Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung von Geldspielautomaten nach dem Stückzahlmaßstab verfassungswidrig
Leitsatz (redaktionell)
1. Der für die Bemessung der Vergnügungsteuer herangezogene Stückzahlmaßstab führt zu einer ungleichen Belastung der Automatenaufsteller, weil er, unabhängig davon, wie stark im konkreten Fall die Einspielergebnisse der einzelnen Geräte voneinander abweichen, strukturell ungeeignet ist, den notwendigen Bezug zum Vergnügungsaufwand der Spieler zu gewährleisten.
2. Auf die im Zentrum der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen stehenden Fragen, unter welchen Voraussetzungen eine nach Maßgabe der damaligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung übergroße Schwankungsbreite der Einspielergebnisse der Gewinnspielautomaten festgestellt ist und wer die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt, kommt es auf der Grundlage des Beschlusses des BVerfG vom 04.02.2009, 1 BvL 8/05 nicht mehr an.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 27.11.2008; Aktenzeichen 2 S 3079/08) |
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 30.10.2008; Aktenzeichen 2 S 2445/08) |
VG Freiburg i. Br. (Urteil vom 02.07.2008; Aktenzeichen 5 K 1092/08) |
Tenor
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 2. Juli 2008 – 5 K 1092/08 – verstößt gegen Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
2. Damit werden die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 30. Oktober 2008 – 2 S 2445/08 – und vom 27. November 2008 – 2 S 3079/08 – gegenstandslos.
3. Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu ersetzen.
Tatbestand
I
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Besteuerung von Geldspielautomaten durch eine nach der Zahl der aufgestellten Automaten (Stückzahlmaßstab) bemessene Vergnügungsteuer.
1. Der Beschwerdeführer ist Inhaber einer Firma, die Spielautomaten in Spielhallen aufstellt und dort betreibt. In der Stadt L. betrieb der Beschwerdeführer in den streitigen Veranlagungszeiträumen 2005 und 2006 in zwei Spielhallen Geldgewinnspielgeräte. Seit 1982 galt für das Gebiet der Stadt L. eine Satzung über die Erhebung einer Vergnügungsteuer. Steuerpflichtige Vergnügungen waren unter anderem das Bereitstellen von Spielautomaten (§ 2 Nr. 4 Vergnügungsteuersatzung in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung). Die Steuer für den Betrieb von Geldgewinnspielgeräten wurde als Pauschsteuer nach einem festen Satz je Spielgerät und Monat vom Unternehmer der Veranstaltung erhoben (§§ 3, 5 Vergnügungsteuersatzung).
Die Stadt setzte mit den angegriffenen Bescheiden gegen den Beschwerdeführer zuletzt Vergnügungsteuer für das Jahr 2005 in Höhe von 33.990 EUR und für das Jahr 2006 in Höhe von 25.935 EUR fest. Sein Widerspruch blieb erfolglos.
Am 26. November 2007 beschloss der Rat der Stadt L. ab dem Veranlagungszeitraum 2008 eine neue Vergnügungsteuersatzung, die die Erhebung der Steuer nach einem Prozentsatz der Einspielergebnisse vorsah.
2. Mit seiner zum Verwaltungsgericht erhobenen Klage versuchte der Beschwerdeführer durch Vorlage entsprechender Zählwerksausdrucke nachzuweisen, dass für die Veranlagungszeiträume 2005 und 2006 die Einspielergebnisse der in der Stadt L. aufgestellten Spielgeräte die nach der damaligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung für einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab noch zulässige Schwankungsbreite überschritten hätten.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab, weil die behauptete Rechtswidrigkeit des Stückzahlmaßstabs mangels hinreichend verlässlicher Datengrundlage über die Einspielergebnisse der Jahre 2005 und 2006 nicht festgestellt werden könne. Das gehe zu Lasten des Beschwerdeführers.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg lehnte die Zulassung der Berufung ab. Die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers blieb ebenfalls erfolglos.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4, Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Verwaltungsgerichtshof habe unzumutbar hohe Anforderungen an die Darlegungspflicht in dem auf Zulassung der Berufung gerichteten Verfahren gestellt. Die vorhandenen Daten seien ausreichend gewesen, um die Steuersatzung zu überprüfen und festzustellen, dass die zulässige Schwankungsbreite überschritten worden und das Urteil des Verwaltungsgerichts damit falsch sei. Unzutreffend sei es auch gewesen, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf Beweislastgrundsätze zu stützen. Die Steuererhebung nach dem Stückzahlmaßstab verletzte die Berufsfreiheit und den Gleichheitssatz. Durch technische Neuerungen bei den Geldspielgeräten sei seit 1997 der Ansatz eines Wirklichkeitsmaßstabs möglich. Die Stadt L. habe diesen Maßstab jedoch erst verspätet zum Jahr 2008 eingeführt.
2. Das Land Baden-Württemberg und die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Hinsichtlich der Rüge der Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG durch den Stückzahlmaßstab räumt die Stadt L. in ihrer Stellungnahme ein, dass das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 4. Februar 2009 (BVerfGE 123, 1) eine Besteuerung nach diesem Maßstab generell als untauglich und damit unzulässig erachte. Wenn dies auf den Streitfall übertragen werde, bedeute es jedoch nicht zwingend die Annahme der Nichtigkeit der Steuersatzung. Für eine Übergangszeit könnte auch hier – bis zum Inkrafttreten der auf den Wirklichkeitsmaßstab beruhenden Steuersatzung zum 1. Januar 2008 – die Weitergeltung des Stückzahlmaßstabs als zulässig erachtet werden. Wenn unter den gegebenen Verhältnissen nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts schon ein Gesetz im formellen Sinn trotz Verfassungswidrigkeit für einen begrenzten Zeitraum seine Wirksamkeit nicht einbüße, so könne dies auch für untergesetzliche Rechtsnormen, denen kein so großes Wirkungsspektrum wie einem Gesetz im formellen Sinne zukomme, gelten.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche Frage zur Verfassungsmäßigkeit des Stückzahlmaßstabs bei Erhebung einer Vergnügungsteuer auf den Betrieb von Gewinnspielautomaten ist entschieden (vgl. BVerfGE 123, 1); die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf gleichheitsgerechte Besteuerung, denn es bestätigt die angegriffenen Steuerbescheide, die auf einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Vergnügungsteuersatzung der Stadt L. beruhen.
Der in dieser Satzung für die Bemessung der Vergnügungsteuer herangezogene Stückzahlmaßstab führt zu einer ungleichen Belastung der Automatenaufsteller, weil er, unabhängig davon, wie stark im konkreten Fall die Einspielergebnisse der einzelnen Geräte voneinander abweichen, strukturell ungeeignet ist, den notwendigen Bezug zum Vergnügungsaufwand der Spieler zu gewährleisten (vgl. BVerfGE 123, 1 ≪23, 29≫). Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 4. Februar 2009 vor dem Hintergrund der derzeitigen Gegebenheiten des Spielgerätemarktes allgemein zur Vergnügungsteuer entschieden, unabhängig von den Besonderheiten der Rechts- oder Tatsachenlage in Hamburg, dessen Spielgerätesteuergesetz in jenem Verfahren zur Überprüfung stand (vgl. BVerfGE 123, 1 ≪29≫).
Auf die im Zentrum der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen stehenden Fragen, unter welchen Voraussetzungen eine nach Maßgabe der damaligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung übergroße Schwankungsbreite der Einspielergebnisse der Gewinnspielautomaten festgestellt ist und wer die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt, kommt es auf der Grundlage des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Februar 2009 nicht mehr an.
2. Der festgestellte Verfassungsverstoß führt zur Aufhebung des auf der verfassungswidrigen Vergnügungsteuersatzung beruhenden verwaltungsgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Verwaltungsgericht wird nach dem insoweit zunächst maßgeblichen einfachen Recht darüber zu befinden haben, ob der Verstoß der Vergnügungsteuersatzung gegen höherrangiges Recht zur Regelfolge ihrer Unwirksamkeit und damit zur Aufhebung der angegriffenen Bescheide führt, oder ob – wie die Stadt L. geltend macht – die Satzung wegen besonderer Umstände ausnahmsweise für eine gewisse Übergangszeit anwendbar bleibt (vgl. dazu für den Fall der Normenkontrolle BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2010 – BVerwG 9 CN 1.09 – juris Rn. 29 unter Hinweis auf die „Heilungsmöglichkeiten” des Satzungsgebers, bestätigt durch Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. September 2009 – 1 BvR 2384/08 –, NVwZ 2010, 313).
Damit werden die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg gegenstandslos.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Eichberger, Masing
Fundstellen
Haufe-Index 2628047 |
BFH/NV 2011, 736 |
HFR 2011, 478 |