Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 30.03.2011) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 30. März 2011 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Der Angeklagte wurde wegen Steuerdelikten im Zusammenhang mit geschmuggelten Zigaretten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Rz. 2
Seine Revision ist auf zwei Verfahrensrügen, von denen sich eine allein gegen den Strafausspruch richtet, und die nicht ausgeführte Sachrüge gestützt.
Rz. 3
Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 4
1. Zurückweisung eines Ablehnungsantrags gegen die (Berufs-)Richter wegen Besorgnis der Befangenheit:
Rz. 5
a) Folgendes liegt zu Grunde:
Rz. 6
(1) Wegen Verdachts der Beteiligung an den abgeurteilten Taten hatte die Staatsanwaltschaft zwei Anklagen vor derselben Strafkammer erhoben, die Hauptverhandlungen liefen (zumindest teilweise) zeitlich parallel und mit denselben Berufsrichtern.
Rz. 7
(2) Die hier als Zeugen vorgeladenen Angeklagten des Parallelverfahrens machten unter Berufung auf § 55 StPO keine Angaben zur Sache.
Rz. 8
(3) Danach beantragte die Verteidigung dienstliche Äußerungen der Berufsrichter zu näher bezeichneten Fragen über den Ablauf der parallelen Hauptverhandlung und dabei geführter Verständigungsgespräche. Als nach etwa zwei Wochen hierauf noch keine Reaktion erfolgt war, wurden die Richter abgelehnt. Gestützt auf deren dienstliche Erklärungen, über den genannten Antrag wegen Überlastung noch nicht entschieden zu haben, wurde der Ablehnungsantrag zurückgewiesen. Schon ein Anspruch auf die dienstlichen Äußerungen sei zweifelhaft. Nachteile für den Angeklagten im Rahmen der voraussehbar noch länger andauernden Hauptverhandlung durch die wegen Überlastung bisher unterbliebene Bearbeitung des Antrags seien nicht erkennbar. Sie begründe daher nicht die Besorgnis der Befangenheit.
Rz. 9
b) Die Revision meint, Absprachen mit anderen Tatbeteiligten begründeten ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit, wenn sie nicht von Amts wegen „unaufgefordert” und „unverzüglich”, spätestens aber alsbald auf entsprechende Aufforderung hin offen gelegt würden. Dies folge aus der hier entsprechend geltenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Verständigungsgesprächen mit nur einem Angeklagten (bzw. dessen Verteidigung) bei einer gegen mehrere Angeklagte geführten Hauptverhandlung (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72, 73 mwN). Außerdem wäre die geforderte Unterrichtung problemlos möglich gewesen, was sich daran zeige, dass im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung die Niederschrift der einschlägigen Vorgänge aus dem Protokoll der Hauptverhandlung gegen die Zeugen verlesen wurde.
Rz. 10
c) Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.
Rz. 11
Die Grundsätze der genannten Rechtsprechung zur Offenlegung von Verständigungsgesprächen sind auf Fälle der vorliegenden Art nur übertragbar, soweit es um die Sicherung bestmöglicher Wahrheitsfindung geht. Sie können nicht in gleicher Weise gelten, soweit es, unabhängig von der Wahrheitsfindung, um die Vermeidung des Anscheins geht, der Richter sei nicht gegenüber allen Angeklagten gleich unvoreingenommen und unparteiisch.
Rz. 12
(1) Bei einer Hauptverhandlung gegen mehrere Angeklagte können im Grundsatz Verständigungsgespräche mit allen Angeklagten (bzw. deren Verteidigern) zugleich durchgeführt werden. Werden sie nicht mit allen Angeklagten geführt, besteht Anlass, dem genannten Anschein gegenüber den nicht an den Gesprächen beteiligten Angeklagten durch alsbaldige Offenlegung der Gespräche in der Hauptverhandlung entgegenzuwirken. Gleichzeitige Gespräche mit den Angeklagten einer laufenden Hauptverhandlung und Angeklagten einer künftigen oder auch parallelen Hauptverhandlung sind dagegen schon wegen des nicht gleichen Verfahrensstandes und des damit naheliegend verbundenen nicht gleichen Kenntnisstandes der Beteiligten kaum sinnvoll. Ein einheitlicher Kenntnisstand fehlt auch in Fällen, bei denen dieselben (Berufs-)Richter mitwirken, jedenfalls den in die Gespräche ebenfalls einzubeziehenden Schöffen, die bei noch nicht terminierten Sachen sogar noch nicht einmal feststehen. Daher kann ein „verständiger”, zumal anwaltlich beratener Angeklagter eines anderen Verfahrens, anders als möglicherweise ein Mitangeklagter desselben Verfahrens, allein daraus, dass solche Gespräche ohne ihn stattgefunden haben, nicht die Besorgnis ableiten, der Richter sei ihm gegenüber in irgend einer Weise voreingenommen.
Rz. 13
(2) Dies ändert nichts an der Notwendigkeit, auch in solchen Fällen in die Würdigung einer entscheidungserheblichen (Zeugen-)Aussage eines Tatbeteiligten eine vorangegangene Verständigung in dem gegen ihn wegen derselben Tat durchgeführten Verfahren einzubeziehen (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 29. November 2011 – 1 StR 287/11 Rn. 14 mwN). Dies beruht nicht auf der Sorge, er könne dabei in irgendeiner Weise zu künftiger Falschbelastung anderer Tatverdächtiger aufgefordert worden sein. Es geht vielmehr um etwaige Anhaltspunkte dafür, ob er im Blick auf eine vorangegangene oder im Raum stehende Verständigung in seinem Verfahren irrig glauben könnte, eine Falschaussage zu Lasten des Angeklagten sei für ihn besser als eine wahre Aussage zu dessen Gunsten.
Rz. 14
Da die Möglichkeit eines solchen Irrtums nicht davon abhängt, ob die Verfahren gegen ihn und den jetzigen Angeklagten verbunden sind oder waren oder getrennt wurden, ist eine gebotene Würdigung von Verständigungsgesprächen mit dem Zeugen von derartigen Fragen unabhängig. Was zu würdigen ist, ist auch in die Hauptverhandlung einzuführen. Geht es um Verständigungsgespräche in einer anderen, sei es auch unter Mitwirkung derselben Richter durchgeführten Hauptverhandlung, kann dies nicht in Anwendung von § 243 Abs. 4 StPO geschehen. Soweit es um die Klärung etwaiger Fehlvorstellungen des Zeugen geht, wird dies vielmehr sinnvollerweise vor allem durch dessen Befragung geschehen. Ohne dass es hier darauf ankäme, könnte es dabei zweckmäßig sein, ihm Vorhalte aus dem einschlägigen Teil der Niederschrift der gegen ihn geführten Hauptverhandlung (§ 273 Abs. 1a StPO) zu machen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. November 2007 – 1 StR 370/07 Rn. 14, StV 2008, 60, insoweit in BGHSt 52, 78, 81 nicht abgedruckt), sodass es die Vorbereitung der Vernehmung fördern könnte, wenn das Gericht den Verfahrensbeteiligten schon vorab entsprechende Ablichtungen überlässt.
Rz. 15
(3) Hier bestand zu einer entsprechenden Befragung der Zeugen oder gar einer weitergehenden Klärung aber kein Anlass; nachdem keiner der in dem Parallelverfahren angeklagten Tatbeteiligten Angaben zur Sache gemacht hatte – anders als der Angeklagte, dessen Strafe wegen seiner Zeugenaussage im Parallelverfahren gemäß § 46b StGB gemildert wurde –, waren auch keine den (geständigen) Angeklagten belastenden Aussagen dieser Zeugen zu würdigen.
Rz. 16
Anhaltspunkte für eine berechtigte Besorgnis der Befangenheit sind nach alledem unter keinem Blickwinkel erkennbar.
Rz. 17
2. Der Schuldspruch ist ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
Rz. 18
3. Die Rüge der Verletzung von § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO geht fehl, da mehr als zwei Jahre Freiheitsstrafe verhängt wurden. Über die sachlich-rechtliche Begründungspflicht hinaus löst ein Antrag auf Bewährung eine verfahrensrechtliche Begründungspflicht gemäß § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO nur aus, wenn Bewährung rechtlich möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2008 – 4 StR 534/07, StV 2008, 345 ≪LS≫). Da bei einer Strafe von über zwei Jahren Bewährung nach dem Gesetz nicht möglich ist, wäre in diesen Fällen eine Begründung der Versagung von Bewährung sinnlos. Ebenso wenig führt bei einer Strafe von mehr als zwei Jahren ein Antrag auf eine Bewährungsstrafe zu einer gesonderten formalen Pflicht zur Begründung, warum es nicht mit einer solchen Strafe sein Bewenden hätte haben können.
Rz. 19
4. Sachlich-rechtlich ist der Strafausspruch nicht zu beanstanden.
Unterschriften
Nack, Wahl, Hebenstreit, Jäger, Sander
Fundstellen