Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Bindung des Finanzgerichts an die rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs, die der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Rückverweisung zugrunde liegt.

 

Normenkette

AO § 296 Abs. 4; FGO § 126/5

 

Tatbestand

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Die Inhaber der beschwerdeführenden Firma haben als Rückerstattungsberechtigte Steuerbeträge in Höhe von insgesamt 17.886,20 DM bezahlt, die von den zur Rückerstattung verpflichteten bisherigen Firmeninhabern geschuldet wurden. Sie haben diese Zahlungen geleistet, weil sie sich hierzu auf Grund der §§ 103, 104 der Reichsabgabenordnung (AO) für verpflichtet hielten. Sie haben das auch dem Finanzamt gegenüber eindeutig zum Ausdruck gebracht. Die Vorinstanz hat in ihrer im ersten Rechtsgang getroffenen Entscheidung festgestellt, daß die genannten Steuerschulden nicht für die Rückerstattungspflichtigen auf Grund privatrechtlicher Verpflichtung entrichtet worden seien. Die Rückerstattungsberechtigten hätten vielmehr dem Finanzamt klar zu erkennen gegeben, daß sie die Steuern als Haftungsschuldner gemäß den §§ 103, 104 AO und damit nur auf Grund eigener steuerrechtlicher Verpflichtung leisteten. Dieser Auffassung habe das Finanzamt nicht widersprochen, so daß davon auszugehen sei, daß sie vom Finanzamt als Haftungsschuldner im Sinne des § 7 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) "kraft öffentlichen Rechts" in Anspruch genommen worden seien. Tatsächlich bestand eine solche Verpflichtung nicht. Die Vorinstanz hat mit Rücksicht hierauf die Erstattung eines im Jahre 1953 in Höhe von 1.590 DM geleisteten Betrages gemäß § 152 Abs. 1 AO anerkannt, im übrigen aber hinsichtlich des Betrages von 17.886,20 DM minus 1.590 DM 16.296,20 DM einen Erstattungsanspruch wegen verspäteter Geltendmachung verneint (ß 152 Abs. 3 AO). Der Senat hat diese Rechtsauffassung der Vorinstanz zwar gebilligt, die Sache gleichwohl - insoweit unter Aufhebung der Entscheidung - an das Finanzgericht mit der Weisung zurückverwiesen, die bisher unterlassene Prüfung nachzuholen, ob eine Erstattung des Betrages von 16.296,20 DM nach Treu und Glauben geboten sei. Maßgebend hierfür war, daß die beschwerdeführende Firma unter Bezugnahme auf ein Schreiben vom 14. Juli 1952 in der Berufungsinstanz mehrfach vorgetragen hatte, die Zahlungen seien "nach eingehender Erkundigung am Finanzamt" erfolgt (Schriftsatz vom 17. August 1956 und vom 6. März 1957). Der Senat führte hierzu weiter aus: Wenn von dem dafür zuständigen Beamten des Finanzamts eine Auskunft vorbehaltlos in dem von der Beschwerdeführerin (Bfin.) behaupteten Sinne in genauer Kenntnis der Sachlage erteilt worden sein sollte, so habe diese sich darauf verlassen und bis zur Erlangung einer besseren Erkenntnis danach verfahren können, so daß gegenüber diesem Gesichtspunkt die Tatsache des nach § 152 Abs. 3 AO eingetretenen Fristablaufs zurückzutreten habe.

Das Finanzgericht kam der Weisung des Senats in der Weise nach, daß es das Finanzamt um Feststellung bat, "was für Auskünfte erteilt wurden", und ferner bat, "eine dienstliche äußerung des auskunftgebenden Beamten" einzusenden. In der daraufhin vom Finanzamt übersandten äußerung des damaligen Sachbearbeiters wurde von diesem erklärt, daß er über die anscheinend nur mündlich erteilte Auskunft nach einem Zeitablauf von 6 1/2 Jahren nichts mehr bekunden könne. Er entnehme jedoch dem Schreiben vom 14. Juli 1952, daß sich die Auskunft weniger auf die Zahlungsverpflichtung als solche als vielmehr auf ihren Umfang, nämlich darauf bezogen habe, daß nur eine Zahlungspflicht hinsichtlich der "Gewinnanteile" bestehe, die auf die rückerstattete Firma entfielen. Die Bfin. bot nach Kenntnisnahme von dieser Erklärung Beweis dafür an, daß die von ihr behauptete Auskunft von dem Vorsteher des Finanzamts und von dem Sachbearbeiter in mehreren mündlichen Unterredungen ihrem damaligen Generalbevollmächtigten sowie ihrem damaligen Buchhalter erteilt worden sei. Sie benannte die beiden Letztgenannten als Zeugen.

Ohne weitere Beweiserhebung und ohne weitere Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten erließ das Finanzgericht folgende Entscheidung:

Der Bescheid des Finanzamts vom 2. September 1955 wird dahin abgeändert, daß der Berufungsführerin die zu Unrecht 1953 bezahlte Einkommensteuer in Höhe von 1.590 DM zu erstatten ist.

Die Kosten der Berufung trägt die Berufungsführerin zu 9/10, das Land zu 1/10.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für die Berufung und die Rechtsbeschwerde auf 17.886 DM festgestellt.

Zur Begründung führte es aus: Nach der Erklärung des Sachbearbeiters sei es wahrscheinlich, daß das Finanzamt die Bfin. auch ohne Erlaß eines Haftungsbescheides für "haftpflichtig" gehalten habe. Auf jeden Fall habe die Bfin. davon ausgehen können, daß das Finanzamt diesen Standpunkt vertrete. Zum Erlaß eines Haftungsbescheides habe für das Finanzamt kein Anlaß bestanden, da es ihm habe gleichgültig sein können, aus welchen Erwägungen die zur Zahlung bereit Bfin. die Steuern entrichtet habe. Die Bfin. habe zwar die Auskunft des Finanzamts, daß sie zur Zahlung verpflichtet sei, für richtig gehalten. Darauf könne es aber nicht ankommen. Es könne nicht entscheidend sein, ob die Rechtsansicht der Bfin. durch das Finanzamt oder durch einen Steuerberater, durch einen Aufsatz oder wie immer veranlaßt worden sei. Entscheidend könne nur sein, ob die Frist des § 152 Abs. 3 AO eingehalten sei oder nicht. Andernfalls ließe sich dann auch die Auffassung vertreten, daß eine unrichtige Auskunft, die zur Unterlassung eines Rechtsmittels führe, auf die Rechtsmittelfrist von Einfluß sei. Die Bfin. habe ihre Zahlungspflicht ohne Vorbehalt und ohne irgendeinen Einwand anerkannt. Sie sei von ihrer Meinung fest überzeugt gewesen und habe sich gegen ihre Heranziehung auch gar nicht im Rechtsmittelwege wenden wollen. Sie würde auch bei Erlaß eines mit Rechtsmittelbelehrung versehenen schriftlichen Haftungsbescheides kein Rechtsmittel eingelegt haben. Abgesehen davon könnte aber auch bei der gegebenen Sachlage nach den vom Bundesfinanzhof zur Frage der Verwirkung entwickelten Grundsätzen ein Rechtsmittel nicht mehr zugelassen werden.

Mit der Rechtsbeschwerde wird beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung dahin zu verkennen, daß der Bfin. nicht nur ein Betrag von 1.590 DM, sondern auch ein solcher von 16.296,20 DM und damit der gesamten Betrag von 17.886,20 DM zu erstatten ist. Für den Fall einer notwendig werdenden Beweiserhebung wird Beweisaufnahme durch den Senat beantragt.

Zur Begründung der Rechtsbeschwerde wird geltend gemacht: Die Bfin. habe Beweis dafür angeboten, daß die Auskunft des Finanzamts bereits vor Abfassung des Schreibens vom 14. Juli 1952 in dem vom Senat als entscheidend angesehenen Umfang und in genauer Kenntnis der Sachlage erteilt worden sei. Da das Finanzgericht dieses Beweisangebot abgelehnt habe, habe es den Sachverhalt nicht in der vom Senat für erforderlich angesehenen Weise geprüft. Die rechtlichen Erwägungen, die es zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht habe, stünden in Widerspruch zu der gemäß § 296 Abs. 4 AO bindenden rechtlichen Beurteilung des Senats. Sie seien im übrigen auch unrichtig und widerspruchsvoll. Die Bfin. habe erhebliche Zweifel an ihrer Zahlungspflicht gehabt. Sie habe sich deshalb schon vor ihrem Schreiben vom 14. Juli 1952, das erst nach und gerade auf Grund der erteilten Auskunft von ihr abgefaßt worden sei, an das Finanzamt um Auskunft gewandt. Das Finanzamt sei zwar zu einer Auskunft nicht verpflichtet gewesen. Maßgebend aber sei allein, ob es diese Auskunft tatsächlich, und zwar vorbehaltlos, gegeben habe. Wenn das der Fall gewesen sei, so habe sich die in Steuerfragen nicht sehr bewanderte Bfin. - zumal in einer so schwer zu beurteilenden Frage - auch darauf verlassen können. Die Bfin. habe keine Auskunft darüber erbeten, ob sie auf Grund privatrechtlicher Verpflichtung zur Zahlung verpflichtet sei. Das habe sie selbst auf Grund des mit den Rückerstattungspflichtigen geschlossenen Vergleichs beurteilen und verneinen können. Ihr Auskunftsersuchen sei vielmehr dahin gegangen, ob sie auf Grund gesetzlicher Bestimmungen - der §§ 103, 104 AO - zur Zahlung verpflichtet sei. Für die Beantwortung dieser Frage sei es bedeutungslos, ob das Finanzamt den Inhalt des abgeschlossenen Vergleichs gekannt habe oder nicht.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht.

Die Erstattung des im Jahre 1953 gezahlten Betrages von 1.590 DM ist bereits im Urteil des ersten Rechtsganges vom Finanzgericht ausgesprochen worden. Das Urteil ist insoweit rechtskräftig geworden, da es der Senat lediglich aufgehoben hat, soweit es die Berufung der Bfin. als unbegründet zurückgewiesen hat. Für einen erneuten Ausspruch war mithin hinsichtlich des Betrages von 1.590 DM aus dem Gesichtspunkt der entschiedenen Sache kein Raum. Die Vorentscheidung ist daher ersatzlos aufzuheben, soweit sie sich auf diesen Betrag bezieht.

Die Prüfung der demnach nur noch zu entscheidenden Streitfrage, ob der Bfin. der verbleibende Betrag von 16.296,20 DM zu erstatten ist, führt zu folgenden Erwägungen:

Wie das Finanzgericht selbst im ersten Rechtsgang nach der Sachlage zutreffend festgestellt hat, sind sowohl das Finanzamt als auch die Bfin. davon ausgegangen, daß eine Entrichtung der von den rückerstattungspflichtigen Firmenvorgängern geschuldeten Steuern für die Bfin. nur "kraft öffentlichen Rechts" und nicht auf Grund privatrechtlicher Verpflichtungen in Betracht komme. Die Bfin., die niemals einen schriftlichen Bescheid über Grund und Höhe ihrer Zahlungspflicht erhalten hat, behauptet, Zahlung erst nach eingehender Erkundigung beim Finanzamt geleistet und auf die Richtigkeit der ihr erteilten Auskunft auch noch während der gesamten Frist des § 152 Abs. 3 AO vertraut zu haben. Der Senat hat diese Behauptung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben für rechtserheblich gehalten und demnach das Finanzgericht angewiesen, den Sachverhalt nach dieser Richtung zu prüfen. Das Finanzgericht hat entgegen der Weisung des Senats eine solche Prüfung nicht oder jedenfalls nicht ernsthaft vorgenommen, wie insbesondere die Tatsache beweist, daß es das Beweisangebot der Bfin. stillschweigend übergangen hat. Es hat sich vielmehr in den Urteilsgründen im wesentlichen auf die Darlegung beschränkt, daß es auf die von der Bfin. behauptete und vom Senat für rechtserheblich erachtete Auskunft des Finanzamts "unmöglich" ankommen könne, weil allein entscheidend sein müsse, daß bei Geltendmachung des Erstattungsanspruchs die Frist des § 152 Abs. 3 AO bereits abgelaufen war. Mit diesem Verhalten hat es die grundlegende Vorschrift des § 296 Abs. 1 AO verletzt, nach der es an die rechtliche Beurteilung des Senats gebunden ist, die der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Rückverweisung zugrunde liegt. Wie der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung IV 182/51 U vom 11. Dezember 1951 (BStBl 1952 III S. 22, Slg. Bd. 56 S. 53) ausgeführt hat, rüttelt ein Finanzgericht, das so wie die Vorinstanz verfährt, an den Grundfesten der Gerichtsbarkeit und verletzt eine ihm obliegende wesentliche richterliche Pflicht; denn die Regelung, wonach ein nachgeordnetes Gericht an die rechtliche Beurteilung gebunden ist, die das übergeordnete Gericht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache veranlaßt hat, ist für jede in Verfahrensstufen gegliederte Rechtsprechung grundlegend.

Der Senat hält es - entgegen der Anregung der Bfin. - aus mehrfachen überlegungen nicht für zweckmäßig, gemäß § 296 Abs. 3 AO in der Sache selbst zu entscheiden und demgemäß die nach dem Beweisangebot der Bfin. noch durchzuführende Beweiserhebung selbst vorzunehmen. Die Sache geht erneut an das Finanzgericht zurück.

Bei seiner Entscheidung wird das Finanzgericht nunmehr zu beachten haben, daß die Verbindlichkeit einer Auskunft mit den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen nur dann anerkannt werden kann, wenn sie von dem dafür zuständigen Beamten erteilt worden ist. Das ist grundsätzlich der Vorsteher des Finanzamts oder der in seinem Auftrag handelnde Sachgebietsleiter, nicht aber der zu abschließender Zeichnung nicht befugte Sachbearbeiter (Urteile des Bundesfinanzhofs I 182/56 U vom 4. Dezember 1956 - BStBl 1957 III S. 31, Slg. Bd. 64 S. 82 -, IV 541/55 U vom 22. August 1957 - BStBl 1957 III S. 366, Slg. Bd. 65 S. 354 -). Ferner wird das Finanzgericht nunmehr auch die Grundsätze zu beachten haben, die der erkennende Senat in seiner Entscheidung IV 305/55 U vom 7. März 1957 (BStBl 1957 III S. 197, Slg. Bd. 64 S. 528) dargelegt hat. Danach darf das beteiligte Finanzamt grundsätzlich nicht mit der Beweisaufnahme betraut werden. Das Finanzgericht hat die Beweisaufnahme vielmehr grundsätzlich selbst durchzuführen und den Beteiligten Gelegenheit zur Teilnahme am Beweistermin mit Fragerecht zu gewähren. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Entscheidung des Reichsfinanzhofs I A 55/34 vom 11. Dezember 1934 (RStBl 1935 S. 119, 121) hingewiesen. Nach der Sachlage erscheint auch die überlegung angebracht, ob sich nicht die Beweiserhebung in mündlicher Verhandlung durch die Kammer selbst empfiehlt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 410/52 U vom 29. Oktober 1953, BStBl 1954 III S. 6, Slg. Bd. 58 S. 239).

 

Fundstellen

Haufe-Index 409371

BStBl III 1959, 276

BFHE 1960, 40

BFHE 69, 40

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