Leitsatz

1. Beurteilt sich die Steuerfreiheit von Heilbehandlungen eines Facharztes für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik im Bereich der Humanmedizin unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL oder nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL?

2. Setzt die Anwendbarkeit von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL – falls diese Bestimmung anwendbar ist – ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und der behandelten Person voraus?

 

Normenkette

§ 4 Nr. 14 Buchst. a und b UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Der Kläger, ein Facharzt für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik, erbrachte ab dem 1.10.2009 nur noch Leistungen der Befunderhebung usw. an die X-GmbH, ein Laborunternehmen. Die X-GmbH erbrachte Laborleistungen an niedergelassene Ärzte, Rehakliniken, Gesundheitsämter und Kranken­häuser.

Der Kläger ging davon aus, dass diese Umsätze als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG steuerfrei seien.

Das FA sah die betreffenden Umsätze dagegen als steuerpflichtig an, weil die Leistungen von Laborärzten nicht auf einem persönlichen Vertrauensverhältnis zu den Patienten beruhen, das Voraussetzung für die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG sei.

Das FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 10.11.2015, 2 K 2409/13, Haufe-Index 8889548, EFG 2016, 240) gab der Klage statt. Es nahm an, die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG setze kein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und den Patienten voraus.

 

Entscheidung

Der BFH hat zwar im Grundsatz die Wertung des FG bestätigt, dass die Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG vorliegen, fragt aber den EuGH, ob bei medizinischen Analysen die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL durch Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL verdrängt wird.

 

Hinweis

1. Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, steuerfrei; dem entspricht § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG. Personelle Voraussetzung der Steuerbefreiung ist die Ausübung eines vom Mitgliedstaat anerkannten Berufs.

2.Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL befreit demgegenüber Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder in sozialer Hinsicht vergleichbaren anderen anerkannten Einrichtungen bewirkt werden. Personelle Voraussetzung ist also nicht die berufliche Befähigung des Leistenden, sondern die Anerkennung als befreite Einrichtung. Dies soll durch § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG in nationales Recht umgesetzt werden.

3. Zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c MwStSystRL hat der EuGH entschieden (EuGH, Urteil vom 8.6.2005, C-146/05L. u. P., EU:C:2006:380, UR 2006, 464), dass bei medizinischen Analysen, die von – in privatrechtlicher Form organisierten – Laboren außerhalb der Praxisräume des praktischen Arztes durchgeführt werden, der sie angeordnet hat, zu prüfen ist, ob die Analysen unter Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG fallen können. Der BFH hat diese Rechtsprechung zum neuen Recht übernommen (vgl. BFH, Urteil vom 15.3.2007, V R 55/03, BFH/NV 2007, 1436, BStBl II 2008, 31; BFH, Urteil vom 24.8.2017, V R 25/16, BFH/NV 2017, 1687, BFH/PR 2017, 409).

a) Dahinter steht der Gedanke, dass maßgeblich für die Abgrenzung der beiden Befreiungstatbestände weniger die Art der Leistung sei als vielmehr der Ort ihrer Erbringung ist: den ärztlichen Heilbehandlungen in anerkannten Krankenhäusern und anderen Einrichtungen mit sozialer Zweckbestimmung werden diejenigen Leistungen gegenübergestellt, die außerhalb von Krankenhäusern und anerkannten Einrichtungen erbracht werden (EuGH, Urteil vom 23.2.1988, C-353/85, Kommission/UK, EU:C:1988:82, HFR 1989, 401, Rz. 33; EuGH, Urteil vom 6.11.2003, C-45/01, Dornier, EU:C:2003:595, UR 2003, 584, Rz. 47). Nach ­den Vorstellungen des deutschen Gesetzgebers (BT-Drucks. 16/10189, S. 75) können deshalb u.a. Einrichtungen von Laborärzten oder klinischen Chemikern nur unter § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG fallen.

b) Diese Sichtweise widerspricht möglicherweise Rz. 25 des EuGH-Urteils (EuGH, Urteil vom 13.3.2014, C-366/12, Klinikum Dortmund, EU:C:2014:143, UR 2014, 271), wonach Heilbehandlungen, die Ärzte erbringen, die gegenüber einem Klinikum selbstständig, aber innerhalb des Krankenhausbetriebs tätig sind, gemäß der Vorgängervorschrift zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL von der Mehrwertsteuer befreit sind, obwohl sie im Krankenhaus ausgeführt werden. Dies entspricht der (früheren?) Rechtsprechung des V. Senats des BFH, wonach ärztliche Leistungen des Arztes gemäß § 4 Nr. 14 UStG a.F. auch dann steuerfrei waren, wenn er ein Krankenhaus betrieb; der BFH ging in Bezug auf Ärzte wohl von einem Nebeneinan...

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