Leitsatz (amtlich)

Werden Fahrradeinzelteile bei einem Ausfuhrhändler so detailliert bestellt, daß dem Ausfuhrhändler keine Dispositionsmöglichkeit verbleibt, so bildet der Ausfuhrhändler durch den Einkauf und die Versendung der Fahrradteile keine Sachgesamtheit, auch wenn die gelieferten Teile dazu bestimmt sind, zu einer Sacheinheit (Fahrrad) zusammengefügt zu werden.

 

Normenkette

UStG 1951 § 16; UStDB 1951 § 70 Abs. 2 Nr. 2, § 12

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) lieferte selbsthergestellte bzw. von ihr bearbeitete Fahrradteile zusammen mit erworbenen Fahrradeinzelteilen in das Ausland. Sie beantragte und erhielt für die Fahrradeinzelteile Ausfuhrhändlervergütung auf Grund des Erlasses des Reichsministers der Finanzen (RdF) vom 17. Dezember 1937 S 4165 – 170 III Umsatzsteuer-Kartei S 4165 Karte 13. Anläßlich einer Vergütungsprüfung im Jahre 1959 wurde festgestellt, daß die erworbenen Fahrradteile (Naben, Sättel, Gummibereifung, Ketten, Pedale, Speichen usw.) mit selbsthergestellten bzw. von der Steuerpflichtigen bearbeiteten Teilen (Rahmen, Felgen, Schutzbleche) zu Sachgesamtheiten zusammengestellt worden waren. Da nach § 12 UStDB in der Fassung der 8. Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 7. Februar 1957 – 8. UStDBÄndVO – (BGBl I 1957, 6, BStBl I 1957, 131) das Zusammenstellen von selbsthergestellten bzw. bearbeiteten mit erworbenen Gegenständen nicht als steuerlich unschädliche Bearbeitung zugelassen ist, forderte das Finanzamt (FA) mit Rückforderungsbescheid vom 26. Februar 1962 die in diesen Fällen insgesamt gewährte Ausfuhrhändlervergütung in Höhe von 15 009,35 DM zurück. Der Einspruch blieb erfolglos.

Auf die Klage (Berufung), die zunächst gegen die gesamte, sich auf die Veranlagungszeiträume II/1957 bis III/1958 erstreckende Rückforderung gerichtet war, entschied das Finanzgericht (FG) nur über den Veranlagungszeitraum II/1958 durch Grundurteil. Das FG gab der Klage (Berufung) teilweise in den Fällen statt, in denen nach seiner Auffassung die selbsthergestellten oder bearbeiteten Teile und die mit diesen versandten Fahrradeinzelteile keine Sachgesamtheit bildeten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision wurde trotz Verlängerung der Begründungsfrist nicht begründet.

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Da das Urteil der Vorinstanz vor Inkrafttreten der FGO ergangen ist, nämlich am 13. Oktober 1965, und die Rechtsbeschwerde vor Inkrafttreten der FGO eingelegt worden ist, ist die als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde nicht deshalb unzulässig, weil sie entgegen § 120 Abs. 2 FGO nicht begründet worden ist (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – II 56/63 vom 18. Mai 1966, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 86 S. 174 – BFH 86, 174 –, BStBl III 1966, 381).

2. Das Revisionsbegehren kann offensichtlich nur gegen die Annahme des FA gerichtet sein, die vom FG teilweise gebilligt worden ist, die Steuerpflichtige stelle die selbsthergestellten und die erworbenen Fahrradteile zu einer Sachgesamtheit zusammen.

Rechtlich ist die Auffassung des FG nicht zu beanstanden, daß eine Sachgesamtheit derjenige bildet, der eine Mehrzahl einzelner selbständiger Sachen nach bestimmten Merkmalen, z. B. nach Art, Zahl, Material oder wegen ihrer gemeinsamen Bestimmung, zu einem in sich einheitlichen Ganzen vereinigt, das wirtschaftlich als ein anderes Verkehrsgut angesehen wird als die einfache Summe der einzelnen Sachen. Zutreffend ist insoweit auch die Ausführung des FG, daß der Lieferant durch eigene Maßnahmen auf die Lieferung zusammenpassender Gegenstände hinwirken muß. Diese Auffassung des FG entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats.

Die tatsächlichen Feststellungen des FG lassen aber nicht erkennen, welche Maßnahmen von der Steuerpflichtigen selbst getroffen worden sind, um zu den von ihr gefertigten bzw. bearbeiteten Teilen passende Teile liefern zu können. Die Feststellungen des FG, daß die Abnehmer grundsätzlich die zur Herstellung einer bestimmten Anzahl von Fahrrädern erforderlichen Einzelteile bestellt und vielfach die bestellten Einzelteile auch näher bezeichnet haben, geben nicht darüber Aufschluß, welche Tätigkeit die Steuerpflichtige entfaltet hat, um zu den von ihr hergestellten Teilen passende Einzelteile liefern zu können. In den von der Steuerpflichtigen der Vorinstanz eingereichten Auftragsunterlagen, auf die die Vorentscheidung Bezug nimmt, sind die einzelnen von der Steuerpflichtigen zu liefernden Teile so genau bezeichnet und die Verpackung der Einzelteile in die Kisten nach Zahl und Art so eindeutig vorgeschrieben, daß für die Entfaltung einer eigenen Initiative durch die Steuerpflichtige weder beim Einkauf der zugehörigen Teile noch bei deren Verpackung nach den bisherigen Feststellungen und Unterlagen Raum hätte sein können. Der Einkauf der von den Abnehmern in allen Einzelheiten angegebenen Einzelteile und deren Verpackung als solche stellen noch keine Maßnahme dar, die sich als eine auf die Bildung einer Sachgesamtheit gerichtete Tätigkeit beurteilen ließe. Zu eigenen, auf die Bildung einer Sachgesamtheit zielenden Maßnahmen hatte die Steuerpflichtige wegen der in den Bestellungen nach Zahl, Farbe, Größe, Art der Verarbeitung bezeichneten Einzelteile offensichtlich keine Möglichkeit. Daran ändert auch nichts, daß die Steuerpflichtige wußte, welche Einzelteile die Abnehmer für ihre Zwecke benötigten und daß die gelieferten Teile von ihren ausländischen Abnehmern zu Fahrrädern zusammengestellt wurden.

Unter diesen Umständen ist es nicht ausgeschlossen, daß das FG den gesetzlichen Tatbestand des Zusammenstellens von erworbenen Gegenständen zu einer Sachgesamtheit auf einen unzutreffenden Sachverhalt angewendet hat und insofern die Entscheidung auf einem Rechtsirrtum beruhen kann. Die Vorentscheidung muß daher aufgehoben werden.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Die tatsächlichen Feststellungen des FG geben zu Zweifeln Anlaß, ob die ausländischen Abnehmer in allen Fällen die bestellten Einzelteile näher bezeichnet haben. Aus den Ausführungen des FG „sofern die (ausländischen) Abnehmer die bestellten Einzelteile nicht bereits, wie vielfach geschehen, näher bezeichnet hatten” ist vielmehr zu entnehmen, daß die Steuerpflichtige jedenfalls in den Fällen, in denen die Abnehmer die Einzelteile nicht näher bezeichnet haben, die zu den von ihr hergestellten Teilen passenden Teile auszuwählen hatte. Das FG wird insoweit noch die erforderlichen Ermittlungen anzustellen haben.

4. Soweit die neuerlichen Ermittlungen ergeben sollten, daß tatsächlich die Steuerpflichtige in Einzelfällen durch eigene Maßnahmen eine Sachgesamtheit zwischen selbsthergestellten bzw. von ihr bearbeiteten und erworbenen Fahrradteilen gebildet hat, ist die Klage abzuweisen. In diesen Fällen könnte sich die Steuerpflichtige, wie sie es in der Vorinstanz getan hat, auch nicht darauf berufen, daß das FA seine Rechtsauffassung geändert hat, weil es den RdF-Erlaß vom 17. Dezember 1937 (a. a. O.) nach dem Inkrafttreten der 8. UStDBÄndVO nicht mehr angewendet hat. Die 8. UStDBÄndVO hat hinsichtlich der Bildung von Sachgesamtheiten die Rechtslage in dem Sinne geändert, daß im Gegensatz zu früher das Zusammenstellen von erworbenen Gegenständen zu Sachgegenständen nicht mehr als steuerlich schädliche Bearbeitung gilt. Auf Grund dieser geänderten Rechtslage konnte der Bundesminister der Finanzen (BdF) durch den Erlaß vom 7. Februar 1957 – Abschnitt B Nr. 2 Abs. 6 – (BStBl I 1957, 235) den RdF-Erlaß vom 17. Dezember 1937 (a. a. O.) für überholt erklären und anordnen, daß dieser Erlaß ab 1. Januar 1957 nicht mehr anzuwenden sei. Soweit dieser RdF-Erlaß das nach der früheren gesetzlichen Regelung steuerlich schädliche Zusammenstellen zu einer Sachgesamtheit verneint hat, wenn der Großhändler die Einzelteile getrennt versandt und in Rechnung gestellt hat, bedurfte es für die ab 1. Januar 1957 geltende Rechtslage einer solchen Ausnahme nicht mehr, weil das Zusammenstellen erworbener Gegenstände zu einer Sachgesamtheit, gleichgültig auf welche Weise es geschieht, in keinem Fall mehr eine steuerliche schädliche Bearbeitung darstellt.

Im übrigen hätte auch das FA, ohne den Gleichheitssatz zu verletzen, von dem BdF-Erlaß vom 7. Februar 1957 (a. a. O.) nicht abweichen dürfen.

 

Fundstellen

BFHE 1969, 124

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