Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingeschränkter Verzicht auf mündliche Verhandlung als Verfahrensmangel; Aufhebung des FG-Urteils und Zurückverweisung im NZB-Verfahren
Leitsatz (NV)
- Nach § 116 Abs. 6 FGO n.F. kann der BFH beim Vorliegen eines geltend gemachten Verfahrensmangels das FG-Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn er dies aus verfahrensökonomischen Gründen für angezeigt hält.
- Erklärt der Kläger seinen Verzicht auf mündliche Verhandlung unter der Bedingung, der Entscheidung müsse der in einem Schriftsatz dargestellte Sachverhalt zugrunde gelegt werden, liegt kein wirksamer Verzicht vor. Entscheidet das FG dennoch ohne mündliche Verhandlung, liegt hierin ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. § 119 Nr. 4 FGO.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 4, § 116 Abs. 6
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger war in den Streitjahren (1992 bis 1995) zusammen mit Herrn X Geschäftsführer der Y GmbH. Beide erwarben im Jahre 1991 ein unbebautes Grundstück je zur Hälfte als Miteigentümer und ließen es mit zwei Eigenheimen bebauen. Nach der Fertigstellung mieteten die Kläger ab dem 1. Dezember 1992 das Herrn X gehörende Haus (Z-Straße 2) und die Eheleute X das Haus des Klägers (X-Straße 4).
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) erkannte die vom Kläger für die Streitjahre bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend gemachten Werbungskostenüberschüsse nicht an.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Zur Begründung führte es u.a. aus, dem Mietverhältnis sei wegen eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) die steuerrechtliche Anerkennung zu versagen. Die Behauptung der Kläger, Herr X und der Kläger hätten zunächst beabsichtigt, jeweils das eigene Haus zu nutzen, diese Planung sei aber geändert worden, weil die Mutter des Klägers ―entgegen ihrer ursprünglich erklärten Absicht― nicht in die als Einliegerwohnung vorgesehene Wohnung im Haus des Klägers eingezogen und deshalb dieses für die Familie des Klägers zu groß gewesen sei, überzeuge nicht.
Das FG entschied ohne mündliche Verhandlung. Das Urteil enthält u.a. den Hinweis, die Beteiligten hätten einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) zugestimmt.
Die Kläger hatten zur Frage des Verzichts auf mündliche Verhandlung erklärt, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe unter der Bedingung Einverständnis, dass der mit der Klage vom 30. September 1998 und weiterhin im Schriftsatz vom 10. März 1999 dargelegte und unter Beweis gestellte, seitens des FA wohl nicht bestrittene Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt werde.
Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügen die Kläger u.a. das Vorliegen eines Verfahrensmangels i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Ihr Verzicht auf mündliche Verhandlung sei von einer Bedingung abhängig gemacht worden und deshalb unwirksam. Mit seiner Entscheidung ohne mündliche Verhandlung habe das FG § 90 Abs. 2 FGO verletzt.
Die Kläger beantragen, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Die Revision gegen das angefochtene Urteil war nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen. Das FG hätte nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, weil dafür kein wirksamer Verzicht der Kläger vorlag (§ 90 Abs. 2 FGO). Hierin liegt ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. § 119 Nr. 4 FGO (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 18. Februar 1999 I R 127-129/97, BFH/NV 1999, 1464). Im Streitfall hatten die Kläger nicht wirksam auf mündliche Verhandlung verzichtet, weil sie ihre Erklärung von einer echten Bedingung abhängig gemacht hatten (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 25. Juli 1997 VI R 109/96, BFH/NV 1998, 183). Ihr Begehren, bei der Entscheidung den in den Schriftsätzen vom 30. September 1998 und 10. März 1999 dargestellten Sachverhalt zugrunde zu legen, ist erkennbar darauf gerichtet, die ihnen in einer mündlichen Verhandlung zustehenden Rechte (z.B. Antrag auf weitere Sachverhaltsaufklärung und Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung) nur dann aufgeben zu wollen, wenn das FG die in den genannten Schriftsätzen enthaltenen Tatsachenbehauptungen bei seiner Urteilsfindung als wahr unterstellte; denn nur dann hat es sie seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Die Kläger haben damit nicht ―wie das FA meint― die Würdigung des Sachverhaltes in das Ermessen des FG gestellt und ihre Verzichtserklärung (nur) von einer innerprozessualen Voraussetzung (vgl. dazu Urteil in BFH/NV 1998, 183, m.w.N.) abhängig gemacht.
2. Die Vorentscheidung ist wegen des Verfahrensfehlers ohne Sachentscheidung aufzuheben (z.B. Urteil in BFH/NV 1998, 183, m.w.N.).
3. Der Senat hält es im Streitfall aus Gründen der Prozessökonomie für geboten, von dem Verfahren des § 116 Abs. 6 FGO Gebrauch zu machen, wonach bei Vorliegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), der BFH in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 779831 |
BFH/NV 2002, 1330 |