Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagter und Revisionsbeklagter |
Tatbestand
I.
Streitig ist die Rücknahme eines Bescheides, durch den der Beklagte Leistungen rückwirkend zu Ungunsten der Klägerin neu berechnet und die errechnete Überzahlung zurückgefordert hat.
Die Klägerin bezieht seit 1954 eine Witwen-Ausgleichsrente. Sie ist seit 1961 pflegebedürftig; ihr Sohn nimmt als Pfleger ihre Vermögensangelegenheiten wahr. 1965 legte der Pfleger für die Klägerin ein Sparkonto an, auf das er einen Teil der Einkünfte der Klägerin aus Versorgungsbezügen und aus der Rentenversicherung der Angestellten einzahlte und auf dem demgemäß Zinsen gutgeschrieben wurden. Die Zinsgutschriften beliefen sich im März 1970 für das Jahr 1969 auf 184,34 DM und im Januar 1972 für das Jahr 1970 auf 328,46 DM. In den Folgejahren erhöhten sich die Zinsgutschriften weiter. Im April 1970 legte der Pfleger ein von ihm ausgefülltes Formular zur Feststellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin vor, in dem zwar die Rente aus der Rentenversicherung aufgeführt war, die Kapitalvermögen betreffende Spalte aber keine Eintragung enthielt. Mit Bescheid vom 9. Juni 1970 berechnete der Beklagte die Ausgleichsrente neu; dabei berücksichtigte er die Rente aus der Rentenversicherung, nicht aber die mit einem Betrag von 12,37 DM monatlich anzurechnenden Zinsen. In gleicher Weise verfuhr er beim Erlaß sog. Anpassungsbescheide in den Jahren 1971 bis 1975. Im Mai 1976 überreichte der Kläger ein weiteres Formular zur Feststellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin; in diesem wurde wie bisher nach "Kapitalvermögen" gefragt, jedoch erstmals unter Hinweis darauf, daß auch "Guthaben und Einlagen bei Sparkassen" Kapitalvermögen seien. Auch diesmal sowie in den Jahren 1978 und 1980 erwähnte der Pfleger das Sparguthaben der Klägerin nicht. Demgemäß wurde in den in den Jahren 1976 bis 1981 ergangenen Anpassungsbescheiden allein die Rente aus der Rentenversicherung berücksichtigt.
Im Juni 1982 teilte der Pfleger dem Versorgungsamt (VersorgA) erstmals mit, daß die Klägerin auch über ein Sparbuch verfüge, und legte auf Anforderung Fotokopien mit den Zinsgutschriften vor. Darauf berechnete das VersorgA mit Bescheid (1) vom 4. Oktober 1982 die Ausgleichsrente rückwirkend ab 1. Januar 1970 bis Oktober 1982 "gemäß X § 48 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch unter Berücksichtigung des Einkommens aus Kapitalvermögen (Zinseinnahmen)" neu. Eine weitere oder nähere Begründung ist nicht angegeben; insbesondere sind aufzuhebende Bescheide nicht genannt; zusätzliche Rechtsausführungen fehlen. Zugleich errechnete die Beklagte in dem Bescheid eine Überzahlung von 3.456,-- DM; diesen Betrag forderte das VersorgA zugleich von der Klägerin zurück. Diese hat gegen den Bescheid keinen Rechtsbehelf eingelegt.
Mit Bescheid (2) vom 1. Juli 1983 stellte der Beklagte eine Überzahlung nunmehr in Höhe von insgesamt 4.452,-- DM - unter Einschluß der bereits im Bescheid 1 festgestellten Überzahlung -fest und forderte nunmehr diesen Betrag zurück; über den von der Klägerin hiergegen, entsprechend der dem Bescheid angefügten Rechtsbehelfsbelehrung, eingelegten Widerspruch vom 23. Juli 1983 war zur Zeit des Erlasses des angefochtenen Urteils noch nicht entschieden.
Mit Schreiben vom 24. Februar 1984 und vom 27. März 1984 bat der Pfleger namens der Klägerin um eine Überprüfung des im Jahre 1982 erlassenen Bescheides 1 zu ihren Gunsten, wobei er insbesondere geltend machte, er habe das VersorgA keineswegs arglistig getäuscht.
Mit dem streitigen Bescheid (3) vom 11. April 1984 lehnte der Beklagte eine Rücknahme des Bescheids 1 vom 4. Oktober 1982 ab, berief sich auf "X § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB" und führte aus, dem Bescheid 1 "gemäß X § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3" sei "gem. X § 48 Abs. 4 SGB" Rückwirkung auf den 1. Januar 1970 beizulegen gewesen: Die Nichterwähnung der Zinseinnahmen in den Fragebogen von 1965, 1970, 1976, 1978 und 1980 sei eine arglistige Täuschung gewesen.
Auf die Klage der Klägerin hat das Sozialgericht (SG) im Urteil vom 7. Juni 1984 den streitigen Bescheid 3 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Bescheid 1 zurückzunehmen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten im angefochtenen Urteil vom 29. Januar 1985 unter Abweisung der Klage im übrigen das erstinstanzliche Urteil dahin geändert und neu gefaßt, daß die Bescheide 3 vom 11. April 1984 und 1 vom 4. Oktober 1980 insoweit abgeändert werden, "als die Ausgleichsrente der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1970 bis 1. Juli 1976 neu berechnet und die Rückzahlung, der sich hieraus ergebenden Überzahlung angeordnet worden ist". Nach Ansicht des LSG ist die Klage zum Teil aus § 44 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB 10) begründet. Einer Aufhebung der bis Oktober 1972 ergangenen Bescheide nach § 48 SGB 10 habe der Ablauf der Zehnjahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB 10 i.V.m. § 48 Abs. 4 SGB 10 entgegengestanden. Für die später ergangenen Bescheide komme allein eine Rücknahme nach § 45 SGB 10 in Betracht. Erst hinsichtlich der ab Juni 1976 ergangenen Bescheide treffe den Pfleger der Klägerin aber der Vorwurf, zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht zu haben. Bis dahin müsse davon ausgegangen werden, daß er den Hinweis im Fragebogen auf Kapitalvermögen nicht richtig gewertet und die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht in besonders schwerem Maße verletzt habe; es müsse insbesondere berücksichtigt werden, daß die Ansparungen nur dadurch ermöglicht worden seien, daß der Pfleger und seine Ehefrau Pflegeleistungen für die Klägerin persönlich erbracht hätten. Ab April 1982 aber habe der Pfleger zumindest grob fahrlässig gehandelt, wenn er die Erläuterung, auch Sparguthaben seien Kapitalvermögen, nicht beachtet habe.
Das LSG hat die Revision zugelassen; beide Beteiligte haben dieses Rechtsmittel eingelegt; der Beklagte hat seine Revision in der mündlichen Verhandlung wieder zurückgenommen.
Die Klägerin macht geltend, § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB 10 setze, was das LSG verkannt habe, nach seinem eindeutigen Wortlaut voraus, daß die Voraussetzungen sowohl der Nr. 2 als auch der Nr. 3 des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB 10 gegeben seien. Dies sei, wie sich aus der Entstehungsgeschichte ergebe, auch vom Gesetzgeber so gewollt und zudem sinnvoll.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids (3) vom 11. April 1984 zu verurteilen, den Bescheid (1) vom 4. Oktober 1982 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, daß der Bescheid vom 4. Oktober 1982 nach § 48 SGB 10 in vollem Umfange rechtmäßig sei. Der Pfleger habe die Rechtswidrigkeit der in Betracht kommenden Bescheide durch arglistige Täuschung herbeigeführt; deswegen komme es auch auf den teilweisen Ablauf der Zehnjahresfrist nicht an.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist nur zum Teil begründet.
Irrig nimmt die Klägerin - übereinstimmend mit dem Beklagten und den Vorinstanzen - an, der von ihr erhobene, mit dem streitigen Bescheid 3 abgelehnte Anspruch auf Aufhebung des nicht mit Rechtsbehelfen angefochtenen, daher i.S. des § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend gewordenen Bescheids 1 sei nach § 44 Abs. 1 SGB 10 zu beurteilen. Sie übersieht, daß der Beklagte von den ursprünglich zwei Verfügungssätzen des Bescheids 1 -1) rückwirkende Aufhebung leistungsgewährender Verwaltungsakte des VersorgA; 2) Rückforderung eines Betrags von 3.456,-- DM -den zweiten Verfügungssatz (Rückforderung) schon im - mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen - Bescheid 2 vom 1. Juli 1983 schlüssig aufgehoben hat, indem er dort die Rückforderung unter Einschluß des ursprünglich geforderten Betrages rechtsbehelfsfähig neu geregelt und auf einen Betrag von 4.452,-- DM erhöht hat. Diesen rechtsbehelfsfähigen Bescheid 2, der in bezug auf die Rückforderung im Verhältnis zu Bescheid 1 zum größeren Teil ein sog. Zweitbescheid ist, hat die Klägerin mit dem Widerspruch angefochten; nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war dieses Widerspruchsverfahren bei Erlaß des angefochtenen Urteils noch nicht abgeschlossen. Im Blick auf den Bescheid 1 kann die Klägerin somit eine Zugunstenentscheidung nur noch in bezug auf dessen ursprünglichen, jetzt noch "übriggebliebenen" Verfügungssatz 1) - rückwirkende Aufhebung leistungsgewährender Verwaltungsakte - verlangen. Die Frage der Rückforderung ist Gegenstand eines anderen, schon vor dem hier streitigen Antrag auf Zugunstenentscheidung anhängig gemachten und noch nicht abgeschlossenen Rechtsbehelfsverfahrens.
Ein Verwaltungsakt, der allein die Rücknahme leistungsgewährender früherer Verwaltungssakte zum Inhalt hat, kann aber kein Verwaltungsakt sein, mit dem i.S. des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind". Ob sich eine "Leistungsablehnung" i.S. dieser Vorschrift (vgl. Hauck/Haines, SGB X 1, 2 K § 44, RdNr. 11 und 13) dann annehmen ließe, wenn - neben der Aufhebung von leistungsgewährenden Verwaltungsakten - zugleich die dann angeblich rechtsgrundlos erbrachten Leistungen zurückgefordert werden, braucht im vorliegenden Fall nicht erörtert zu werden; Bescheid 1 enthält keine Rückforderung (mehr).
Der Antrag der Klägerin auf Zugunstenentscheidung in bezug auf den Bescheid 1 ist mithin nach § 44 Abs. 2 SGB 10 zu beurteilen. Nach dessen Satz 1 ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Satz 2 aaO bestimmt jedoch ergänzend, daß der ursprüngliche Verwaltungsakt - seine Rechtswidrigkeit einmal unterstellt - aber für die Vergangenheit "zurückgenommen werden kann". Das bedeutet, daß die rückwirkende Aufhebung eines i.S. von § 44 Abs. 2 SGB 10 rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts im Ermessen der Verwaltungsbehörde steht (vgl. § 39 SGB 1); ein Anspruch auf Aufhebung besteht nicht.
Soweit die Klägerin daher begehrt, den Beklagten zu verurteilen, einen Verwaltungsakt zu erlassen, mit dem der Bescheid 1 mit seinem (ursprünglichen) Verfügungssatz 1) aufgehoben wird, ist ihre Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Regelung 3 SGG) mangels einer materiell-rechtlichen Grundlage hierfür unstatthaft; ihre Klage war daher insoweit ohne weitere Prüfung abzuweisen.
Die Klägerin kann jedoch prozeßrechtlich statthaft die Aufhebung des streitigen Verwaltungsakts 3 - auch soweit der mit ihm abgelehnte Antrag auf Zugunstenentscheidung die Vergangenheit betrifft-- jedenfalls mit der Begründung verlangen, der Beklagte habe die Grenzen seines ihm nach § 44 Abs. 2 Satz 2 aaO zustehenden Ermessens überschritten und hierdurch rechtswidrig gehandelt (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Da vom Beklagten ein Ermessen nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB 10 jedoch u.a. nur dann und dann erst zu üben ist, wenn die Rechtswidrigkeit des Bescheids 1 i.S. von § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB 10 feststeht, ist folgende Prüfung anzustellen:.
Der Beklagte hat den Verfügungssatz 1) des Bescheids 1 - rückwirkende Aufhebung von der Klägerin Leistungen gewährenden Verwaltungsakten - auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB 10 gestützt. Nähere rechtliche Ausführungen fehlen ebenso wie die Bezeichnung der Verwaltungsakte, die mit diesem Bescheid rückwirkend ab 1. Januar 1970 aufgehoben oder abgeändert werden. Damit ist die Begründung des Verfügungssatzes 1) des Bescheids 1 unklar. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB 10 teilt den Tatbestand, daß vom Leistungsempfänger Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung eines Anspruchs des Leistungsempfängers geführt haben würde, in zwei alternative Untertatbestände auf: 1) Erzielung von Einkommen oder Vermögen "nach Antragstellung", aber vor Erlaß eines Leistungen bewilligenden Bescheids; 2) Erzielung von Einkommen oder Vermögen" nach Erlaß" eines solchen Bewilligungsbescheids. In Fällen, in denen die nach Auffassung der Verwaltungsbehörde gemäß Nr. 3 aaO zu Ungunsten des Leistungsempfängers zu ändernden Bewilligungsbescheide vor dem Inkrafttreten des SGB am 1. Januar 1981 liegen, ist Alternative 1 aaO grundsätzlich unanwendbar: Nach den Entscheidungen des erkennenden Senats vom 11. April 1985 (SozR 1300 Art. 2 § 40 Nr. 7 = SozR 1300 § 48 Nr. 16 und vom 26. Juni1985 - 4b/9a RV 20/84) gilt die 1. Alternative der Nr. 3 aaO nur für Sachverhalte, in denen nach dem Inkrafttreten des SGB 10 ein anspruchminderndes Einkommen oder Vermögen "nach Antragstellung", aber vor Erlaß des Verwaltungsakts erzielt worden ist. Mit dem Bescheid 1 ist der Beklagte aber zu Lasten der Klägerin bis auf den 1. Juli 1970, also auf eine Zeit zurückgegangen, die lange Jahre vor dem 1. Januar 1981 liegt. Diese rückwirkende Aufhebung bewilligender Verwaltungsakte für die Zeit vor dem Inkrafttreten des SGB 10 könnte die Beklagte insoweit nur auf § 45 SGB 10 stützen (vgl. den erkennenden Senat aaO).
Für eine der Klägerin nachteilige Änderung von Verwaltungsakten, in denen anrechnungspflichtiges und leistungsminderndes Einkommen oder Vermögen "nach Erlaß des (begünstigenden) Verwaltungsakts" erzielt worden ist, ist zwar § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alternative 2 SGB 10 uneingeschränkt auch für Zeiten vor dem 1. Januar 1981 anwendbar (Urteil des 9a Senats vom 23. Oktober 1985 - 9a RV 1/84). Da der Beklagte aber weder im Bescheid 1 noch im angefochtenen Bescheid 3 einen Verwaltungsakt überhaupt bezeichnet hat, den er schlüssig rückwirkend aufgehoben hat - und nach welcher der beiden Alternativen der von ihm als Rechtsgrundlage angegebenen Nr. 3 aaO -, muß bereits im hohen Maße fraglich erscheinen, wieweit allein schon deshalb die Begründung des Bescheids 1 den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB 10 entspricht und welche rechtlichen Folgerungen dies im Falle der Verneinung hätte.
Indessen ist sicher, daß die Beklagte die im Verfügungssatz 1) des Bescheids 1 rückwirkend bis zum 1. Januar 1970 schlüssig zurückgenommenen ursprünglichen begünstigenden Verwaltungsakte nur aufheben durfte, wenn die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alternative 1 oder Alternative 2 SGB 10 oder wenn die Voraussetzungen von § 45 aaO gegeben gewesen wären, wobei nach Zeitabschnitten unterteilt sowohl die eine wie die andere Vorschrift anwendbar gewesen sein kann. Nach § 45 Abs. 1 SGB 10 aber "darf" ein begünstigender Verwaltungsakt - unter bestimmten weiteren Voraussetzungen - nur zurückgenommen werden; die Behörde muß also selbst bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nicht aufheben; die Rücknahme steht im Ermessen der Verwaltungsbehörde (BSGE 45, 250 = SozR 1300 § 50 Nr. 3; SozR 1300 § 45 Nr. 12 und ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG-). Auch nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB 10 "soll" der Verwaltungsakt nur unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen zurückgenommen werden. Auch hierdurch wird der Verwaltung ein gewisses Ermessen eingeräumt, wobei u.a. die Klärung notwendig ist, ob ein atypischer Fall vorliegt oder ob ein solcher nicht gegeben ist (vgl. zuletzt die Entscheidung des BSG vom 6. November 1985 - 10 RKg 3/84).
Ob sich der Beklagte bei Erlaß des Bescheids 1 bewußt war, daß er im Rahmen der Anwendung von §§ 45, 48 Abs. 1 Satz 3 SGB 10 die Ausübung (pflichtgemäßen) Ermessens in seine Erwägungen zumindest einzubeziehen hatte, ist der Begründung dieses Verwaltungsakts nicht zu entnehmen; er enthält hierzu schlechthin keine Ausführungen. Damit fehlt dem Bescheid 1 die vom Gesetz geforderte Begründung: Nach § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB 10 müssen in einem Verwaltungsakt, der Ermessen zu üben hat, die wesentlichen Gesichtspunkte mitgeteilt werden, von denen die Verwaltungsbehörde beim Gebrauch des Ermessens hätte ausgehen müssen und ausgehen dürfen (vgl. dazu BSGE 37, 34, 38 f = SozR Nr. 3 zu § 1236; Dolzer, DÖV 1985, 913; Redeker/v. Oertzen, VGO, 8. Aufl. 1985, § 42 RdNr. 70; § 115 RdNr. 18). Allein dieser hier vorliegende Rechtsfehler der mangelnden Angabe der für die Übung des Ermessens maßgebenden Umstände führt zur Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebbarkeit eines belastenden Verwaltungsakts (vgl. dazu im einzelnen das Urteil des BSG vom 23. Oktober 1985 - 9a RV 1/84, das zur Veröffentlichung vorgesehen ist).
Ist der Klägerin nach alledem zwar einzuräumen, daß der Bescheid 1 rechtswidrig ist, so ist der Beklagte bei Anwendung von § 44 Abs.2 Satz 2 SGB 10 noch nicht zu einer Rücknahme des erstgenannten Bescheids für die Vergangenheit verpflichtet: Auch der angefochtene Bescheid 3 ist, soweit es die Frage der Rechtmäßigkeit rückwirkender Aufhebung bewilligender Verwaltungsakte betrifft, nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB 10 uneingeschränkt ein "Ermessensbescheid". Für seine Begründung gilt insoweit, was soeben zu Bescheid 1 ausgeführt worden ist. Auch der Bescheid 3 enthält zur Frage des Ermessens keinerlei Begründung und ist schon deshalb rechtswidrig. Auf die Revision der Klägerin war er daher unter Abänderung der insoweit entgegenstehenden Urteile der Vorinstanzen in vollem Umfang aufzuheben.
Damit ist der Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Zugunstenbescheids wieder unverbeschieden, so daß der Beklagte hierüber neu zu entscheiden haben wird.
Nach allem war unter Kostenteilung gem. § 193 SGG zu entscheiden wie geschehen.
Fundstellen