Leitsatz

Im Amtsblatt veröffentlichte Gemeinschaftsvorschriften muss jedermann, unabhängig vom Zeitpunkt der Veröffentlichung (hier: am Samstag), jedenfalls dann kennen, wenn er von der drohenden Gefahr der Einführung der betreffenden Abgabe Kenntnis hatte.

 

Normenkette

Art. 13 EWGVO 1430/79

 

Sachverhalt

Ein Importeur wollte frische Kirschen aus Polen einführen. An einem Freitag wurde in Brüssel gegen Abend beschlossen, solche Einfuhren mit Wirkung vom Montag an mit einer hohen sog. Ausgleichsabgabe zu belegen. Die betreffende Verordnung wurde am Samstag im Amtsblatt verkündet. Die Klägerin führte Montag, Dienstag und Donnerstag Kirschen ein, ohne vom Ergehen der Verordnung erfahren zu haben. Sie begehrte ohne Erfolg Erlass der Ausgleichsabgabe.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision in dem FG-Urteil zurückgewiesen, weil die Rechtslage klar sei. Die Klägerin habe gewusst, dass möglicherweise noch am Freitagabend eine Verordnung erlassen werde. Sie habe deshalb ggf. mit Hilfe ihres Handelsverbands Vorsorge treffen müssen, dass sie davon am Wochenende erfahren würde und dass sie sich darauf noch einstellen könnte. Dies sei möglich gewesen. Denn auch am Wochenende könnten mit einem besonderen Ausweis ausgestattete Interessenten beim Amt für amtliche Veröffentlichungen in Brüssel in den Besitz eines neuen Amtsblatts gelangen.

Solche Anstrengungen (z.B. Einschaltung eines bei der Kommission entsprechend akkreditierten Rechtsanwalts) habe die Klägerin jedenfalls deshalb unternehmen müssen, weil das Marktgeschehen beim Handel mit verderblichen Waren schnelle Reaktionen der Kommission erfordern könne und sie gewusst habe, dass die Kommission die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen im Kirsch-Sektor am Freitagnachmittag erörterte.

 

Hinweis

1. Erstattung und Erlass der materiell im Gemeinschaftsrecht geregelten Zölle und sonstigen Eingangsabgaben richten sich, auch in Fällen der Unbilligkeit der Abgabenerhebung, nicht nach der AO, sondern nach Gemeinschaftsrecht (heute: Art. 235 ff. ZK, ZKDVO; deren Vorschriften haben inzwischen die EWGVO 1430/79 ersetzt). Das Gemeinschaftsrecht kennt insofern den Begriff der "Unbilligkeit" nicht; es regelt die Erlasstatbestände differenzierter (und meist deutlich enger).

Ein dem deutschen Unbilligkeits-Tatbestand gewissermaßen vergleichbarer Auffangtatbestand besteht im Gemeinschaftsrecht allerdings ebenfalls: Abgaben können erstattet oder erlassen werden bei Vorliegen "besonderer Umstände" (sofern der Zollbeteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat).

Der Antrag ist an die nationale (Zoll-)Behörde zu richten. Sie kann ihn ablehnen. Sie darf jedoch das Vorliegen besonderer Umstände nicht selbst annehmen, sondern muss den Erlassantrag der Europäischen Kommission zur Entscheidung vorlegen, wenn sie eine positive Entscheidung über ihn für möglich hält (Rechtsweg gegen die Kommissionsentscheidung zum EuG).

2. Das sofortige In-Kraft-Treten einer eben erst verkündeten Rechtsvorschrift ist kein besonderer Umstand, selbst wenn es für den Wirtschaftsbeteiligten (wie regelmäßig beim Gemeinschaftsrecht) schwierig ist, sich schnell Kenntnis vom Ergehen neuer Regelungen zu verschaffen und sich auf sie einzustellen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 26.1.2001, VII B 19/00

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