rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach bestandskräftiger Aufhebung und Rückforderung von Kindergeld. objektiver und subjektiver Tatbestand der Steuerhinterziehung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen erfordert das Vorliegen einer vollendeten Steuerhinterziehung. Es müssen sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand sowie Rechtswidrigkeit und Schuld erfüllt sein.

2. Der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung ist erfüllt, wenn der Kindergeldbezieher es unterlässt, der Familienkasse den Ausbildungsabbruch des volljährigen Kindes anzuzeigen und weiterhin Kindergeld bezieht.

3. Ein Kindergeldberechtigter handelt regelmäßig nur grob fahrlässig, selbst wenn er das „Merkblatt über Kindergeld” erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen hat, aber den dort genannten Mitwirkungspflichten nicht nachkommt. Dies gilt sogar dann, wenn die Anforderungen an die Mitwirkung klar erkennbar und die Erläuterungen hierzu leicht verständlich abgefasst sind und auf die besondere Situation eingehen, an die die Mitwirkungspflicht anknüpft.

4. Kann nicht festgestellt werden, dass der Täter die Verwirklichung des Tatbestandes für möglich gehalten und diese billigend in Kauf genommen hat, also in dem Bewusstsein eines unehrlichen Verhaltens unter Inkaufnahme der aus diesem Verhalten resultierenden Konsequenzen gehandelt hat, ist der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfüllt.

 

Normenkette

AO § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 S. 2 1. Hs, § 235; EStG § 31 S. 3, § 68 Abs. 1; StGB §§ 15-16

 

Tenor

Der Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen vom 15. März 2016 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 23. August 2016 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach bestandskräftiger Aufhebung und Rückforderung von Kindergeld.

Die Klägerin und zwischenzeitlich siebenfache Mutter bezog für ihre am 17. September 1994 geborene Tochter C laufend Kindergeld. Grundlage der letzten Kindergeldfestsetzung war ein entsprechender Kindergeldantrag der Klägerin vom 15. August 2012 sowie die Vorlage eines Berufsausbildungsvertrages mit der Firma D GmbH in Z. Danach sollte sich die Tochter in der Zeit von August 2012 bis voraussichtlich Juli 2015 in Ausbildung zur Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk befinden.

Bei ihrem Erstantrag auf Kindergeld im Jahr 1997 sowie im Folgeantrag vom 18. August 2012 aufgrund Vollendung des 18. Lebensjahres der Tochter C unterschrieb die Klägerin folgende vorgedruckte im Wesentlichen inhaltsgleiche Erklärung:

„Mir ist bekannt, dass ich alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen habe. Das Merkblatt über Kindergeld habe ich erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen.”

Im Zuge der rückwirkenden Überprüfung des während der Berufsausbildung ausgezahlten Kindergeldes bat die Beklagte um Nachweise für das Ende der Ausbildung und hob zugleich Kindergeld ab dem Monat August 2015 mit Bescheid vom 13. Juli 2015 auf. Am 18. August 2015 teilte die Klägerin gegenüber der Beklagten telefonisch mit, dass C ihre Berufsausbildung abgebrochen habe. Im Anschluss an die Geburt eines eigenen Kindes am 21. Oktober 2013 habe sich C in Elternzeit befunden. In der im September 2015 bei der Beklagten eingegangenen „Erklärung zum Ausbildungsverhältnis” wurde der Beklagten bekannt, dass das Ausbildungsverhältnis am 4. April 2013 beendet worden ist. Die Erklärung enthält den handschriftlichen Zusatz der Klägerin „wurde Kindergeldstelle mitgeteilt”.

Nachdem trotz Aufforderung keine Nachweise über weitere Ausbildungsbemühungen ab Mai 2013 eingereicht worden waren, hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 16. Oktober 2015 für die Zeit ab Mai 2013 auf und forderte das überzahlte Kindergeld für die Zeit von Mai 2013 bis Juli 2015 i. H. v. … EUR von der Klägerin zurück. Dagegen hat die Klägerin Einspruch eingelegt, zu dessen Begründung sie unter anderem ausführte, sie sei – nach einem Eintrag in ihren Unterlagen – ihrer Mitteilungspflicht bereits im April 2013 nachgekommen und habe die Beklagte schriftlich darüber informiert, dass C die Ausbildung aufgrund ihrer Schwangerschaft habe vorzeitig beenden müssen. Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2016 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Da nach Ansicht der Beklagten die Klägerin ihre Mitwirkungspflicht verletzt habe und deshalb hinsichtlich des Rückforde...

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