Entscheidungsstichwort (Thema)
Wasserbauarbeiten - Entfernung von Ablagerungen in einem Hochwasserrückhaltebecken
Orientierungssatz
Hinweise des Senats:
"Naßbaggerarbeiten, die der Aufrechterhaltung der Funktion eines Hochwasserrückhaltebeckens dienen, sind Wasserbauarbeiten und damit bauliche Leistungen iS der Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes."
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 21. September 1998 - 16 Sa 2553/97 -
wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlungsverpflichtungen der Beklagten gegenüber der Klägerin nach dem Verfahrenstarifvertrag des Baugewerbes (VTV) in der jeweiligen Fassung für den Zeitraum von Januar 1994 bis Dezember 1996 sowie März bis Mai 1997.
Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK). Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
Die am 2. Januar 1994 gegründete Beklagte unterhielt in den Kalenderjahren 1994 bis 1997 einen Betrieb, in dem arbeitszeitlich überwiegend Kanal- und Straßenbauarbeiten, Enttrümmerungsarbeiten und mit Hilfe eines Schwimmbaggers Baggerarbeiten an einem Baggersee (sog. Kälberweide) durchgeführt wurden. Er ist dazu bestimmt, als natürliches Hochwasserrückhaltebecken zu dienen und muß deshalb von Bodenanschwemmungen und sonstigen Schlamm sowie Sand und Kies gereinigt werden.
Die ZVK hat die Auffassung vertreten, mit diesen Tätigkeiten sei der Betrieb der Beklagten ein Betrieb des Baugewerbes und unterfalle damit dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV, so daß ein Sozialkassenbeitrag in unstreitiger Höhe von 242.028,34 DM zu zahlen sei.
Die ZVK hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die ZVK
242.028,34 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Naßbaggerarbeiten seien keine bauliche Tätigkeit. Sie habe die Arbeiten an der sog. Kälberweide durchgeführt, um Kies und Sand für den Betrieb und zum Weiterverkauf zu gewinnen. Bei den Enttrümmerungsarbeiten handele es sich um Entsorgungsmaßnahmen und damit nicht um eine bauliche Tätigkeit.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Die ZVK bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Betrieb der Beklagten unterfalle dem betrieblichen Geltungsbereich gemäß § 1 Abs. 2 VTV. Es seien im Klagezeitraum arbeitszeitlich überwiegend bauliche Tätigkeiten durch Kanal- und Straßenbauarbeiten, Enttrümmerungsarbeiten und die Entfernung von Sedimenten aus der sog. Kälberweide mit Hilfe von Naßbaggern durchgeführt worden. Der Einsatz von Naßbaggern sei auch bei baulichen Tätigkeiten möglich. Entscheidend sei der Zweck der Arbeiten. Im vorliegenden Fall dienten die von der Beklagten mit Hilfe von Naßbaggern durchgeführten Arbeiten deshalb baulichen Zwecken, weil es sich bei der Reinigung des Rückhaltebeckens um Wasserbauarbeiten gemäß § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 40 VTV handele. Dazu gehöre der Bau von Anlagen im Wasser, wie sich aus den Beispielen Wasserstraßenbau oder Wasserbeckenbau ergebe. Wasserbauarbeiten stellten daher auch die Entfernung von Ablagerungen aus einem künstlich angelegten See dar, der dazu bestimmt ist, als Rückhaltebecken bei Überschwemmungen zu dienen. Durch die Baggerarbeiten werde der See vor dem Verlust der ihm zugeordneten Funktion als Hochwasserrückhaltebecken bewahrt. Bei dieser Zielsetzung sei es unerheblich, daß die Beklagte auch den Zweck verfolgt habe, Sand und Kies zu gewinnen.
Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
II. Die Klage ist begründet. Die ZVK hat gemäß § 24 Abs. 1 und § 25 VTV Anspruch auf den Sozialkassenbeitrag in unstreitiger Höhe von 242.028,34 DM.
1. Der Betrieb der Beklagten wird vom betrieblichen Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 VTV erfaßt.
a) Danach ist ein Betrieb dann dem Baugewerbe im tariflichen Sinne zuzuordnen, wenn seine betrieblichen Tätigkeiten entweder in der Einzelaufstellung (§ 1 Abs. 2 Abschnitt V) genannt sind oder unter die allgemeinen Bestimmungen der Abschnitte I bis III des § 1 Abs. 2 VTV fallen. Ob ein Betrieb unter den betrieblichen Geltungsbereich der Bautarifverträge fällt, richtet sich danach, ob die Arbeitnehmer arbeitszeitlich überwiegend bauliche Tätigkeiten im Sinne des Tarifvertrages erbringen (ständige Rechtsprechung vgl. BAG 11. Juni 1996 - 10 AZR 525/96 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 200 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 85).
b) Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurden vom Betrieb der Beklagten in den Kalenderjahren 1994 bis 1997 arbeitszeitlich überwiegend Kanal- und Straßenbauarbeiten, Enttrümmerungsarbeiten zum Zwecke der Beseitigung von Bauwerksteilen und Bauresten durchgeführt und aus der sog. Kälberweide mit Hilfe von Naßbaggern Ablagerungen sowie Sand und Kies entfernt, um die Funktion als Wasserrückhaltebecken bei Überschwemmungen zu gewährleisten.
Alle diese Tätigkeiten sind bauliche Tätigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV. Zu den in diesem Abschnitt aufgeführten Arbeiten gehören Kanalbauarbeiten (Nr. 22); Straßenbauarbeiten (Nr. 32) und Enttrümmerungsarbeiten (Nr. 29).
c) Auch bei der von der Beklagten mit Hilfe von Naßbaggern am Wasserrückhaltebecken Kälberweide durchgeführten Entfernung von Ablagerungen handelt es sich um Wasserbauarbeiten (Nr. 40). Dies ergibt die Auslegung des Begriffs "Wasserbauarbeiten".
Da die Tarifvertragsparteien diesen Begriff nicht ausdrücklich bestimmt haben, ist davon auszugehen, daß sie ihn in seiner allgemeinen Bedeutung verstanden wissen wollen.
Allgemein werden unter Wasserbau bauliche Maßnahmen für die Ziele der Wasserwirtschaft, zum Schutz vor Naturkatastrophen, zur Minimierung von Landverlusten, zur Vermeidung von Wassermangel, zur Regulierung des Bodenwasserhaushalts, zur Reduzierung oder Verhinderung von Wasserverschmutzungen, zum Landschafts- und Umweltschutz, zur Energieerzeugung, für die Belange der Schifffahrt und der Fischerei sowie für Erholungszwecke verstanden. Dafür erstellte Bauten sind ua. Kanalisationen und Kläranlagen, Wasserwerke und Wasserversorgungssysteme, Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken, Schiffahrtsstraßen und Häfen usw. (Brockhaus Enzyklopädie 20. Aufl. Bd. 23, S 593). Unter Wasserbau fallen ua. die Flußregulierung, die Wildbachverbauung, Hochwasserschutz, Küsten- und Inselschutz. Hierfür werden neben einer Reihe anderer Maßnahmen Hochwasserrückhaltebecken errichtet (Meyers Enzyklopädisches Lexikon 9. Aufl. Bd. 25, S 49).
Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts diente der bestimmungsgemäße Zweck der sog. Kälberweide als Hochwasserrückhaltebecken, um Überschwemmungen zu vermeiden. Arbeiten an solchen Hochwasserrückhaltebecken, die, wie die Entfernung von Ablagerungen, zur ordnungsgemäßen Funktion beitragen, sind damit als Wasserbauarbeiten zu qualifizieren.
Tariflich rechtlich unerheblich ist, daß diese Tätigkeiten mit Naßbaggern durchgeführt wurden und die Beklagte dabei Sand und Kies förderte. Allein der Einsatz von Naßbaggern macht den Betrieb der Beklagten nicht zu einem Betrieb der Naßbaggerei, der gemäß § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 8 VTV vom Geltungsbereich des VTV ausgenommen ist. Diese Ausnahme betrifft nur Betriebe, die arbeitszeitlich überwiegend Naßbaggerei betreiben und vom Rahmentarifvertrag des Naßbaggergewerbes erfaßt werden. Dies trifft für die Beklagte nicht zu. Im übrigen bezweckten die von der Beklagten arbeitszeitlich nicht überwiegenden durchgeführten Naßbaggerarbeiten, der Aufrechterhaltung der Funktion der sog. Kälberweide als Hochwasserrückhaltebecken und stellten damit bauliche Leistungen dar. Wenn neben diesem Hauptzweck der Arbeiten auch als Nebenfolge Sand und Kies gefördert werden, so wird dadurch die bauliche Zweckbestimmung der betrieblichen Tätigkeit nicht verändert.
Unterhielt die Beklagte mithin im gesamten Klagezeitraum einen Betrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 VTV, so schuldet sie die der Höhe nach unstreitigen von der ZVK verlangten Beiträge für Arbeiter und Angestellte.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Dr.
Freitag
Dr. JobsMarquardt Hromadka
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