Rz. 1

[Autor/Stand] Die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens stellt den ersten markanten Abschnitt eines Strafverfahrens dar und zieht bereits weitreichende Konsequenzen nach sich. Die Rechtsstellung des betroffenen Verdächtigen ändert sich grundlegend. Als Beschuldigtem[2] steht ihm ein umfassendes und verfassungsrechtlich abgesichertes Schweigerecht zur Seite. In Steuerstrafsachen treten Besonderheiten aufgrund der Parallelität von Besteuerungs- und Strafverfahren hinzu. So sind fortbestehende steuerrechtliche Mitwirkungspflichten nicht mehr mit Zwangsmitteln durchsetzbar (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Nachweis der Tat kann mitunter schwierig werden, da sich der anwaltlich beratene Betroffene regelmäßig auf sein Schweigerecht berufen wird; indes die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung (für nachgelagerte) Zeiträume nicht suspendiert wird. Andererseits hat der Beschuldigte in bestimmten Grenzen Zwangsmaßnahmen bis hin zum vorübergehenden Verlust der persönlichen Freiheit hinzunehmen (s. dazu § 385 Rz. 232 ff.). Unterlagen, welche der Betroffene bislang nicht freiwillig herausgegeben hat, können bspw. bei einer Durchsuchung aufgefunden und sichergestellt werden.

Trotz der enormen Relevanz ist in der StPO weder der Begriff des Beschuldigten definiert noch wird umschrieben, ab wann ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist. Anders die AO: Nach § 397 Abs. 1 AO ist der Zeitpunkt kennzeichnend, ab dem eine Ermittlungsbehörde gegen den Betroffenen eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat vorzugehen. Wurde in der allgemeinen strafrechtlichen Praxis der Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und damit die Begründung der Beschuldigteneigenschaft überwiegend anhand eines Willensaktes[3] der zuständigen Strafverfolgungsbehörde bestimmt[4], wird mittlerweile in Anlehnung an die Legaldefinition in § 397 Abs. 1 AO auch auf rein objektive Vorgänge abgestellt, die als strafprozessuale Maßnahmen qualifiziert werden können (bspw. wenn bei bestehendem Anfangsverdacht eine Vernehmungsperson dem Betroffenen in amtlicher Funktion gegenübertritt[5], (s. Rz. 8).

Anhand der Definition in § 397 Abs. 1 AO mit der Kombination von objektiven und subjektiven Elementen lässt sich feststellen, durch welchen Vorgang und ab wann ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Die Vorschrift dient dem Schutz des Stpfl. und der Abgrenzung des Steuerstraf- vom Besteuerungsverfahren[6]. Das hat seinen Grund darin, dass dem Strafverfahren zumeist steuerrechtliche Ermittlungen vorausgehen, die später in steuerstrafrechtlicher Richtung erweitert werden. In allgemeinen Strafverfahren lässt sich zumeist durch das Auftreten der StA oder ihrer Ermittlungspersonen erkennen, dass ein Ermittlungsverfahren "läuft". Dagegen ist in Steuerstrafsachen trotz des Gebots der Verfahrenstrennung (§ 393 Abs. 1 Satz 1 AO) für den Stpfl. oft nicht eindeutig ersichtlich, wann er nach Einschätzung der Finanzbeamten zum Beschuldigten wird, denn die FinB und vor allem die Steufa können sowohl in steuerrechtlicher als auch in strafrechtlicher Hinsicht ermitteln, und zwar grds. parallel und unabhängig voneinander.

In Anbetracht dieser wichtigen Schutzfunktion stellt § 397 AO eine Schlüsselnorm für Verfahrensverstöße und Beweisverwertungsverbote (s. § 385 Rz. 1045 ff.) dar[7].

Die Verfahrenseinleitung darf nicht derart hinausgezögert werden, um mit den Mitteln des Besteuerungsverfahrens unter Mitwirkung des betroffenen Verdächtigen den Sachverhalt aufzuklären[8]. Der Schutzgedanke der Vorschrift sollte aber nicht den Blick auf die sonstigen für den betroffenen Stpfl. nachteiligen Folgen verdecken, die die Verfahrenseinleitung mit sich bringt, sondern muss erlauben, die einzelnen Voraussetzungen der Vorschrift restriktiv im Hinblick auf den Ausschluss der strafbefreienden Selbstanzeige und die Verjährungsunterbrechung auszulegen.

Die Vorschrift gilt gem. § 410 Abs. 1 Nr. 6 AO entsprechend für die Einleitung eines Bußgeldverfahrens wegen einer Steuerordnungswidrigkeit.

[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.09.2021
[2] Zum Begriff des Beschuldigten und der Mitwirkungspflicht Schuhr in MünchKomm, Vor §§ 133 ff. StPO Rz. 23 ff.
[3] Vgl. hierzu BGH v. 27.2.1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214 (228); BGH v. 28.2.1997 – StB 14/96, 2 BJs 65/95 - 3 - StB 14/96, NStZ 1997, 398.
[4] BGH v. 18.10.1956 – 4 StR 278/56, BGHSt 10, 8 (12); BGH v. 23.7.1986 – 3 StR 164/86, BGHSt 34, 138 (140); OLG Frankfurt v. 15.4.1988 – 1 Ws 36-38/88, NStZ 1988, 425 (426).
[5] BGH v. 27.2.1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214 (228); BGH v. 24.7.2003 – 3 StR 212/02, StV 2003, 540 (541); BGH v. 6.6.2019 – StB 14/19, NJW 2019, 2627 (2630); Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt64, Einl. Rz. 76; Gleß in LR27, § 136 StPO Rz. 4 f.; Hellmann in HHSp., § 397 AO Rz. 8.
[6] Jäger in JJR8, § 397 AO Rz. 6; Suhr/Naumann/Bilsdorfer4, Rz. 628; Nikolaus in Schwarz/Pahlke, § 397 AO Rz. 1a und 2; Hadamitzky/Senge in Erbs/Kohlhaas, § 397 AO Rz. 1.
[7] Zur Entstehungsg...

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