Leitsatz (amtlich)

Eine durch Erhebung der öffentlichen Klage anhängig gemachte Strafsache kann schon vor Eröffnung des Hauptverfahrens mit einer bei einem anderen Spruchkörper desselben Gerichts schwebenden, vom Rechtsmittelgericht zurückverwiesenen Sache verbunden werden.

 

Normenkette

StPO § 237

 

Verfahrensgang

LG Köln

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts in Köln vom 22. Oktober 1964 im Gesamtstrafenanspruch mit den Feststellungen hierzu aufgehoben.

In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück verwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Das Schöffengericht – Abt. 93 des Amtsgerichts – in Köln hatte den Angeklagten wegen Notzucht in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall Doris Schmitz) zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Nachdem das Oberlandesgericht am 9. Juli 1963 dieses Urteil auf die Sprungrevision des Angeklagten aufgehoben und die Sache zurückverwiesen hatte, erhob die Staatsanwaltschaft gegen ihn unter dem 21. Januar 1964 wegen eines weiteren Notzuchtverbrechens (Fall Inge Z.) Anklage beim Schöffengericht in Köln. Diese gelangte an die Abt. 37 des Amtsgerichts und wurde dem Angeklagten am 18. Februar 1964 zugestellt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde die Sache sodann zum Zwecke der Verbindung mit dem ursprünglichen Verfahren an die Abt. 93 abgegeben. Der Amtsrichter dieser Abteilung ordnete als Vorsitzender des Schöffengerichts am 5. März 1964 die Verbindung an und eröffnete durch Beschluß vom 13. März 1964 das Hauptverfahren. In der Hauptverhandlung vom 4. Juni 1964 wurde die Sache auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 270 StPO an die Strafkammer mit der Begründung verwiesen, daß die Strafgewalt des Schöffengerichts gegebenenfalls nicht ausreiche.

Die Strafkammer verurteilte den Angeklagten wegen Notzucht in zwei Fällen, davon in einem Fall (Doris S.) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und im anderen Fall (Inge Z.) in Tateinheit mit einfacher Körperverletzung zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren Zuchthaus (Einzelstrafen: 1 Jahr 6 Monate Gefängnis und 1 Jahr 6 Monate Zuchthaus). Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Sie hat nur in einen Nebenpunkt Erfolg.

I.Verfahrensvoraussetzungen.

Die Überprüfung der Verfahrensvoraussetzungen hat ergeben, daß im Falle Z. weder die zur Tatzeit 19 Jahre alte Verletzte noch ihre Eltern als gesetzliche Vertreter Strafantrag gestellt haben. Die Verletzte hat zwar bei ihrer polizeilichen Vernehmung vom 27. Dezember 1963 zunächst erklärt, Strafantrag stellen zu wollen. Noch bevor sie die Niederschrift unterschrieben hatten, hat sie jedoch diese Erklärung widerrufen. Im übrigen war zu jener Zeit die dreimonatige Antragsfrist bereits seit langem verstrichen. Das Fehlen eines Strafantrages steht hier indes der Verurteilung des Angeklagten wegen leichter vorsätzlicher Körperverletzung nicht entgegen. Die Staatsanwaltschaft hat auch unter diesem Gesichtspunkt. Anklage erhoben, obwohl ihr bekannt war, daß kein Strafantrag gestellt worden war. Damit hat sie unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß sie wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten erachtete.

Il.Verfahrensbeschwerden.

1.) Die Auffassung, die Verweisung nach § 270 StPO an die Strafkammer sei unzulässig gewesen, weil das Oberlandesgericht die Sache an das Schöffengericht zurückverwiesen habe und dieser Ausspruch bindend gewesen sei, ist unzutreffend. Die Revision verkennt die Bindungswirkung von Revisionsurteilen. Diese bezieht sich immer nur auf die Sach- und Rechtslage die das Revisionsgericht bei Aufhebung des angefochtenen Urteils zu beurteilen hatte. Treten nachträglich Tatsachen ein, die für die sachliche Zuständigkeit Bedeutung haben, so dürfen sie nicht unberücksichtigt bleiben. Das ergibt sich schon aus § 6 StPO, wonach das Gericht seine sachliche Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen hat. Die gegenteilige Ansicht würde im übrigen zu einer untragbaren Durchbrechung der im Gerichtsverfassungsgesetz getroffenen Zuständigkeitsregelung führen. So müßte z.B. das Schöffengericht, bei dem Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben war, die Tat auch aburteilen, wenn sie sich in der neuen Hauptverhandlung als Mord darstellte, und dies selbst dann, wenn das Rechtsmittel von der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten eingelegt gewesen wäre, das Verbot der Schlechterstellung also nicht gilt.

Von einer den Standpunkt der Revision teilenden „einhelligen Meinung in der Rechtsprechung” kann keine Rede sein.

Der Entscheidung des Senats in BGHSt 18, 261 ist für den vorliegenden Fall nichts zu entnehmen Hingegen ist bereits das Reichsgericht in RGSt 42, 263 als selbstverständlich davon ausgegangen, daß auch nach Aufhebung eines Urteils und Zurückverweisung der Sache die Vorschrift des § 270 StPO Anwendung zu finden habe.

2.) Die Revision ist weiter der Ansicht, der Amtsrichter der Abt. 93 sei für die Eröffnung des Hauptverfahrens in dem nachträglich angeklagten Fall nicht zuständig gewesen, weil am 5. März 1964 die Voraussetzungen für eine Verbindung der beiden Verfahren noch nicht gegeben gewesen seien. Auch insoweit kann ihr nicht gefolgt, werden. Richtig ist, daß sich die Zulässigkeit der Verbindung nicht, wie die Strafkammer im Urteil ausgeführt hat, aus § 4 StPO herleiten läßt; denn die beiden Strafsachen gehörten nicht einzeln zur Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung. Auch die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 StPO – verschiedene örtliche Zuständigkeiten – lagen nicht vor. Es handelt sich vielmehr um die Verbindung von Sachen, für die nach dem Gesetz dasselbe Gericht zuständig war, die aber durch den Geschäftsverteilungsplan verschiedenen Spruchkörpern dieses Gerichts zur Entscheidung zugewiesen waren. Hierfür kommt als gesetzliche Grundlage, wie die Revision zutreffend geltend macht, § 237 StPO in Betracht. Danach kann das Gericht mehrere bei ihm anhängige Strafsachen, zwischen denen ein irgendwie gearteter Zusammenhang – nicht nur der in § 3 StPO bezeichnete – besteht, zum Zwecke gleichzeitiger Verhandlung verbinden. Hier liegt ein persönlicher Zusammenhang vor, weil derselbe Angeklagte mehrerer strafbarer Handlungen beschuldigt wird (§ 3 StPO). Beide Verfahren waren auch beim Amtsgericht – Schöffengericht – in Köln „anhängig”.

Allerdings wird im Schrifttum die Meinung vertreten., daß nach § 237 StPO nur Sachen verbunden werden dürften, in denen das Hauptverfahren bereits eröffnet ist (Eb. Schmidt § 237 StPO Randzahl 2; Geier in Löwe-Rosenberg, 21. Aufl. § 237 Anm. 2). Das wird u.a. aus der Einordnung der Bestimmung in den Abschnitt „Hauptverhandlung” und aus dem Zweck der Verbindung gefolgert. Dieser Meinung ist der Senat indessen schon in früheren Entscheidungen nicht gefolgt. So hat er es im Urteil vom 30. Juli 1953 – 2 StR 234/52 – für zulässig erklärt, eine neu eingegangene Sache, für die infolge Änderung des Geschäftsverteilungsplans an sich eine andere Strafkammer zuständig gewesen wäre, sofort bei Eingang mit einem schon länger anhängigen Verfahren gegen denselben Angeklagten zu verbinden. Im Urteil vom 29. September 1953 – 2 StR 246/52 – hat er ferner ausgesprochen, zwei gegen denselben Angeklagten vor verschiedenen Strafkammern anhängige Verfahren könnten dadurch miteinander verbunden werden, daß eine der Strafkammern in beiden Sachen das Hauptverfahren eröffne.

Der Senat sieht auch jetzt keinen überzeugenden Grund dem Begriff der „Anhängigkeit” in § 237 StPO eine engere Bedeutung beizumessen als in § 13 Abs. 2 StPO, zu dessen Anwendung schon die Erhebung der Anklage genügt. Auch § 2 StPO ist in diesem Sinne zu verstehen, während in den §§ 4 und 12 StPO ausdrücklich auf die Eröffnung der Voruntersuchung oder des Hauptverfahrens abgestellt ist. Die Tatsache daß bei verschiedener sachlicher oder örtlicher Zuständigkeit die Staatsanwaltschaft schon von sich aus zusammenhängende Sachen – im Sinne des § 3 StPO – verbunden anhängig machen, im zureiten Fall sogar noch durch Nacherheben einer Anklage die Verbindung mit einer bereits anhängigen Sache herstellen kann, spricht ebenfalls gegen die angeführte P1 einung des Schrifttums. Die Stellung der Bestimmung im Gesetz zwingt angesichts ihres Wortlauts, der keine Einschränkung enthält, nicht zu dem Schluß, daß in allen Sachen bereits das Hauptverfahren eröffnet sein müsse. Auch aus der Wendung „zum Zwecke gleichzeitiger Verhandlung” läßt sich nichts Entscheidendes herleiten; denn dieser Zweck wird auch in Fällen verschiedener sachlicher oder örtlicher Zuständigkeit häufig der Grund für eine Verbindung sein. Daß hier in der einen Sache bereits ein Rechtsmittelverfahren durchgeführt worden war, stand der Anwendung des § 237 StPO nicht im Wege. Die in BGHSt 18, 261 dargelegten Gründe, die nach Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht eine Änderung der örtlichen Zuständigkeit verbieten, treffen auf eine Verbindung nach dieser Vorschrift nicht zu.

Nach Auffassung des Senats war es daher zulässig, daß der Amtsrichter der Abt. 93 die bei der Abt. 37 durch Erhebung der öffentlichen Klage anhängig gemachte neue Sache, ohne die Eröffnung des Hauptverfahrens abzuwarten, durch Verbindung mit der bei ihm schwebenden Sache an sich zog. Das entspricht jedenfalls im Ergebnis auch der Ansicht des Reichsgerichts, wie sie in der Entscheidung Recht 1917 Nr. 741 zum Ausdruck gekommen ist. Dort heißt es nämlich die Verbindung von Sachen, die vor dasselbe Gericht gehören, werde stillschweigend als Regel vorausgesetzt, und § 236 (jetzt § 237) StPO stelle nur klar, daß die Verbindung selbst noch in der Hauptverhandlung zulässig sei, wenn sie nicht schon vorher durch die Behandlung seitens der Staatsanwaltschaft herbeigeführt oder selbständig vom Gericht angeordnet sei.

Ob die Verbindung entsprechend der Bestimmung des § 13 Abs. 2 StPO eine dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechende Vereinbarung der beiden Amtsrichter voraussetzte, braucht nicht entschieden zu werden; denn eine solche Vereinbarung liegt hier vor. Die Übernahme der neuen Sache erfolgte nämlich auf Antrag der Staatsanwaltschaft und im Einvernehmen mit dem nach dem Geschäftsverteilungsplan an sich zuständigen Amtsrichter. Bemerkt sei jedoch, daß der Senat dazu neigt, die Frage zu bejahen.

Die hiernach zulässige Verbindung wiederaufzuheben, als sich die Notwendigkeit einer Verweisung an die Strafkammer ergab, bestand für das Schöffengericht kein Anlaß.

3.) Die Rüge, das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO) sei verletzt, ist offensichtlich unbegründet.

III.Sachrüge

Die Nachprüfung des Schuldspruches auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Auch die Einzelstrafaussprüche sind nicht zu beanstanden. Der Gesamtstrafausspruch kann dagegen nicht bestehen bleiben.

Nach dem Urteil ist der Angeklagte am 24 November 1961 zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden, die bis zum 15. Januar 1967 zur Bewährung ausgesetzt wurden. Daß die Strafaussetzung widerrufen worden ist und der Angeklagte die Strafe bei Erlaß des angefochtenen Urteils bereits verbüßt hatte, ist nicht festgestellt. Auch über die Verbüßung der Strafe von drei Wochen Gefängnis aus dem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 14. Dezember 1962 wird nichts gesagt. Danach hat die Strafkammer möglicherweise übersehen, daß aus diesen Strafen – gegebenenfalls den ihnen zugrunde liegenden Einzelstrafen – oder jedenfalls der ersten und der im Falle Z. – Tatzeit: Sommer 1961 – erkannten Einzelstrafe eine Gesamtstrafe zu bilden war, in die allerdings die Einzelstrafe im Falle S. – Tatzeit: 31. August 1962 – nicht einzubeziehen gewesen wäre (vgl. BGH GA 1955, 244 und 1956, 50). Für den Fall, daß die früheren Strafen inzwischen verbüßt sein sollten, wird auf BGHSt 4, 366 hingewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609923

BGHSt, 219

NJW 1965, 1609

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