Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit der Abgangszollstelle im gemeinschaftlichen Versandverfahren zur Erhebung von Einfuhrabgaben

 

Leitsatz (NV)

1. Ist Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 222/77 in Verbindung mit Art. 11 a Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1062/87 dahin auszulegen, daß der Abgangsmitgliedstaat nur dann für die Erhebung der Eingangsabgaben zuständig ist, wenn im Falle der Nichtwiedergestellung der Sendung bei der Bestimmungszollstelle dem Hauptverpflichteten zuvor die in Art. 11 a Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1062/87 vorgeschriebene Frist von drei Monaten gesetzt worden ist und dieser den in derselben Vorschrift vorgeschriebenen Nachweis nicht erbracht hat?

2. Für den Fall, daß die Frage zu (1) bejaht wird: Ist Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 222/77 dahin auszulegen, daß er auch in einem Fall, in dem eine Zollstelle des Abgangsmitgliedstaats ohne Fristsetzung gemäß Art. 11 a Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1062/87 die auf den zum Versandverfahren abgefertigten Waren ruhenden Abgaben erhoben hat, mit der Folge anzuwenden ist, daß der Abgangsmitgliedstaat die unzuständigkeitshalber festgesetzten und erhobenen Abgaben nur erstatten darf, wenn nachgewiesen wird, daß der Mitgliedstaat, in dem der Ort der Zuwiderhandlung tatsächlich liegt, die Abgaben erhoben hat? Ist gegebenenfalls ein Unterschied zwischen den als eigene Einnahmen der Gemeinschaft erhobenen und anderen (nationalen) Abgaben zu machen (Vorlage an den EuGH)?

 

Normenkette

EWGV 222/77 Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 3; EWGV 1062/87 Art. 11a; EWGV 474/90; EWGV 1429/90; EWGV 2726/90 Art. 46 Abs. 2; EWGV 1214/92 Art. 129

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine internationale Zollagentur, ließ am 8. Juli 1992 von dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt -- HZA --) eine Sendung aus Polen mit Versandschein T zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren abfertigen. In dem Versandschein war als Empfängerin die Fa. A in Belgien und als Bestimmungszollstelle Charleroi (Belgien) angegeben. Die Frist für die Wiedergestellung der Sendung wurde bis zum 16. Juli 1992 festgesetzt. Mit Schreiben vom 22. Januar 1993 teilte das HZA der Klägerin mit, daß das Versandverfahren nicht erledigt sei, und bat um Mithilfe bei der Aufklärung. Eine am 3. Mai 1993 an die Bestimmungszollstelle auf Formblatt TC 20 versandte Suchanzeige blieb erfolglos. Nachdem die Bestimmungszollstelle auch auf den mit Formblatt TC 22 versandten Mahnbrief vom 12. Oktober 1994 zunächst nicht reagierte, erließ das HZA am 19. Januar 1995 einen Steuerbescheid über Zoll und Einfuhrumsatzsteuer.

Mit ihrem Einspruch vom 5. Februar 1995 wies die Klägerin darauf hin, daß mit einem CMR-Frachtbrief Nr. ... nachgewiesen werden könne, daß die Empfängerin der Ware, die Fa. M in Belgien, die Sendung erhalten und auch einen Rechnungsbetrag von ... DM gezahlt habe.

Mit Schreiben vom 6. September 1995 übersandte das "Ministère des Finances Administration des Douanes et Accises" eine Bestätigung der belgischen Zollbehörde von Charleroi, wonach die Sendung nicht gestellt worden sei. Außerdem hatte das belgische Finanzministerium eine Stellungnahme der Fa. A beigefügt, wonach die gelieferten Waren für die Fa. X bestimmt gewesen seien. Die Fa. X erklärte ihrerseits, daß ihr die Materialien mit zwei Monaten Verspätung geliefert worden seien. Sie hätten fast drei Monate nach der Lieferung sofort in die Produktion übernommen werden müssen. In dem Schreiben des Finanzministeriums heißt es, daß es unmöglich sei festzustellen, ob die auf dem Versandschein aufgeführten Waren zollamtlich abgefertigt worden seien. Die X sei nach den Ermittlungen der Zollverwaltung inzwischen bankrott.

Der Einspruch führte zur Herabsetzung des Zoll-EURO und der Einfuhrumsatzsteuer auf insgesamt ... DM, im übrigen wurde er als unbegründet zurückgewiesen. Mit der Klage machte die Klägerin u. a. geltend, daß der Empfang der Ware von der Fa. M am 9. Juli 1992, also innerhalb der Wiedergestellungsfrist, auf dem CMR-Frachtbrief bestätigt worden sei. Diese Empfangsquittung sei ein Urkundenbeweis, aus dem sich ergebe, daß die im Versandschein aufgeführte Ware in Belgien am 9. Juli 1992 eingetroffen sei. Die Ware habe also erwiesenermaßen Deutschland verlassen und das Territorium eines anderen Mitgliedstaats erreicht. Unbeachtlich sei, daß die Abgaben bei der Empfängerfirma durch die belgischen Zollbehörden nicht beigetrieben werden könnten. Die einmal begründete Zuständigkeit verbleibe bei dem Mitgliedstaat, bei dem der Ort der Zuwiderhandlung festgestellt worden sei. Die Klage hatte Erfolg.

Mit seiner Revision rügt das HZA die Verletzung von Bundesrecht. Es meint, das FG sei durch das in Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 222/77 (VO Nr. 222/77) des Rates vom 13. Dezember 1976 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- 1977 Nr. L 38/1) -- jetzt Art. 378 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (VO Nr. 2913/92) des Rates vom 12. Oktober 1992 (ABlEG Nr. L 302/1) -- geregelte Erstattungsverfahren gehindert gewesen, die von der Klägerin beantragte Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheides auszusprechen. Weder die in der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 (VO Nr. 1430/79) des Rates vom 2. Juli 1979 (ABlEG Nr. L 175/1) noch die besonders für das Versandverfahren in der genannten Bestimmung festgelegten Erstattungsvoraussetzungen lägen im Streitfall vor. Der VO Nr. 1430/79 und der VO Nr. 222/77 lasse sich nicht entnehmen, daß diese Vorschriften nur Anwendung fänden, wenn die Angaben ordnungsgemäß, d. h. vom zuständigen HZA erhoben worden seien.

 

Entscheidungsgründe

II. Bei der Entscheidung über die Revision sind Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu beachten, deren Auslegung nicht offenkundig erscheint. Der Senat ist mithin verpflichtet, zu deren Auslegung eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs einzuholen (Art. 177 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft).

1. Der Revision des HZA wäre der Erfolg zu versagen, wenn das Finanzgericht (FG) den Steuerbescheid des HZA i. d. F. der Einspruchsentscheidung zu Recht aufgehoben hätte, weil das HZA ohne Beachtung des in Art. 11 a der Verordnung (EWG) Nr. 1062/87 (VO Nr. 1062/87) der Kommission vom 22. April 1987 (ABlEG Nr. L 107/1) vorgeschriebenen Verfahrens die Abgaben erhoben hat.

a) Nach den das Revisionsgericht gemäß §118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bindenden Feststellungen des FG steht fest, daß das HZA die Sendung am 8. Juli 1992 auf Antrag der Klägerin zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren mit T1 abgefertigt hat. Es konnte nicht festgestellt werden, daß sie der Bestimmungszollstelle wiedergestellt wurden. Die Abgangszollstelle hat die Klägerin zwar davon unterrichtet, daß das Versandverfahren nicht erledigt sei, und sie verschiedentlich um Mithilfe bei der Aufklärung des Sachverhalts gebeten; sie hat auch das Suchverfahren durchgeführt, aber versäumt, der Klägerin eine Frist für den Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung zu setzen. Nach Erlaß des Steuerbescheids hat die Klägerin durch entsprechende Unterlagen nachgewiesen, daß der Ort der Zuwiderhandlung in Belgien lag.

b) Die Klägerin ist mit der Abfertigung der Sendung zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren aufgrund der VO Nr. 222/77 und der VO Nr. 1062/87 Hauptverpflichtete geworden (Art. 11 Buchst. a VO Nr. 222/77) und hatte die Pflicht, die Waren innerhalb der von der Abgangszollstelle vorgeschriebenen Frist unverändert der Bestimmungszollstelle (wieder) zu gestellen (Art. 13 Buchst. a VO Nr. 222/77). Da die Klägerin diese Pflicht nicht erfüllt hat, ist die Zollschuld gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 des Rates vom 13. Juli 1987 (ABlEG Nr. L 201/5) entstanden, und die Klägerin ist gemäß Art. 5 der Verordnung (EWG) Nr. 1031/88 des Rates vom 18. April 1988 (ABlEG Nr. L 102/5) Zollschuldnerin geworden.

c) Obwohl die VO Nr. 222/77 und VO Nr. 1062/87 bereits außer Kraft getreten waren, als das Suchverfahren im Jahre 1993 begann und die Abgaben im Jahre 1995 von dem im Abgangsmitgliedstaat liegenden HZA erhoben wurden, sind für die Entscheidung der Frage, welcher Mitgliedstaat für die Erhebung der Zollschulden zuständig war, noch die VO Nr. 222/77 und die VO Nr. 1062/87 maßgebend, weil das Versandverfahren noch im Jahre 1992 unter Geltung der genannten Verordnungen begonnen hat. Art. 46 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2726/90 des Rates vom 17. September 1990 (ABlEG Nr. L 262/1), mit der die VO Nr. 222/77 aufgehoben wurde, sah nämlich vor, daß die Kommission Übergangsbestimmungen für die vor dem 1. Januar 1993 begonnenen gemeinschaftlichen Versandverfahren erließ. In Art. 129 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1214/92 der Kommission vom 21. April 1992 (ABlEG Nr. L 132/1) wurde dementsprechend festgelegt, daß die Versandverfahren, die spätestens am 31. Dezember 1992 begonnen haben, noch nach den Vorschriften der VO Nr. 222/77 und VO Nr. 1062/87 fortgesetzt werden. Das gilt nicht nur für das Verfahren selbst, sondern auch für die spätere Abwicklung des Verfahrens im Falle einer Zuwiderhandlung.

Die insoweit maßgebenden Vorschriften sind Art. 36 VO Nr. 222/77 i. d. F. der Verordnung (EWG) Nr. 474/90 (VO Nr. 474/90) des Rates vom 22. Februar 1990 (ABlEG Nr. L 51/1) und Art. 11 a VO Nr. 1062/87 i. d. F. der Verordnung (EWG) Nr. 1429/90 (VO Nr. 1429/90) der Kommission vom 29. Mai 1990 (ABlEG Nr. L 137/21). Die Änderungen bzw. Ergänzungen durch die VO Nr. 474/90 und die VO Nr. 1429/90 waren im Zusammenhang mit dem Verzicht auf die Abgabe des Grenzübergangsscheins an den Binnengrenzen der Gemeinschaft notwendig geworden. Inhaltlich entsprechende Vorschriften befinden sich nunmehr in Art. 215 Abs. 3 VO Nr. 2913/92 und in Art. 378 und Art. 379 der Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 (ABlEG Nr. L 253/1).

d) Nach Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 222/77 gilt die Zuwiderhandlung für den Fall, daß die Sendung wie im Streitfall der Bestimmungszollstelle nicht wiedergestellt wurde, als in dem Mitgliedstaat begangen, zu dem die Abgangszollstelle gehört, es sei denn, den zuständigen Behörden wird innerhalb der durch Art. 11 a VO Nr. 1062/87 festgelegten Frist glaubhaft nachgewiesen, daß das Versandverfahren ordnungsgemäß verlaufen ist, bzw. der Nachweis geliefert, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist.

Wird ein solcher Nachweis nicht erbracht und gilt diese Zuwiderhandlung weiterhin als in dem Abgangsmitgliedstaat begangen, so werden die für die betreffenden Waren geltenden Zölle und anderen Abgaben von diesem Mitgliedstaat entsprechend dessen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben (Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 2 VO Nr. 222/77).

Wird vor Ablauf der Dreijahresfrist, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Registrierung des Versandpapiers T1, der Mitgliedstaat ermittelt, in dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde, so erhebt dieser Mitgliedstaat entsprechend seinen Rechts- und Verwaltungsvorschriften die für die betreffenden Waren geltenden Zölle und anderen Abgaben (mit Ausnahme derjenigen, die gemäß Unterabs. 2 als eigene Einnahmen der Gemeinschaft erhoben wurden). Sobald diese Erhebung nachweislich erfolgt ist, werden die ursprünglich erhobenen Zölle und anderen Abgaben (mit Ausnahme derjenigen, die als eigene Einnahmen der Gemeinschaft erhoben worden sind) erstattet (Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 3 VO Nr. 222/77).

e) Die sich aus Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 222/77 ergebende Vermutung, daß die Zuwiderhandlung im Abgangsmitgliedstaat begangen wurde, gilt danach nur, wenn der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung nicht nachgewiesen wird. Diesen Nachweis hat der Hauptverpflichtete ggf. zu erbringen. Erbringt er den Nachweis innerhalb der ihm nach Art. 11 a VO Nr. 1062/87 gesetzten Frist, so ist die Vermutung widerlegt mit der Folge, daß nicht der Abgangsmitgliedstaat, sondern der Mitgliedstaat, in dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist, für die Erhebung der Abgaben zuständig ist (Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 1 letzter Halbsatz der Verordnung).

Aus Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 VO Nr. 1062/87 sowie der Systematik der Vorschriften und ihrem Ziel, eine eindeutige Zuständigkeitsregelung zu treffen, entnimmt der Senat, daß die Abgaben erst dann vom Abgangsmitgliedstaat erhoben werden dürfen, wenn die aufgrund von Art. 11 a VO Nr. 1062/87 gesetzte Frist von drei Monaten (Art. 11 a Abs. 2 Unterabs. 2 VO Nr. 1062/87) abgelaufen ist, ohne daß der Hauptverpflichtete den Nachweis für den Ort der tatsächlichen Zuwiderhandlung erbracht hat. Ist diese Fristsetzung nicht erfolgt, gilt auch die Vermutung hinsichtlich des Orts der Zuwiderhandlung nicht mit der Folge, daß die Zuständigkeit des Abgangsmitgliedstaats für die Erhebung der Abgaben nicht gegeben ist. Wäre dem nicht so und wäre der Abgangsmitgliedstaat unabhängig davon, ob er die Frist nach Art. 11 a Abs. 2 Unterabs. 2 VO Nr. 1062/87 gesetzt hat, für die Abgabenerhebung zuständig, würde die in Art. 11 a Abs. 2 Unterabs. 2 VO Nr. 1062/87 getroffene Fristenregelung leerlaufen. Da der Grund für diese Regelung auch darin besteht, dem Interesse des Hauptverpflichteten zu genügen, nur für die in dem Mitgliedstaat der tatsächlichen Zuwiderhandlung möglicherweise niedriger als im Abgangsmitgliedstaat anfallenden nationalen Eingangsabgaben in Anspruch genommen zu werden, würde die folgenlose Nichtbeachtung der in Rede stehenden Vorschrift durch den Abgangsmitgliedstaat (hier das HZA) auch Rechte des Hauptverpflichteten verletzen.

Für den Streitfall würde daraus folgen, daß der Steuerbescheid rechtswidrig ist und aufzuheben wäre; etwa von der Klägerin bereits geleistete Zahlungen wären zu erstatten. Dies würde nach den vorstehenden Ausführungen im übrigen unabhängig davon gelten, ob der Hauptverpflichteten -- wie vom FG allerdings für den Senat revisionsrechtlich bindend festgestellt -- der Nachweis gelungen ist, daß der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich Belgien, liegt.

Allerdings lassen sich gewisse Zweifel daran, daß diese Auslegung richtig ist, nicht ausschließen. Denn sie könnte dazu führen, daß selbst die Erhebung des Zolls, der als eigene Einnahme der Gemeinschaft materiell unabhängig von der Zuständigkeit eines bestimmten Mitgliedstaats für seine Erhebung bei einer Zuwiderhandlung im gemeinschaftlichen Versandverfahren anfällt, nicht sichergestellt ist, und daß keine der in Betracht kommenden nationalen Eingangsabgaben erhoben wird.

f) Sofern der Gerichtshof der zuvor unter II. 1. Buchst. d dargestellten Auffassung des Senats folgt, ist weiter nicht ganz zweifelsfrei, ob der Aufhebung des Steuerbescheids mit den sich daraus ergebenden Folgen (Nichterhebung der Eingangsabgaben bzw. Erstattung bereits gezahlter Eingangsabgaben) nicht die Regelung des Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 3 VO Nr. 222/77 entgegensteht.

Liest man diese Bestimmung unabhängig von den ihr vorangehenden Unterabsätzen, so könnte man veranlaßt sein, diese -- wie das HZA es tut -- dahin zu verstehen, daß der Abgangsmitgliedstaat allgemein, d. h. unabhängig davon, ob er für die Erhebung zuständig war, die von ihm im Zusammenhang mit einer Zuwiderhandlung im gemeinschaftlichen Versandverfahren einmal erhobenen und an ihn gezahlten Abgaben nur erstattet bzw. von der weiteren Fortführung des Erhebungsverfahrens im Falle, daß die Abgaben noch nicht an ihn gezahlt wurden, nur absieht, wenn der Mitgliedstaat, in dem die Zuwiderhandlung nachgewiesenermaßen begangen wurde, die Eingangsabgaben erhoben hat. Für eine solche Auslegung der Vorschrift könnte sprechen, daß auf jeden Fall sichergestellt werden soll, daß trotz Nichtbeachtung der gemeinschaftlichen Regeln über die Bestimmung des für die Abgabenerhebung zuständigen Abgangsmitgliedstaats überhaupt die in Betracht kommenden Eingangsabgaben erhoben werden. Dieser Gesichtspunkt würde vor allem im Hinblick auf den Zoll bedeutsam sein, weil er -- wie bereits ausgeführt -- bei der Einfuhr von Drittlandswaren in das Zollgebiet der Gemeinschaft unabhängig von der Zuständigkeit eines bestimmten Mitgliedstaats für die Erhebung des Zolls in jedem Fall entsteht. Wäre die Bestimmung in diesem weiten Sinne zu verstehen, könnte der vom HZA erlassene Steuerbescheid nicht aufgehoben werden, weil die Abgaben nach Mitteilung der belgischen Zollverwaltung in Belgien nicht erhoben worden sind und auch wegen Eintritts der Verjährung nicht mehr erhoben werden können.

Gegen die weite Auslegung der Bestimmung spricht der Kontext, in dem sie steht. Danach neigt der Senat der Auffassung zu, daß Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 3 VO Nr. 222/77 nur eingreift, wenn die Abgaben vom Abgangsmitgliedstaat nach Ablauf der gemäß Art. 11 a Abs. 2 VO Nr. 1062/87 gesetzten Frist von drei Monaten, ohne daß der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung nachgewiesen wurde, erhoben worden sind. Denn nur nach dem erfolglosen Ablauf der nach dieser Bestimmung gesetzten Frist wäre die Erhebung der Abgaben durch den Abgangsmitgliedstaat rechtmäßig und bestünde damit überhaupt Anlaß, besondere Voraussetzungen festzulegen, nach denen rechtmäßig erhobene Abgaben wieder erstattet werden müssen.

Da der Senat insbesondere im Hinblick auf die Erhebung des Zolls als eigene Einnahme der Gemeinschaft Zweifel an der richtigen Auslegung der genannten Gemeinschaftsvorschriften hat, hat er beschlossen, dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

"1. Ist Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 3 der VO (EWG) Nr. 222/77 i. V. m. Art. 11 a Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 1062/87 dahin auszulegen, daß der Abgangsmitgliedstaat nur dann für die Erhebung der Eingangsabgaben zuständig ist, wenn im Falle der Nichtwiedergestellung der Sendung bei der Bestimmungszollstelle dem Hauptverpflichteten zuvor die in Art. 11 a Abs. 2 Unterabs. 2 der VO (EWG) Nr. 1062/87 vorgeschriebene Frist von drei Monaten gesetzt worden ist und dieser den in derselben Vorschrift vorgeschriebenen Nachweis nicht erbracht hat?

2. Für den Fall, daß die Frage zu 1 bejaht wird: Ist Art. 36 Abs. 3 Unterabs. 3 der VO (EWG) Nr. 222/77 dahin auszulegen, daß er auch in einem Fall, in dem eine Zollstelle des Abgangsmitgliedstaats ohne Fristsetzung gemäß Art. 11 a Abs. 2 Unterabs. 2 der VO (EWG) Nr. 1062/87 die auf den zum Versandverfahren abgefertigten Waren ruhenden Abgaben erhoben hat, mit der Folge anzuwenden ist, daß der Abgangsmitgliedstaat die unzuständigkeitshalber festgesetzten und erhobenen Abgaben nur erstatten darf, wenn nachgewiesen wird, daß der Mitgliedstaat, in dem der Ort der Zuwiderhandlung tatsächlich liegt, die Abgaben erhoben hat? Ist ggf. ein Unterschied zwischen den als eigene Einnahmen der Gemeinschaft erhobenen und anderen (nationalen) Abgaben zu machen?"

 

Fundstellen

Haufe-Index 56361

BFH/NV 1998, 1537

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