Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Revisionsgrund. grundsätzliche Bedeutung. Verfassungswidrigkeit. Beitragszuschlag in der gesetzlichen Pflegeversicherung für Kinderlose

 

Leitsatz (redaktionell)

Stützt der Beschwerdeführer seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auf die Verfassungswidrigkeit der Beitragsregelung (hier: Beitragszuschlag für Kinderlose gemäß § 55 Abs. 3 S. 1 SGB XI), muss er die von ihm behauptete Verfassungswidrigkeit anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe prüfen und die Rechtsprechung des BSG und des BVerfG zur Beitragsbelastung in der Pflegeversicherung eingehend berücksichtigen, insbesondere ausführen, inwieweit eine vermeintlich ungerechtfertigte Besserstellung anderer Versicherter wegen des Ausfalls der an sich sachgerechten Zahlungsverpflichtung dieser Versicherten zu messbaren Auswirkungen auf das Beitragsaufkommen und signifikant höheren Beiträgen für die benachteiligten Versicherten führt.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1; SGB XI § 55 Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1, 3 S. 2, Art. 6 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1, 3

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 12.04.2018; Aktenzeichen L 20 P 15/17)

SG Bayreuth (Entscheidung vom 23.02.2017; Aktenzeichen S 8 P 119/16)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. April 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der kinderlose Kläger gegen die Erhebung des Beitragszuschlags für Kinderlose von 0,25 Beitragssatzpunkten in der sozialen Pflegeversicherung gemäß § 55 Abs 3 S 1 SGB XI durch die beklagte Pflegekasse.

Der Kläger ist als Rechtsanwalt tätig und freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung. Er ist seit 2014 verheiratet. Seinen Antrag auf Erlass bzw Befreiung vom Beitragszuschlag für Kinderlose begründete er im Wesentlichen damit, dass seine Ehefrau aufgrund Sterilität keine Kinder bekommen könne. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (SG-Urteil vom 23.2.2017; LSG-Urteil vom 12.4.2018). Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen LSG vom 12.4.2018 ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).

1. Der Kläger beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 23.7.2018 ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Hierzu muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger wirft auf Seite 8 der Beschwerdebegründung die Frage auf,

"ob § 55 Absatz 3 SGB XI, indem die Kinderlosigkeit auf einer Behinderung beruht, gegen Verfassungsrecht nach Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 iVm. 3 Absatz 1, 6 Absatz 1, 20 Absatz 1 und 3 GG verstößt?"

§ 55 Abs 3 SGB XI sei mit Art 6 Abs 1, Art 3 Abs 1 und 3 iVm Art 20 Abs 1 und 3 GG unvereinbar.

Der Kläger legt die Klärungsbedürftigkeit der von ihm gestellten Frage nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise dar. Er gibt allein seine eigene verfassungsrechtliche Auffassung wieder, ohne jedoch die von ihm behauptete Verfassungswidrigkeit anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zu prüfen und ohne Rechtsprechung des BSG und des BVerfG zur Beitragsbelastung in der Pflegeversicherung eingehend zu berücksichtigen. Hierzu hätte er ausführen müssen, aus welchen Gründen den Entscheidungen des Senats zum Beitragszuschlag für Kinderlose vom 27.2.2008 (B 12 P 2/07 R - BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2; hierzu BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 2.9.2009 - 1 BvR 1997/08 - SozR 4-3300 § 55 Nr 3) sowie vom 5.5.2010 (B 12 KR 14/09 R - SozR 4-3300 § 59 Nr 3) und des BVerfG zur Beitragsbemessung in der Pflegeversicherung sowie zum Beitragszuschlag für Kinderlose (BVerfG Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) keine Beantwortung der von ihm gestellten Frage zu entnehmen ist.

Der Kläger legt die Klärungsbedürftigkeit auch nicht dadurch dar, dass er darauf hinweist, dass der Senat im Urteil vom 27.2.2008 (B 12 P 2/07 R - BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 18) ausdrücklich offengelassen hat, ob sich ein Kläger darauf berufen könne, dass weitere Gruppen von Versicherten den zusätzlichen Beitragszuschlag nicht zu zahlen hätten (§ 55 Abs 3 S 7 SGB XI: vor 1940 geborene Versicherte, Wehr- und Zivildienstleistende, Bezieher von Alg II), obwohl deren Begünstigung nicht auf das Vorhandensein bzw Fehlen von Kindern abstelle, sondern an andere Umstände anknüpfe. Die im genannten Urteil des Senats geforderten Ausführungen dazu, dass eine vermeintlich ungerechtfertigte Besserstellung anderer Versicherter wegen des Ausfalls der an sich sachgerechten Zahlungsverpflichtung dieser Versicherten zu messbaren Auswirkungen auf das Beitragsaufkommen und signifikant höheren Beiträgen für die benachteiligten Versicherten führe, macht der Kläger nicht. Stattdessen wiederholt er seine Rechtsansicht, wonach darin eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung liege und nimmt nur Berechnungen zur zahlenmäßigen Größe der von ihm gebildeten Vergleichsgruppen vor. Unabhängig von der fehlenden Betrachtung des Beitragsaufkommens unterlässt der Kläger auch Ausführungen dazu, aus welchen Rechtsgrundlagen sich die von ihm erwünschte Privilegierung seiner individuellen Lebenssituation ergeben soll und wie sich dies - auch unter dem Aspekt der Abgrenzbarkeit von Personengruppen - mit den vom BVerfG im Urteil vom 3.4.2001 (1 BvR 1629/94 - BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) formulierten Anforderungen in Einklang bringen lassen könnte. Schließlich legt der Kläger in diesem Zusammenhang auch nicht eine relevante Selbstbetroffenheit dar (vgl insoweit BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 2.9.2009 - 1 BvR 1997/08 - SozR 4-3300 § 55 Nr 3 - Juris RdNr 8).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12550299

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