Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Doppelzulassung. Fallpunktzahlberechnung. Entscheidung des Bewertungsausschuss für Abstellen auf arithmetischen Mittelwert. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht. Erweiterung der Praxis- und/oder Zusatzbudgets

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 160 Abs. 2 S. 1 SGG hat eine Rechtsfrage nur, wenn sie in dem von der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig, klärungsbedürftig (entscheidungserheblich) und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl. BSG SozR 3-1500 § 160a Nr. 34 S. 70). Klärungsbedürftigkeit in diesem Sinn ist zu verneinen, wenn sich die Antwort auf die aufgeworfene Rechtsfrage unter Anwendung der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften und auf dem Hintergrund der bisher vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne weiteres ergibt, sodass es insoweit der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht bedarf (vgl. BSG SozR 3-2500 § 75 Nr. 8).

2. Die Regelung in den Allgemeinen Bestimmungen A I, Teil B, Nr. 1.6.2 EBM-Ä über die Berechnung der Fallpunktzahl für Ärzte mit mehreren Gebietsbezeichnungen steht mit höherrangigem Recht im Einklang. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bewertungsausschusses, der Besonderheit einer Doppelzulassung durch das Abstellen auf den arithmetischen Mittelwert der entsprechenden arztgruppenbezogenen Fallpunktzahlen Rechnung zu tragen, bestehen nicht.

3. Für eine Erweiterung des Praxis- und/oder Zusatzbudgets zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs kann allenfalls dann Anlass bestehen, wenn ein doppelt zugelassener Arzt tatsächlich nahezu ausschließlich oder ganz überwiegend lediglich in einem der Gebiete tätig ist, für die er zugelassen ist. Nur in dieser Konstellation kann sich durch das Abstellen auf den arithmetischen Mittelwert eine Benachteiligung immer dann ergeben, wenn die Fallpunktzahl für das Praxisbudget in dem Bereich, in dem der betreffende Arzt ganz überwiegend tätig ist, sehr viel niedriger ist als für diejenige Arztgruppe, der der betroffene Arzt kraft seiner Zulassung angehört, in deren Gebiet er aber in nur untergeordnetem Umfang tätig ist (st. Rspr.; vgl. SozR 3-2500 § 87 Nr. 20).

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 1 S. 1; SGB V § 87 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 26.02.2003; Aktenzeichen L 12 KA 35/02)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2003 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die als Nervenärztin und Psychiaterin (Doppelzulassung) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung ihres vertragsärztlichen Honorars für das Quartal III/1998 durch die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV). Die Klägerin sieht sich durch die Regelungen über die Berechnung und Verteilung der vertragsärztlichen Vergütung rechtswidrig behandelt, weil sie nach ihrer zum 1. Januar 1996 erfolgten Zulassung auch für Nervenheilkunde im Zuge der Einführung der Praxisbudgets zum 1. Juli 1997 trotz Erhöhung der Fallzahl ein geringeres Quartalshonorar erhalte als zu der Zeit, als sie lediglich als Ärztin für Psychiatrie zugelassen war.

Widerspruch, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, die Einführung der Praxisbudgets zum 1. Juli 1997 und ihre Ausgestaltung durch den Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) rechtmäßig. Der Bewertungsausschuss als Normgeber habe vorgegeben, dass das Praxisbudget bei Ärzten, die für mehrere Fachgebiete zugelassen sind, in der Weise zu bilden sei, dass der arithmetische Mittelwert der jeweiligen Fallpunktzahlen maßgeblich sei (Urteil vom 26. Februar 2003).

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist nicht begründet. Den von der Klägerin angesprochenen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Satz 1 SGG hat eine Rechtsfrage nur, wenn sie in dem von der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig, klärungsbedürftig (entscheidungserheblich) und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70). Klärungsbedürftigkeit in diesem Sinne ist zu verneinen, wenn sich die Antwort auf die aufgeworfene Rechtsfrage unter Anwendung der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften und auf dem Hintergrund der bisher vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne weiteres ergibt, sodass es insoweit der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht bedarf (vgl zu diesem Gesichtspunkt BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34). So verhält es sich hier.

Die Klägerin hält für grundsätzlich bedeutsam, wie dem Umstand der Doppelzulassung einer Ärztin bei der Bildung der Praxisbudgets nach den Allgemeinen Bestimmungen A I, Teil B EBM-Ä Rechnung zu tragen sei. Soweit darüber hinaus die Frage aufgeworfen wird, wie die Doppelzulassung bei den Zusatzbudgets zu berücksichtigen sei, ist diese Rüge unzulässig. Insoweit hat die Klägerin nicht dargelegt, über welche Rechtsfrage der Senat in dem von der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheiden könnte. Es ist weder ersichtlich noch geltend gemacht, dass der Klägerin im allein streitbefangenen Quartal III/1998 ein bestimmtes Zusatzbudget zugestanden hat und welche Gesichtspunkte im Zusammenhang mit ihrer Doppelzulassung insoweit eine Rolle gespielt haben.

Hinsichtlich der damit allein entscheidungserheblichen Berücksichtigung der Doppelzulassung bei der Bildung des Praxisbudgets bedarf es keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, um entscheiden zu können, dass die Regelung in den Allgemeinen Bestimmungen A I, Teil B, Nr 1.6.2 EBM-Ä über die Berechnung der Fallpunktzahl für Ärzte mit mehreren Gebietsbezeichnungen höherrangigem Recht nicht widerspricht. Nach dieser Vorschrift wird für einen Arzt, der seine vertragsärztliche Tätigkeit unter mehreren Gebietsbezeichnungen ausübt, die Höhe der arztgruppenbezogenen Fallpunktzahl als arithmetischer Mittelwert der entsprechenden arztgruppenbezogenen Fallpunktzahlen nach Nr 1.5 aaO errechnet.

Mit dieser Regelung hat sich der Senat in seinem Urteil vom 20. Januar 1999 – B 6 KA 78/97 R – (BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 20 S 105) im Zusammenhang mit der Berechnung der Fallpunktzahl der Basislaborleistungen für doppelt zugelassene Ärzte gemäß den seit dem 1. April 1994 geltenden Regelungen im EBM-Ä befasst. Der Senat hat dort ausgeführt, dass bei einem Vertragsarzt mit Zulassung in zwei Fachgebieten die Festsetzung einer einheitlichen Fallpunktzahl für Basislaborleistungen, die aus dem arithmetischen Mittel der Punktzahlen beider Fachgebiete gebildet wird, einer normativen Regelung bedarf. Als Beispiel für eine solche – im damals entschiedenen Fall nicht vorhandene – normative Regelung hat der Senat auf die hier anzuwendende Regelung in den Allgemeinen Bestimmungen A I, Teil B, Nr 1.6.2 EBM-Ä in der ab Juli 1997 geltenden Fassung hingewiesen. Daraus ergibt sich, dass jedenfalls prinzipielle Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bewertungsausschusses, der Besonderheit einer Doppelzulassung durch das Abstellen auf den arithmetischen Mittelwert der entsprechenden arztgruppenbezogenen Fallpunktzahlen Rechnung zu tragen, nicht bestehen.

Es bedarf ebenfalls keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, um entscheiden zu können, dass die Vorstellung der Klägerin, der Bewertungsausschuss hätte eine eigene Fallpunktzahl für alle doppelt zugelassene Ärzte festsetzen müssen, nicht zutreffen kann. Eine entsprechende Vorgehensweise des Bewertungsausschusses hätte vorausgesetzt, dass zunächst hätte ermittelt werden müssen, welche Fachkombinationen im Rahmen der vertragsärztlichen Zulassung theoretisch möglich sind. Es hätte nicht einmal ausgereicht, alle 1996 in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen Kombinationen zu erfassen, weil nicht auszuschließen ist, dass nach Inkrafttreten der Vorschriften über das Praxisbudget im EBM-Ä Ärzte mit bislang nicht bekannten Fachgebietskombinationen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden. Dies wäre schon rein praktisch undurchführbar gewesen und hätte im Übrigen zur Folge gehabt, dass im Hinblick auf zahlreiche, möglicherweise extrem seltene Kombinationen keine hinreichend verlässliche Datenbasis zur Verfügung gestanden hätte.

Im Übrigen zeigt der Fall der Klägerin deutlich, dass auf diesem Weg praktikable Lösungen nicht hätten erreicht werden können. Die Klägerin firmiert nach dem Inhalt der vom Berufungsgericht zum Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gemachten Akten entweder als „Ärztin für Nervenheilkunde und Psychiatrie” (Widerspruchsschreiben vom 4. Februar 1999) oder als „Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie” (Schreiben vom 25. Juli 2000) und ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts als „Psychiaterin und Nervenärztin” zugelassen. Nach den Regelungen in den Allgemeinen Bestimmungen A I, Teil B, Nr 1.5 EBM-Ä werden für Nervenärzte, Psychiater sowie für Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und für ausschließlich psychotherapeutische Vertragsärzte sowie schließlich für Neurologen jeweils unterschiedliche Fallpunktzahlen festgesetzt. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass nach dem ärztlichen Weiterbildungsrecht zumindest in einigen Kammerbezirken die Bezeichnung „Nervenarzt” keine einem Gebiet zuordnende Facharztbezeichnung darstellt, vielmehr derjenige Arzt die Bezeichnung „Nervenarzt” führen darf, der die Anerkennung als Facharzt für Neurologie und die Anerkennung als Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie erworben hat (vgl BSG SozR 3-2500 § 101 Nr 3 S 16 ff). Wie sich dies nach dem für die Klägerin maßgeblichen Weiterbildungsrecht der Bayerischen Landesärztekammer verhält, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Darauf kommt es indessen auch nicht entscheidend an, denn es liegt auf der Hand, dass der Bewertungsausschuss nicht in der Lage ist, allen nach dem Weiterbildungsrecht in 17 verschiedenen Ärztekammern in Deutschland führbaren Gebietsbezeichnungen und erlaubten Zulassungskombinationen im vertragsärztlichen Bereich durch die Zuweisung spezifischer Fallpunktzahlen für das Praxisbudget Rechnung zu tragen.

Da somit ohne die Durchführung eines Revisionsverfahrens feststeht, dass die Regelung über die Berechnung der Fallpunktzahlen für das Praxisbudget bei doppelt zugelassenen Ärzten im EBM-Ä nicht grundsätzlich fehlerhaft ist, kommt der Frage, wie der besonderen Praxissituation der Klägerin Rechnung zu tragen, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Das Sozialgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass die Regelung in Nr 4.3 der Allgemeinen Bestimmungen A I, Teil B EBM-Ä insoweit den geeigneten Anknüpfungspunkt darstellt. Nach dieser Vorschrift kann die KÄV auf Antrag des Vertragsarztes im Einzelfall zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs eine Erweiterung der Praxis- und/oder Zusatzbudgets gewähren. Dafür kann allenfalls Anlass bestehen, wenn ein doppelt zugelassener Arzt tatsächlich nahezu ausschließlich oder ganz überwiegend lediglich in einem der Gebiete tätig ist, für die er zugelassen ist. Nur in dieser Konstellation kann sich durch das Abstellen auf den arithmetischen Mittelwert eine Benachteiligung immer dann ergeben, wenn die Fallpunktzahl für das Praxisbudget in dem Bereich, in dem der betreffende Arzt ganz überwiegend tätig ist, sehr viel niedriger ist als für diejenige Arztgruppe, der der betroffene Arzt kraft seiner Zulassung angehört, in deren Gebiet er aber in nur untergeordnetem Umfang tätig ist (vgl dazu Senatsurteil vom 20. Januar 1999 ≪SozR 3-2500 § 87 Nr 20≫ hinsichtlich des Laborbedarfs in der Urologie und der Chirurgie). Den damit verbundenen Verwerfungen könnte im Einzelfall – was hier jedoch nicht abschließend zu entscheiden ist – durch eine Anwendung der Ausnahmeregelungen nach Nr 4.3 aaO EBM-Ä Rechnung getragen werden. Das alles ist für die Klägerin indessen ohne Bedeutung. Die Fallpunktzahlen der Psychiater sind – jedenfalls ohne Berücksichtigung der regionalisierten Werte nach Anlage 3 der Allgemeinen Bestimmungen A I, Teil B EBM-Ä – bei den Mitgliedern und Familienangehörigen deutlich höher und bei den Rentnern geringfügig niedriger als diejenige für Nervenärzte. Daraus folgt, dass die Klägerin allenfalls dann belastet sein könnte, wenn sie gerade bei der Behandlung von Mitgliedern und familienversicherten Patienten vorwiegend nervenärztlich, bei den Rentnern dagegen vorwiegend psychiatrisch tätig wäre. Das macht sie selbst nicht geltend und liegt auch nicht nahe.

Nach dem Vorbringen der Klägerin kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie sich weniger gegen die Berechnung der Fallpunktzahlen für ihr Praxisbudget als doppelt zugelassene Ärztin als vielmehr generell dagegen wendet, dass ihr Honorar im Zuge der Einführung der Praxisbudgets gegenüber der Situation in den Jahren 1993 bis 1995 zurückgegangen ist. Daraus ließe sich jedoch kein Einwand gegen die generelle Rechtmäßigkeit der Einführung der Praxisbudgets ableiten, die der Senat auch in jüngster Zeit noch mehrfach bekräftigt hat (zuletzt Senatsurteil vom 15. Mai 2002 – B 6 KA 33/01 R – = BSGE 89, 259 ff = SozR 3-2500 § 87 Nr 34).

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176692

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