Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifierung zusammengefügter Spinnstofferzeugnisse

 

Leitsatz (NV)

1. Meterwaren aus einfach aufeinandergelegten Lagen von Geweben und Gewirken waren auch nach der früheren Fassung der Vorschrift 6 e zu Abschn. XI GZT keine konfektionierten Erzeugnisse.

2. Zur Anwendung von ATV 3 b bei Waren aus mehreren Spinnstoffen.

 

Normenkette

GZT Vorschrift 6 e zu Abschn. XI; ATV 3 b

 

Tatbestand

Gestritten wird über die Tarifierung einer als ,,Velours-Pelz-Oberstoff" bezeichneten Ware. Sie gehört zu den von der Klägerin im Rahmen eines ihr bewilligten passiven Veredelungsverkehrs für Textilien in den Jahren 1977/78 vorübergehend ausgeführten Erzeugnissen, die nach Ansicht des Hauptzollamts - HZA - unzutreffend tarifiert worden waren. Dies führte zu Zollnachforderungen des HZA an die Klägerin. Angefochten ist die Nachforderung, die sich auf die vom HZA vertretene zolltarifliche Beurteilung des von der Klägerin als ,,Gewebe aus synthetischen Spinnfasern" der Tarifst. 56.07 A II des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) angemeldeten Oberstoffs als ,,anderes" Gewebe der Tarifnr. 59.12 stützt. Die Beschaffenheit der Ware hat das von der Klägerin nach erfolglosem Einspruch angerufene Finanzgericht (FG) wie folgt festgestellt: Das ca. 1 cm dicke Erzeugnis besteht aus zwei aufeinandergeklebten Lagen, weder gummielastisch noch kautschutiert; eine Lage (,,Schauseite") ist ein Gewebe in Leinwandbindung aus Baumwolle, auf einer Seite leimbestrichen und in dünner Schicht vollständig beflockt mit Scherstaub aus künstlichen Spinnfasern; die andere Lage (Rückseite) besteht aus Plüschgewirke aus synthetischen/künstlichen Spinnfasern und ist mittels geschäumten Kunststoffklebers mit dem Gewebe verbunden.

Das FG gab der Klage zum Teil statt, weil es die der Nachforderung zugrunde gelegte Tarifierung für unzutreffend hielt. Der Oberstoff - so das FG - sei eine konfektionierte Ware im Sinne von Vorschrift 6 e zu Abschn. XI GZT. Die in dieser Vorschrift gemachte Ausnahme für Meterwaren aus miteinander verbundenen Gewebelagen greife nicht ein, da nur eine Lage des Oberstoffs ein Gewebe, die andere aber ein Gewirke sei. Mit Rücksicht auf die zolltarifliche Abgrenzung zwischen Gewirken und Geweben könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Ausdruck ,,Gewebe" in Vorschrift 6 e zu Abschn. XI GZT als Oberbegriff zu verstehen sei. Mit der Herstellung des Oberstoffs sei eine Fertigungsstufe erreicht, die über das Zusammenfügen zweier Gewebelagen (z. B. zur Verstärkung) hinausgehe, nämlich die eines Textilerzeugnisses eigener Art. Der Stoff stelle sich als zusammengesetzte Ware aus konfektioniertem Gewirke der Tarifnr. 60.05 und aus ebenfalls konfektioniertem Gewebe der Tarifnr. 62.05 dar und müsse in Anwendung der Allgemeinen Tarifierungsvorschrift (ATV) 3 tarifiert werden, und zwar, da keiner der beiden Bestandteile charakterbestimmend sei (vgl. ATV 3 b), unter Zuordnung zur Tarifst. 62.05 C GZT 1977 bzw. 62.05 D GZT 1978 - je ,,andere" konfektionierte Waren aus Geweben -.

Mit der Revision rügt das HZA, das FG habe Vorschrift 6 e zu Abschn. XI unzutreffend ausgelegt. Der Begriff ,,Gewebe" in dieser Vorschrift (in der deutschen Fassung des GZT) werde als Oberbegriff für alle textilen Flächenerzeugnisse des Abschn. XI verwendet. Dies belege sowohl die englische als auch die franzöisische Fassung, in der von ,,fabrics assembled in layers" - ,,fabrics" allgemein für Stoff - bzw. ,,piéces du tissu" - letzteres gleichfalls Oberbegriff, auch Gewirke umfassend - die Rede sei, und ergebe sich aus der vom FG im gegenteiligen Sinne verstandenen Vorschrift 5 zu Kap. 61. Ob durch das Verkleben von Gewirke und Gewebe ein ,,Textilerzeugnis eigener Art" entstanden sei, spiele zolltariflich keine Rolle. Die Ware sei daher weder der Tarifnr. 60.05 noch der Tarifnr. 62.05 - beide konfektionierte Erzeugnisse betreffend -, sondern vielmehr der Tarifnr. 59.12 zuzuweisen, die angefochtene Nachforderung mithin vollen Umfangs berechtigt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Vorentscheidung beruht auf der Erwägung, daß der zu tarifierende, durch Kleben aus zwei Lagen zusammengefügte Oberstoff ,,konfektioniert" im Sinne von Abschn. XI GZT sei. Zu dieser Beurteilung ist die Vorinstanz gelangt, weil sie den Oberstoff als zusammengefügte Ware, nicht (Meter-)Ware aus mehreren ,,Gewebelagen" (Vorschrift 6 e zu Abschn. XI), beurteilt hat. Dabei ist das FG von einer Auslegung der maßgebenden Tarifvorschrift ausgegangen, die der Senat nicht zu teilen vermag. Richtig ist zwar, daß der Zolltarif - grundsätzlich - zwischen Gewebe (vgl. Erläuterungen zum Zolltarif - ErlZT - zu Abschn. XI Teil I Rz. 51) und Gewirke (vgl. ErlZT zu Kap. 60 Teil I Rz. 1) unterscheidet. Diese Unterscheidung schließt indessen nicht aus, daß der Zolltarif den Begriff ,,Gewebe" an einzelnen Stellen auch als Oberbegriff, Gewirke umfassend, verwendet. Gerade die vom FG angeführte, von ihm in anderem Sinne verstandene Vorschrift 5 zu Kap. 61 - ,,Gewebe (andere als Gewirke)" - macht das deutlich. Auch in den Tarifnrn. 59.11 und 59.13 - kautschutierte bzw. gummielastische ,,Gewebe, ausgenommen Gewirke" - wird der Ausdruck ,,Gewebe" nicht im engeren Sinne verstanden; vielmehr bezeichnet er (in Verbindung mit Vorschrift 1 A zu Kap. 59) - zunächst - auch Gewirke, die erst durch besondere Ansprache von den betreffenden Tarifnummern ausgenommen werden. Schon unter Berücksichtigung dieses zolltariflichen Sprachgebrauchs hätte der Begriff ,,Gewebelagen" in der früheren Fassung der Vorschrift 6 e zu Abschn. XI nicht von vornherein auf Lagen nur von Geweben bezogen werden dürfen. Denn er läßt noch nicht erkennen, ob ausschließlich Lagen von Geweben oder auch Lagen von Geweben und Gewirken, unter Umständen sogar Lagen nur von Gewirken, gemeint sind. Ob der Begriff ,,Gewebelagen" im engeren oder im weiteren Sinne zu verstehen ist, muß vielmehr aus dem Sinn der Vorschrift erschlossen werden. Dieser ist nach Ansicht des Senats darin zu sehen, daß ein verhältnismäßig hoher Bearbeitungsstand - praktisch der einer Fertigware - die Wertung als konfektioniertes Erzeugnis rechtfertigen soll, unter den in Betracht kommenden Bearbeitungen auch das Zusammenfügen von Waren, soweit es nicht, wie das Verbinden von ,,(Gewebe-) Lagen" durch bloßes Aufeinanderlegen, einfacher Art ist. Ein solches verhältnismäßig einfaches Zusammenfügen dürfte indessen auch vorliegen, wenn Lagen aus verschiedenen Spinnstoffen (darunter ggf. ein Gewebe) zu Meterwaren zusammengefügt werden. Es bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, ob schon nach der damals geltenden deutschen Sprachfassung des GZT eine Ware nach Art des Oberstoffs der Klägerin nicht ,,konfektioniert" war. Denn jedenfalls ergibt sich aus den französischen und englischen Sprachfassungen, daß die dem Ausdruck ,,Gewebelagen" entsprechenden Wendungen ,,tissus" und ,,fabrics", wie vom HZA dargelegt, auch andere ,,Stoffe" als Gewebe im engeren Sinne bezeichneten (vgl. vor allem Vorschrift 1 zu Kap. 62 und Tarifnr. 59.03 - ,,tissus non tissés" - in der französischen Fassung sowie die Unterscheidung zwischen ,,woven fabrics" - Gewebe (Meterware) - und ,,knitted fabrics" - Gewirke (Meterware) - in verschiedenen Tarifnummern der englischen Fassung; siehe in letzterer in Tarifnrn. 59.11 und 59.13 auch ,,. . . fabrics"). Wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, sind bei der Auslegung des GZT im Zweifel auch die Fassungen in den anderen Sprachen der Gemeinschaft heranzuziehen; es ist diejenige Auslegung zu wählen, die sich eindeutig aus einer der sprachlichen Fassungen ergibt, wenn nicht eine andere Fassung für das Gegenteil spricht (vgl. z. B. Urteil vom 16. Oktober 1980 Rs. 824 und 825/79, EuGHE 1980, 3053, 3062; Senatsurteil vom 2. Dezember 1986 VII R 53/83, BFHE 149, 332, 334). Bei der Auslegung der Zolltarif-Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens und der dazu gehörenden Tarifvorschriften - hier: Vorschrift 6 e zu Abschn. XI - kommt den dafür maßgebenden französischen und englischen Sprachfassungen besondere Bedeutung zu. Sie sprechen eindeutig für die Richtigkeit der von der Revision vertretenen Auffassung; die deutsche Fassung spricht mindestens nicht dagegen. Bestätigt wird diese Auslegung des Begriffs ,,Gewebelagen" in Vorschrift 6 e zu Abschn. XI durch die spätere Rechtsentwicklung. Seit dem 1. Januar 1985, dem Inkrafttreten der Verordnung (EGW) Nr. 3400/84 des Rates vom 27. November 1984 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 320/1), hat die Vorschrift ihre derzeit gültige Fassung. Der Ausdruck ,,Gewebelagen" (Vorschrift 6 e, 2. Gedankenstrich zu Abschn. XI) ist durch ,,Lagen", der Ausdruck ,,Gewebe" (a. a. O., 1. Gedankenstrich) durch ,,Spinnstofferzeugnis" ersetzt worden. Diese Neufassung gehört ersichtlich zu den redaktionellen Änderungen, die zur ,,Verbesserung des Wortlauts des GZT" erforderlich geworden waren (vgl. den 14. Erwägungsgrund der Änderungsverordnung vom 27. November 1984), die die bereits geltende Tarifrechtslage nur verdeutlichen, sie aber nicht verändern.

Erfüllt der Oberstoff der Klägerin nicht die zolltariflichen Voraussetzungen eines konfektionierten Erzeugnisses, weil er Meterware darstellt, die unter Vorschrift 6 e, 2. Gedankenstrich zu Abschn. XI fällt, so kann ihm die Eigenschaft eines Konfektionserzeugnisses auch nicht mit Rücksicht auf seine ,,Fertigungsstufe" zugesprochen werden. Ob ein konfektioniertes Erzeugnis im Sinne von Abschn. XI vorliegt, ist ausschließlich nach Vorschrift 6 e zu diesem Abschnitt zu entscheiden, deren Voraussetzungen hier, wie ausgeführt, nicht vorliegen.

Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil nicht alle dafür erforderlichen Feststellungen getroffen sind. Mit dem FG ist davon auszugehen, daß es sich um eine gemäß ATV 2 b Satz 3 nach ATV 3 zu tarifierende zusammengesetzte Ware handelt. Der Gewebeteil ist der Tarifnr. 59.12 zuzuordnen (vgl. ErlZT zu Tarifnr. 59.12 Teil I Rz. 14). Der Gewirketeil gehört als nichtkonfektionierte Meterware, weder gummielastisch noch kautschutiert, aus synthetischen oder künstlichen Spinnstoffen, selbst unter Berücksichtigung von Vorschrift 1 A zu Kap. 59 nicht zu diesem Kapitel, sondern zur Tarifst. 60.01 B, die im GZT 1977/78 noch nicht weiter untergliedert war (Zolllinie). Weder sie noch die Tarifnr. 59.12 enthält eine genauere Warenbezeichnung (vgl. ATV 3 a). Mithin ist zu prüfen, ob ein charakterbestimmender Teil ermittelt werden kann (ATV 3 b). Das FG hat zwar, von seinem Rechtsstandpunkt ausgehend - konfektionierte Erzeugnisse -, diese Prüfung mit negativem Ergebnis bereits vorgenommen. Es hat sich dabei jedoch auf Gesichtspunkte beschränkt (Bedeutung für die Verwendung; Wert), die der Senat nicht für ausreichend hält.

Das charakterbestimmende Merkmal kann sich z. B. auch aus dem Gewicht eines Stoffes oder Bestandteils ergeben (ErlZT zu ATV 3, Teil I Rz. 17); diesem tatsächlichen Merkmal kommt gerade bei der Tarifierung von Waren aus mehreren Spinnstoffen besondere Bedeutung zu (vgl. für Tarifierungsfälle anderer Art Vorschrift 2 A und Zusätzliche Vorschrift zu Abschn. XI). Das FG wird zu prüfen haben, ob anhand dieses Kriteriums ein charakterbestimmender Teil festgestellt werden kann. Ferner wird das FG, nunmehr bezogen auf nichtkonfektionierte Teile, erneut der Frage nach ihrer Bedeutung für die Verwendung des Oberstoffs nachzugehen haben. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, daß nach der vom FG durch Bezugnahme festgestellten Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung überwiegend die ,,Gewebeseite nach außen" verwendet worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415301

BFH/NV 1988, 406

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