eine Kostenentscheidung ist derzeit nicht veranlasst.

 

Fundstellen

Haufe-Index 4012749

AO-StB 2013, 26

StV 2012, 525

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