I. Entstehungsgeschichte

 

Rz. 1

[Autor/Stand] Weder die RAO 1919 noch die RAO 1931 enthielten eine § 398 AO entsprechende Regelung. Lediglich unter dem Gesetzestitel "Niederschlagung" in § 443 Abs. 2 RAO 1919, dem der § 477 Abs. 2 RAO 1931 entsprach, war Folgendes bestimmt:

Die Finanzämter sind befugt, von der Einleitung oder Durchführung einer Untersuchung abzusehen, wenn Steuerhinterziehung, Bannbruch oder Steuerhehlerei nicht in Frage kommt und das Verschulden des Täters gering ist.

Eine Ausnahme vom Zwang zur Verfolgung geringfügiger Gesetzesverstöße wurde erstmals als § 23 der sog. Emminger Verordnung[2] eingeführt. Die Regelung wurde auch in § 153 StPO[3] übernommen, so dass beide Einstellungsvorschriften nebeneinander bestanden[4].

Mit der ersatzlosen Aufhebung des § 477 Abs. 2 RAO durch das 1. AOStrafÄndG v. 10.8.1967[5] war in der Folgezeit eine Einstellung des Verfahrens nur noch nach § 153 StPO möglich[6]. In den folgenden AO-Reformentwürfen[7] fanden sich keine Vorschläge zur Änderung dieses Rechtszustandes[8].

 

Rz. 2

[Autor/Stand] Erst mit § 432a RAO, der am 1.1.1975 in Kraft getreten war und bis zum 31.12.1976 gegolten hat, fand eine Einstellungsregelung wieder Eingang in die Abgabenordnung. Hintergrund hierfür waren Beratungen zu dem Entwurf eines EGStGB[10].

Ziel war es, die bestehenden verfahrensrechtlichen Einschränkungen des § 153 StPO zu verringern, um dadurch die Verfolgung der Kleinkriminalität im Interesse einer Beschleunigung des Strafverfahrens und angesichts knapper Ressourcen überhaupt zu vereinfachen[11]. Da man den Großteil der Kleinkriminalität bei den sog. Vermögensdelikten sah, sollten in diesem Bereich die Voraussetzungen in der Weise gelockert werden, dass eine Einstellung allein durch die StA ohne Mitwirkung des Gerichts möglich sein sollte.

 

Rz. 3

[Autor/Stand] Da im Zeitpunkt der Beratung des EGStGB nicht sichergestellt war, dass der EAO 1974[13] am 1.1.1975 in Kraft treten würde, beschloss der Sonderausschuss, die damals geltenden Straf- und Bußgeldvorschriften der RAO vorsorglich an das 2. StrRG anzupassen, wobei er sich auf unerlässliche sachliche Änderungen beschränken wollte.

Die daraufhin ergangene Regelung in § 432a RAO als direkter Vorläufer des im Wesentlichen gleich lautenden § 398 AO zeigt enge Bezüge zur strafprozessualen Einstellungsvorschrift auf und wurde als "Folgeänderung des § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO" angesehen. Zur Begründung heißt es in dem Ersten Bericht des Sonderausschusses[14]:

"Nach der zuletzt genannten Vorschrift [Anm.: § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO] kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen, das gegen fremdes Vermögen gerichtet ist, und nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und das nur einen geringen Schaden verursacht hat, von der Verfolgung auch ohne Zustimmung des Gerichts absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Da die Steuerhinterziehung ein betrugsähnlicher Tatbestand zum Nachteil des Staates ist, erscheint es angemessen, bei einer nur geringfügigen Steuerverkürzung oder Steuervorteilserschleichung die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft in dem gleichen Umfange vorzusehen wie in § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO i.d.F. des Artikels 19 Nr. 41. Die Möglichkeit der Einstellung nach § 432a steht künftig bei einer geringfügigen Steuerverkürzung auch den Finanzbehörden zu, wenn sie das Ermittlungsverfahren selbständig durchführen (vgl. § 433 Abs. 1 AO). Gegen diese Ausweitung der Einstellungsbefugnis der Finanzbehörden ohne Zustimmung des Gerichts bestehen nach Ansicht der Ausschüsse keine Bedenken. Die Einstellungsbefugnis bezieht sich nur auf geringfügige Fälle. Die Finanzbehörden haben in diesen Fällen nicht die Möglichkeit, die Einstellung von der Zahlung eines Geldbetrages an den Staat oder eine gemeinnützige Einrichtung abhängig zu machen. Die Gefahr einer unsachgemäßen Anwendung der Einstellungsbefugnis besteht danach nicht."

Der mit dem EAO 1974 befasste Finanzausschuss (bzw. die von ihm eingesetzte Arbeitsgruppe "AO-Reform") hat "analog zu § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO" vorgesehen, dass bei geringer Schuld des Täters und fehlendem öffentlichen Interesse an einer Strafverfolgung die Einstellung eines Steuerstrafverfahrens auch durch die StA erfolgen kann[15]. Die Regelung des § 432a RAO ist sodann in § 398 AO 1977 übernommen wurden.

[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.08.2019
[2] VO über die Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege v. 4.1.1924, RGBl. I 1924, 15.
[3] I.d.F. v. 22.3.1924, RGBl. I 1924, 299 (322).
[4] Vgl. RG v. 16.12.1926 – II 591/26, RGSt 61, 96.
[5] BGBl. I 1967, 877.
[6] Zur früheren Rechtslage Fuchs, NJW 1957, 213; Lohmeyer, NJW 1960, 183; Mattern, DStZ/A 1956, 92 ff.
[7] Vgl. BR-Drucks. 23/71; BT-Drucks. VI/1982; BT-Drucks. 7/79.
[8] Ebenso Hellmann in HHSp., § 398 AO Rz. 3.
[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.08.2019
[10] Vgl. BT-Drucks. 7/550 zu Art. 19 Nr. 41.
[11] BT-Drucks. 7/550, 297; vgl. dazu Cramer in FS Maurach, S. 487 ff.; Dreher in FS Welzel,...

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