Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 15.04.1964)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. April 1964 wird aufgehobene

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesene

 

Gründe

Der Kläger (geboren 1896) begehrt das vorzeitige Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) war er seit Ende des ersten Weltkrieges bis April 1941 als Kellner beschäftigt und von Mai 1941 bis Oktober 1944 bei der Luftschutzpolizei notdienstverpflichtet. Danach war er Feuerwehrmann bei der Stadt Aachen, zuerst im Angestelltenverhältnis und seit 1950 als Beamter. Zum 1. April 1957 wurde er als Oberfeuerwehrmann – mit Ruhegehalt und Abfindung – in den dauernden Ruhestand versetzt. Ende Februar 1958 meldete er sich beim Arbeitsamt als Arbeitsuchender und unterzog sich in der Folgezeit laufend der Meldekontrolle.

Den im März 1959 gestellten Antrag auf das vorzeitige Altersruhegeld lehnte die Beklagte ab, weil der Kläger als pensionierter Beamter nicht arbeitslos i. S. des Gesetzes sei (Bescheid vom 5. Oktober 1959). Das Sozialgericht (SG) Aachen wies die Klage ab (Urteil vom 28. April 1960). Das LSG Nordrhein-Westfalen verurteilte die Beklagte, dem Kläger (der vom 1. Juli 1961 an das Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG erhält) das vorzeitige Altersruhegeld für die Zeit vom 1. März 1959 bis 30. Juni 1961 zu gewähren; dabei ließ es die Revision zu: Auch ein pensionierter Beamter könne Arbeitnehmer i. S. des Rentenrechts und arbeitslos nach § 25 Abs. 2 AVG sein. Jedenfalls könne er zum Kreis der Arbeitnehmer zurückkehren. Der Kläger habe infolge vorzeitiger Pensionierung eine erhebliche finanzielle Einbuße erlitten und sei dadurch veranlaßt worden, sich um Arbeit und zusätzlichen Verdienst zu bemühen. Er habe auch ein Jahr lang ununterbrochen der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden und sei – wie sich schon aus seiner Meldung beim Arbeitsamt ergebe – ernsthaft gewillt gewesen, eine Arbeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes aufzunehmen. Gegen seine Arbeitsbereitschaft spreche nicht, daß er keine sonstigen Nachweise für Bemühungen um Arbeit beibringen könne, ebensowenig der Umstand, daß er sich dem Arbeitsamt gegenüber besonders an der Vermittlung als Büfettier, Zapfer oder Gaststättenhelfer interessiert gezeigt habe. Damit sei nicht gesagt, daß der Kläger nicht auch jede sich sonst bietende Arbeit angenommen hätte (Urteil vom 15. April 1964).

Die Beklagte legte Revision ein mit dem Antrag,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen;

hilfsweise, den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG habe § 25 Abs. 2 AVG unrichtig angewandt und die §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt. Es habe zwar mit Recht den Begriff der Arbeitslosigkeit nach § 75 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) zugrunde gelegt. Aber selbst wenn man annehme, daß auch pensionierte Beamte arbeitslos im Sinne des Gesetzes sein können, beruhe die Annahme des LSG, der Kläger sei ernsthaft um die Erlangung von Arbeit bemüht gewesen, auf einer Verletzung der Aufklärungspflicht und des richterlichen Beweiswürdigungsrechts. Das LSG habe nicht genügend geklärt, ob der Kläger sich der Arbeitsvermittlung uneingeschränkt zur Verfügung gestellt habe oder nur für bestimmte Berufe, wie Büfettier, Zapfer und dergleichen. Ebensowenig sei geklärt worden, über welche Fähigkeiten und Kenntnisse der Kläger auf Grund seiner Beamtentätigkeit verfüge. Schließlich seien die bloßen Vorsprachen beim Arbeitsamt für den Nachweis des ernstlichen Arbeitswillens nicht ausreichend.

Der Kläger beantragte

die Zurückweisung der Revision.

Er wandte sich gegen die Feststellung des LSG, daß er außer den Vorsprachen beim Arbeitsamt keine sonstigen Bemühungen um Arbeit nachweisen könne; er legte die Bescheinigungen mehrerer Firmen vor, bei denen er in den Jahren 1957 und 1958 erfolglos wegen Arbeit vorgesprochen habe.

Die Revision ist zulässig und auch begründet. Der Auffassung des LSG, der Kläger habe für die streitige Zeit Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld, kann sich der Senat nach den im Verfahren bisher getroffenen Feststellungen nicht anschließen.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es – da die sonstigen Voraussetzungen nach § 25 Abs. 2 AVG erfüllt sind – allein darauf an, ob der Kläger am 1. März 1959 seit mindestens einem. Jahr ununterbrochen arbeitslos gewesen ist. Dies setzt, wie das Bundessozialgericht (BSG) schon wiederholt entschieden hat, voraus, daß der Kläger in dem nach dem Gesetz maßgeblichen Jahreszeitraum (März 1958 bis Februar 1959) die in §§ 75 und 76 AVAVG genannten Voraussetzungen erfüllt hat; es genügt daher nicht, daß er in dieser Zeit nur ohne Arbeit, und Erwerb gewesen ist; er muß vielmehr als Arbeitnehmer anzusehen, vermittlungsfähig und ernstlich bereit gewesen sein, eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben (vgl. Urteile vom 12. Januar 1966 – 1 RA 305/63 – und vom 23. März 1966 – 1 RA 175/62 –; ferner BSG 18, 281 und 20, 190). An dieser Auffassung hält der Senat entgegen der in der Literatur vereinzelt geäußerten Kritik (vgl. Schieckel in SGb 1965 S. 123 und Odendahl in SGb 1966 S. 105) fest. Das vorzeitige Altersruhegeld ist eine dem Anspruch nach § 25 Abs. 1 AVG gegenüber als Ausnahme gedachte Versicherungsleistung (BSG 14, 53, 56); sie soll nur denjenigen über 60 Jahre alten Versicherten zustehen, die arbeitsfähig und arbeitswillig sind und ihren Willen, als Arbeitnehmer tätig zu sein, durch einjährige vergebliche Bemühungen um eine Arbeitsstelle gezeigt haben. Das Gesetz vermutet bei ihnen, daß sie wegen ihres Alters keine abhängige Arbeit mehr finden können und deshalb praktisch aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind.

Wie das LSG zutreffend angenommen hat, kann auch ein ehemaliger Beamter zum Kreis der berufsmäßigen Arbeitnehmer gehören, wenn er sich nach dem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst entschließt, eine abhängige Arbeit auf zunehmen. Es ist deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen, daß ein Ruhestandsbeamter arbeitslos i. S. von § 25 Abs. 2 AVG ist (vgl. BSG im SozR Bl. Aa 37 Nr. 33 zu § 1248 der Reichsversicherungsordnung – RVO –; ferner BSG 23, 235 = SozR Bl. Aa 43 Nr. 37 zu § 1248 RVO und Urteile vom 23. Juli 1965 – 1 RA 143/63 – und vom 12. Januar 1966 – 1 RA 305/63 –) Dies hat auch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestritten.

Jedoch ist die ernstliche Arbeitsbereitschaft des Klägers bisher nicht erwiesen. Das LSG hat sie bejaht, weil der Kläger nach seiner Pensionierung sich beim Arbeitsamt hat registrieren lassen und sich danach der Meldekontrolle unterzogen hat. Es kann für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen, ob das LSG dabei etwa zu Unrecht weitere auch von seinem Rechtsstandpunkt erforderliche Ermittlungen darüber unterlassen hat, in welchem Umfang der Kläger sich beim Arbeitsamt der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt hat, ob dies für alle in Betracht kommenden Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes oder nur für einen beschränkten Kreis von Arbeiten geschehen ist, ob also das LSG – wie die Beklagte meint – seiner Sachaufklärungspflicht insoweit nicht hinreichend genügt hat. Wie das BSG schon wiederholt entschieden hat, reichen in Fällen der vorliegenden Art. d. h. wenn erst durch die Meldung beim Arbeitsamt die Rückkehr oder die Zugehörigkeit zum Personenkreis der in der Hauptsache als Arbeitnehmer Tätigen aufgezeigt werden soll, die – selbst regelmäßigen – Vorsprachen beim Arbeitsamt allein nicht für den Nachweis des ernstlichen Arbeitswillens aus. Dies hat das BSG außer bei pensionierten Beamten z. B. auch bei Versicherten angenommen, die zuletzt jahrelang Hausfrauen gewesen sind und sich erst in vorgerücktem (rentenfähigem) Alter beim Arbeitsamt als arbeitssuchend gemeldet haben (vgl. BSG 18, 287; 20, 190; SozRecht RVO § 1248 Bl. Aa 25 Nr. 21). Wie die Lebenserfahrung zeigt, kann mit der Meldung beim Arbeitsamt auch lediglich der Zweck verfolgt werden, den Anschein der Arbeitsbereitschaft zu erwecken, um als Arbeitsloser zu gelten und dadurch eine Voraussetzung für das vorzeitige Altersruhegeld dem Scheine nach zu erfüllen. Dies um so mehr, als die Arbeitsämter den Arbeitswillen nur an Hand zumutbarer und geeigneter Arbeitsangebote prüfen können und es weithin bekannt ist, daß sie in offene Stellen in erster Linie die Empfänger von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe unterzubringen suchen, zu denen Ruhestandsbeamte im allgemeinen nicht gehören. Es widerspricht aber dem Sinn und Zweck des § 25 Abs. 2 AVG, das vorzeitige Altersruhegeld auch solchen Versicherten zukommen zu lassen, denen es mit der Meldung beim Arbeitsamt nicht ernsthaft um die Erlangung eines Arbeitsplatzes, sondern allein um die spätere Rente zu tun ist. Die Rechtsprechung verlangt deshalb, daß die Arbeitsbereitschaft des Gemeldeten durch objektive Umstände so eindeutig dargetan ist, daß daran kein vernünftiger Zweifel besteht (BSG 20, 190, 197 = SozR Bl. Aa 21 Nr. 19 zu § 1248 RVO und Urteil vom 12. Januar 1966 – 1 RA 305/63 –). Danach genügt aber bei einem Ruhestandsbeamten nicht die bloße Arbeitslosmeldung beim Arbeitsamt. Sie hat für diesen Personenkreis nicht die Bedeutung, von der das LSG bei seiner Entscheidung ausgegangen ist. Es kann auch nicht darauf ankommen, ob der Kläger der Meinung gewesen ist, daß seine Vorsprachen beim Arbeitsamt zum Nachweis des ernstlichen Arbeitswillens genügen, entscheidend ist vielmehr, welche Bemühungen für diesen Nachweis gerade in seiner besonderen Lage bei verständiger Würdigung der Verhältnisse objektiv erforderlich sind.

Entgegen der Meinung des LSG ist auch die Einkommenseinbuße, die der Kläger infolge seiner Pensionierung erlitten hat, kein sicheres Anzeichen für seine Arbeitsbereitschaft. Eine solche Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse kann zwar mitbestimmend für den Entschluß sein, eine Beschäftigung aufzunehmen, um „etwas hinzuzuverdienen”, ebenso aber auch für den Entschluß, sich zur Aufbesserung des Ruhegehalts um die Erlangung des vorzeitigen Altersruhegeldes zu bemühen. Aus dem Rückgang der Einnahmen des Klägers bei der Pensionierung kann daher noch nicht auf die Bereitschaft geschlossen werden, eine neue Arbeitnehmertätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes aufzunehmen (BSG im SozR Aa 37 Nr. 33 zu § 1248 RVO). Vielmehr hat der Senat in seinen früheren Entscheidungen als objektive Umstände, nach denen die Ernstlichkeit des Arbeitswillens zuverlässig beurteilt werden kann, neben der Meldung beim Arbeitsamt vor allem eigene zusätzliche und intensive Bemühungen des Versicherten um Arbeit angesehen. Er ist davon ausgegangen, daß freie Arbeitsstellen nicht ausschließlich auf Zuweisung durch das Arbeitsamt, sondern in weitem Umfang auch ohne dessen Mitwirkung besetzt werden, und daß einem ernsthaft um die Erlangung eines Arbeitsplatzes bemühten Versicherten eigene hierauf gerichtete Anstrengungen möglich und zumutbar sind. Dies gilt auch im vorliegenden Fall.

Das LSG hat in den Gründen seines Urteils festgestellt, der Kläger könne außer der Meidung beim Arbeitsamt keine Nachweise für sonstige Arbeitsbemühungen erbringen. Diese – für ihn im Berufungsverfahren ohne nachteilige Auswirkung gebliebene – Feststellung hat der Kläger, nachdem er gemäß §§ 106 Abs. 1, 153, 155, 165 SGG auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – BAG – im Urteil vom 14. Juli 1965 (1 AZR 343/64, abgedr. in NJW 1965 S. 2268 = „Arbeitsrechtliche Praxis” 1966 Nr. 2 zu § 276 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB –) hingewiesen worden war, im Laufe des Revisionsverfahrens mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen. Er hat unter Angabe von Tatsachen und Beweismitteln dargelegt, daß er sich in der maßgeblichen Zeit auch bei mehreren Arbeitgebern persönlich erfolglos um die Erlangung einer Arbeitsstelle bemüht habe. Der Senat kann daher seiner Entscheidung die gegenteilige Feststellung des LSG nicht zugrunde legen, er teilt vielmehr die Auffassung des BAG, daß das Revisionsgericht tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts, die sich im Berufungsverfahren für den damals obsiegenden Revisionsbeklagten nicht nachteilig ausgewirkt hatten, auf die es aber nach der Auffassung des Revisionsgerichts entscheidend ankommt, seiner Entscheidung nicht zugrunde legen darf, wenn sie der Revisionsbeklagte vor dem Schluß der Revisionsverhandlung mit Verfahrensrügen (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG) angegriffen hat. Andererseits bedarf das Vorbringen des Klägers in der Revisionsinstanz, auf das es für die Ernstlichkeit seines Arbeitswillens entscheidend ankommt, noch der Nachprüfung in tatsächlicher Hinsicht. Der Senat kann daher nicht selbst in der Sache entscheiden. Das angefochtene Urteil muß vielmehr aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Unterschriften

Dr. Haug, Heyer, Dr. Buss

 

Fundstellen

Dokument-Index HI927513

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