Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung vorrangiger Kindergeldansprüche im EU-Ausland und sogenanntes Differenzkindergeld

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Eine Anrechnung vorrangiger Kindergeldansprüche des erwerbstätigen Elternteils im EU-Ausland auf die Kindergeldansprüche der zusammen mit dem Kind im Inland wohnenden nicht erwerbstätigen Kindesmutter kommt auch unter Geltung des Art. 68 der VO Nr. 883/2004 nicht in Betracht, wenn der Kindesvater keinen Antrag auf Kindergeld in dem EU-Land gestellt und dort tatsächlich kein Kindergeld bezogen hat (vgl. EuGH-Urteil vom 22.10.2015, Trapkowski, C-378/14, NJW 2016, 1147).
  2. Eine Kürzung des deutschen Kindergeldanspruchs nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist im sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 04.02.2016 - III R 9/15, BStBl II 2017, 121).
 

Normenkette

VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 11 Abs. 1; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 11 Abs. 3 Buchst. a; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 11 Abs. 3 Buchst. e; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 68 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 S. 2, Art. 91 Abs. 2; VO (EG) Nr. 987/2009 Art. 60 Abs. 2; VO (EG) Nr. 987/2009 Art. 97 Abs. 1 S. 2; EStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Streitjahr(e)

2016, 2017, 2018

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 09.12.2020; Aktenzeichen III R 43/18)

 

Tatbestand

Streitig ist noch, ob das gegenüber der Klägerin festgesetzte Kindergeld für den Zeitraum Mai 2010 bis April 2016 teilweise aufgehoben werden durfte.

Im Oktober 1998 stellte die Klägerin erfolgreich einen Antrag auf Kindergeld für ihren am 12.10.1998 geborenen Sohn B. Sie war zu diesem Zeitpunkt mit dem Kindesvater, Herrn C, verheiratet. Die Ehe wurde 2001 geschieden. B blieb in der Folgezeit im Haushalt der Klägerin, die keiner Erwerbstätigkeit nachging.

Nach Aktenlage ist B am 28.04.2016 zu seinem Vater gezogen. Die Beklagte nahm dies zum Anlass, die gegenüber der Klägerin erfolgte Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 03.05.2016 ab Mai 2016 aufzuheben. Einspruch wurde nicht eingelegt.

Im Juli 2016 erfuhr die Beklagte, dass der Kindesvater seit Januar 2009 in einem EU-Land erwerbstätig ist. Nach Anhörung der Klägerin reduzierte sie die Kindergeldfestsetzung für B für die Monate Januar 2009 bis April 2016 mit Bescheid vom 07.12.2016 auf die Beträge, die nach Anrechnung eines eu-ländischen Kindergeldanspruchs verbleiben (sog. Differenzkindergeld). Zugleich wurde die Klägerin aufgefordert, für den Zeitraum Januar 2009 bis April 2016 Kindergeld i.H.v. 7.422,20 € zurückzuzahlen. Zur Begründung wurde angeführt, dass vorrangig Anspruch auf eu-ländisches Kindergeld bestehe, weil der Kindesvater in dem EU-Land erwerbstätig sei, während die Klägerin keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei.

Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein. Sie trug vor, dass in dem EU-Land zu keinem Zeitpunkt Kindergeld bezogen worden sei und daher auch kein Kindergeld anzurechnen sei. Der Kindesvater habe zwar im Streitzeitraum in dem EU-Land gearbeitet, dort aber kein Kindergeld beantragt.

Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 25.10.2017 als unbegründet zurückgewiesen.

Die Klägerin hat sodann Klage erhoben.

Mit Bescheid vom 23.01.2018 wurde dem Klagebegehren bezüglich der Monate Januar 2009 bis April 2010 abgeholfen. Das diesbezügliche Verfahren wurde nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache abgetrennt. Streitzeitraum sind damit nur noch die Monate Mai 2010 bis April 2016.

Die Klägerin beantragt,

den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 07.12.2016 sowie die Einspruchsentscheidung vom 25.10.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass die Abhilfe für die Monate Januar 2009 bis April 2010 wegen der EuGH-Rechtsprechung zu der damals geltenden „alten” Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 erfolgt sei (Rechtssache „Schwemmer, Urteil vom 14.10.2010, C-16/09). Diese Rechtsprechung habe nämlich zur Folge gehabt, dass bloß „fiktiv” im Ausland bestehende Kindergeldansprüche, welche aufgrund fehlender Antragstellung nicht ausgezahlt worden seien, nicht auf den Kindergeldanspruch in Deutschland angerechnet werden durften.

Ab Mai 2010 gelte jedoch die „neue” Verordnung (EG) Nr. 883/2004. Auf diese Verordnung sei die Rechtsprechung aus der Sache „Schwemmer” nicht anwendbar, weil nach der neuen Verordnung die Problematik, dass Ansprüche im Ausland wegen fehlender Antragstellung verloren gingen, nicht mehr eintreten könne. Denn Art. 68 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 regele, dass der in einem nachrangig zuständigen Mitgliedstaat gestellte Kindergeldantrag automatisch an den vorrangig zuständigen Mitgliedstaat weiterzuleiten sei. Zu einem Verlust von Kindergeldansprüchen könne es ausnahmsweise nur noch dann kommen, wenn der Kindergeldberechtigte die Tatsachen, aus denen sich die Nachrangigkeit des Kindergeldanspruchs ergebe, der Familienkasse nicht mitteile. So verhalte es sich auch hier. Die Klägerin habe ihre Mitwirkungspflichten verletzt, da sie der Familienkasse nicht mitgeteilt habe, dass der Kindesvater eine Erwerbs...

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