Entscheidungsstichwort (Thema)

Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Rüge eines Verfahrensmangels. Anforderung an die Darlegung des Fehlens von Entscheidungsgründen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. An den nach § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG erforderlichen Entscheidungsgründen eines Urteils fehlt es nicht schon dann, wenn die Gründe sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (st.Rspr; vgl. BSG SozR Nr 79 zu § 128 SGG). Es reicht vielmehr aus, wenn mindestens die angewandte Rechtsnorm bezeichnet und zudem angegeben ist, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen ein Tatbestandsmerkmal der genannten Norm vorliegt bzw. nicht vorliegt (st.Rspr; vgl. BSG SozR 1500 § 136 Nr 10).

2. Soweit ein Kläger rügt, dass das LSG nicht sein gesamtes tatsächliches Vorbringen ausdrücklich wiedergegeben und behandelt hat, stellt dies keine Rüge des Fehlens von Entscheidungsgründen dar, sondern nur die Rüge einer seiner Ansicht nach vorliegende Unvollständigkeit und Unrichtigkeit der Gründe (st.Rspr; vgl. BSG, Beschluss v. 08.08.2002, B 11 AL 120/02 B). Dies genügt nicht für eine Zulassung der Revision.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 136 Abs. 1 Nr. 6

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 08.01.2002; Aktenzeichen L 14 AL 166/99)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Januar 2002 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der Beklagten Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Der im Jahre 1944 geborene Kläger meldete sich im Anschluss an eine berufliche Bildungsmaßnahme im Januar 1999 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alhi. In dem schriftlichen Antrag auf Alhi beantwortete er die vorgedruckte Frage „Ich bin bereit, alle Möglichkeiten zu nutzen, um eine Beschäftigungslosigkeit zu beenden”, mit „nein” und unterstrich das Wort „alle”. Die Beklagte lehnte daraufhin durch Bescheid vom 26. Februar 1999 die Bewilligung von Alhi ab, weil der Kläger auf Grund seiner Erklärung nicht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. April 1999; Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. September 1999). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) am 8. Januar 2002 den Kläger im Hinblick auf seine Bedürftigkeit persönlich gehört und dessen Ehefrau K. … G. … als Zeugin vernommen. Der Kläger gab dabei an, die genaue Höhe des Vermögens seiner Ehefrau sei ihm nicht bekannt. Er wisse aber, dass noch ein Restbetrag von etwa 20.000,00 DM vorhanden sei. Während seiner Arbeitslosigkeit habe seine Ehefrau monatlich ca 2.000,00 DM zur Verfügung gestellt. Dies dürfte etwa 36 Monate lang notwendig gewesen sein, weil – die hier strittigen – Leistungen der Arbeitsverwaltung nicht bezogen worden seien. Das Geld habe seine Ehefrau ursprünglich in Scheinen aus Japan mitgebracht und in einer Tasche verwahrt. Als er etwa 1994 hiervon erfahren habe, habe er das Geld auf ein Bankkonto einzahlen lassen. Seine Ehefrau sei nach japanischem Recht verpflichtet, einen Teil des Geldes gegenüber ihrer Familie zu verwenden. Dies sei auch so in der Vergangenheit bereits erfolgt. Im Übrigen sei seine Ehefrau darauf angewiesen, Geld für ihre eigene Altersvorsorge zurückzubehalten, da in Japan üblicherweise Betriebsrenten gezahlt würden und diese durch die Übersiedlung nach Deutschland möglicherweise gefährdet seien. Die Ehefrau des Klägers hat als Zeugin angegeben, sie sei als ältestes von acht Geschwistern nach japanischer Sitte für das Wohlergehen der Familie mitverantwortlich. Sie habe eine alte Mutter, der Vater sei vor ca dreizehn Jahren verstorben. Sie habe 1992 einen Teil des Familienbesitzes mit nach Deutschland gebracht. Dieser Familienbesitz gehöre der Sippe F. …. Sie könne über dieses Vermögen nicht ohne Einwilligung der Geschwister sprechen. Daneben habe sie auch persönliches Geld von ihrer Schwester erbeten, wovon etwa noch 11.000,00 EUR oder etwas weniger vorhanden seien. Im Übrigen berufe sie sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht.

Mit Urteil vom 8. Januar 2002 hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne dahinstehen, ob der Kläger arbeitslos gewesen sei. Jedenfalls fehle es an der Bedürftigkeit iS des § 190 Abs 1 Nr 5 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Bedürftigkeit sei nur gegeben, wenn der Arbeitslose seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten könne und das zu berücksichtigende Einkommen die Alhi nicht erreiche (§ 193 Abs 1 SGB III). Nicht bedürftig sei ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder das Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebe, die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt sei (§ 193 Abs 2 SGB III). Entsprechende Regelungen enthalte § 6 Abs 1 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV). Hiernach sei Vermögen zu berücksichtigen, soweit es verwertbar sei, die Verwertung zumutbar sei und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar sei, 8.000,00 DM (jetzt 4.100,00 EUR) übersteige. Nach den eigenen Angaben des Klägers in seinem Leistungsantrag sowie in den mündlichen Verhandlungen des Gerichts besitze seine Ehefrau Vermögen in erheblichem Umfang. Dies ergebe sich aus deren Aussage als Zeugin. Dass die Verwertung dieses Vermögens ganz oder teilweise nicht zumutbar sei, könne der Senat jedoch nach dem ihm bekannten Sachverhalt nicht feststellen. Weder sei die Höhe des Vermögens bekannt noch lasse sich ermitteln, ob und ggf zu welchem Teil das Vermögen möglicherweise nur treuhänderisch verwaltet werde oder ob es aus anderen Gründen als sog „Schonvermögen” – etwa als zur Alterssicherung bestimmt – angesehen werden könne. Der Kläger habe nach seinen eigenen Angaben hierzu keine weiteren Kenntnisse. Die Zeugin habe sich nach Abgabe ihres „statements” auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten seien nicht erkennbar. Die Ausländerakte und der Sozialhilfevorgang enthielten keine sachdienlichen Unterlagen. Aus der Angabe, dass von dem der Zeugin – neben dem ursprünglich mitgebrachten – von ihrer Schwester 1999 zur Verfügung gestellten und wohl als ihr gehörig angesehenen Betrag noch gut 10.000,00 EUR vorhanden sein sollen, ergebe sich weder der 1999 ursprünglich vorhandene Betrag, da er sich außer durch Entnahmen für die „Darlehen” an den Kläger auch durch andere Ausgaben gemindert haben könne, noch welches Vermögen der Zeugin sonst zuzurechnen wäre. Unter diesen Umständen seien keine Tatsachen erwiesen, die die Verwertung des vorhandenen Vermögens ausschlössen, sodass von einer Bedürftigkeit des Klägers nicht ausgegangen werden könne. Im Übrigen greife angesichts der Bestreitung des tatsächlichen Unterhalts aus dem Vermögen der Ehefrau auch die Vermutung des § 10 Nr 2 AlhiV ein, wonach anzunehmen sei, dass der Arbeitslose seinen Lebensunterhalt auf andere Weise als durch Alhi bestreiten könne, wenn sich nicht feststellen lasse, ob und in welcher Höhe Vermögen vorhanden sei.

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorbezeichneten Urteil. Er rügt vorrangig das Vorliegen eines Verfahrensfehlers gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil dem Urteil des LSG die erforderlichen Gründe fehlten (Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG). § 136 Abs 1 Nr 6 SGG sei nicht erst dann verletzt, wenn überhaupt keine Gründe vorlägen, sondern auch dann, wenn einzelne Ansprüche, Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Urteil nicht behandelt worden oder wenn die Erwägungen, die das Gericht in einem entscheidungserheblichen Streitpunkt zum Urteilsausspruch geführt hätten, dem Urteil selbst nicht zu entnehmen seien (Hinweis auf BSG SozR 1500 § 136 Nr 10 und BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 19). Obwohl sowohl er als auch seine Ehefrau als Zeugin zu dem Vermögen, das die Zeugin aus Japan mitgebracht habe, Angaben gemacht hätten, insbesondere auf die Zweckgebundenheit zur Alterssicherung hingewiesen und das Vermögen zum Teil als Familienvermögen der Sippe F. … bezeichnet hätten, habe dessen ungeachtet das LSG seine Entscheidung auf § 190 Abs 1 Nr 5 SGB III gestützt, ohne auf seine – des Klägers – Argumentation einzugehen und seine rechtliche Beurteilung zu begründen. Das angefochtene Urteil unterliege schon deshalb der Aufhebung, weil es in dem entscheidenden Punkt nicht mit Gründen versehen sei. Das Berufungsgericht habe sich zur Begründung seiner Entscheidung über die Unverwertbarkeit des Vermögens mit den vorgetragenen Argumenten in seiner Entscheidung überhaupt nicht befasst, sodass insoweit die Urteilsgründe fehlten. Die Urteilsbegründung gehe auf seine Argumentation mit keinem Wort ein, sodass er zu dem entscheidungserheblichen Problem des Falles überhaupt keine Entscheidung bekommen habe. Der Verstoß gegen die Begründungspflicht müsse hier zur Zulassung der Revision führen, weil es sich bei einer fehlenden Urteilsbegründung um einen absoluten Revisionsgrund iS des § 551 Nr 7 Zivilprozessordnung iVm § 202 SGG handele.

Weiterhin weiche das Urteil auch von der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Frage des Schonvermögens bei der Alterssicherung ab (Urteil des 7. Senats vom 22. Oktober 1998 – B 7 AL 118/97 R). Danach sei bei der Bedürftigkeitsprüfung nach § 6 Abs 3 Nr 3 AlhiV die Verwertung von Vermögen, das zu einer angemessenen Alterssicherung diene, nicht uneingeschränkt zumutbar. Das Urteil des LSG gehe in keiner Weise auf dieses Urteil des BSG und die Änderung der AlhiV zum 1. Juli 1999 ein, wodurch es automatisch von diesem Urteil abweiche und die Entscheidung zu Lasten des Klägers auf dieser Abweichung beruhe.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unbegründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). An Entscheidungsgründen fehlt es nicht schon dann, wenn die Gründe sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (BSG SozR Nr 79 zu § 128 SGG; Beschluss des 11. Senats des BSG vom 8. August 2002 – B 11 AL 120/02 B). Für die in § 136 Abs 1 Nr 6 SGG geforderten Entscheidungsgründe reicht es vielmehr aus, wenn mindestens die angewandte Rechtsnorm bezeichnet und angegeben ist, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen ein Tatbestandsmerkmal der genannten Norm vorliegt bzw nicht vorliegt (vgl BSG SozR 1500 § 136 Nr 10; BSG, Beschluss vom 17. Dezember 1997 – 9 BV 122/97; Beschluss des Senats vom 21. Dezember 1987 – 7 BAr 61/84; sowie zuletzt Beschluss des 11. Senats des BSG vom 8. August 2002 – B 11 AL 120/02 B). Nicht mit Entscheidungsgründen versehen ist ein Urteil mithin (nur) dann, wenn ihm solche Gründe objektiv nicht entnommen werden können, etwa weil die angeführten Gründe objektiv unverständlich oder verworren sind oder nur nichtssagende Redensarten enthalten oder zu einer von einem Beteiligten aufgeworfenen, eingehend begründeten und für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nur ausgeführt wird, dass die Auffassung nicht zutreffe. Es ist hingegen ausreichend, wenn das Gericht sich unter Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung einer bündigen Kürze befleißigt und nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abgehandelt hat. Das LSG hat hier zunächst die einschlägigen Rechtsnormen (§ 193 Abs 2 SGB III iVm § 6 Abs 1 AlhiV) wiedergegeben. Es hat auch in nachvollziehbarer und schlüssiger Weise begründet, wieso es davon ausgehe, dass die Verwertung des Vermögens der Ehefrau des Klägers zumutbar sei bzw die Unzumutbarkeit nicht nachgewiesen sei. Insofern war das LSG nicht gehalten, den gesamten Sachvortrag des Klägers und seiner Ehefrau nochmals zu würdigen. Insofern rügt der Kläger lediglich, dass das LSG nicht sein gesamtes tatsächliches Vorbringen ausdrücklich wiedergegeben und als inhaltlich nicht überzeugend zurückgewiesen hat. Damit rügt der Kläger in Wirklichkeit aber nicht das Fehlen von Entscheidungsgründen, sondern nur die seiner Ansicht nach vorliegende Unvollständigkeit und Unrichtigkeit der Gründe (vgl Beschluss des 11. Senats des BSG vom 8. August 2002 – B 11 AL 120/02 B). Dies genügt nicht für eine Zulassung der Revision. Es kann deshalb dahinstehen, ob das Urteil des LSG noch auf eine zweite Begründung – das Eingreifen der Vermutungsregel des § 10 AlhiV – gestützt ist, zu der die Beschwerde jedenfalls keinen Vortrag enthält (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 38).

Soweit der Kläger die Rüge der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) erhebt, ist dieser Zulassungsgrund schon nicht ausreichend dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Aus dem Vorbringen des Klägers erschließt sich schon nicht, mit welchem tragenden Rechtssatz das LSG der Entscheidung des BSG vom 22. Oktober 1998 (BSGE 83, 88) widersprochen haben sollte. Das LSG hat hier das Vorliegen von Schonvermögen gänzlich verneint, sodass sich die Frage, in welcher Höhe dieses Vermögens noch zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt werden konnte, überhaupt nicht stellte.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176712

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge