rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristversäumnis und Wiedereinsetzung bei mangelnder Kenntnis der deutschen Sprache

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache vermag für sich genommen die Versäumung der Einspruchsfrist nicht zu entschuldigen und stellt keinen Wiedereinsetzungsgrund dar.

2. Die Sorgfaltspflicht verlangt von einem der Amtssprache Unkundigen, sich in angemessener Zeit eine Übersetzung der ihm zugehenden amtlichen Schriftstücke zu verschaffen und dann entsprechend zu reagieren.

3. Im Falle der Fristversäumnis hat ein der Amtssprache Unkundiger zur Wiedereinsetzung glaubhaft zu machen, dass er sich selbst unverzüglich um die erforderliche Übersetzung dieses Bescheides bemüht habe oder dass ihm dies nicht in angemessener Zeit möglich gewesen sei.

 

Normenkette

AO § 355 Abs. 1 S. 1, § 356 Abs. 1, § 110 Abs. 1-2, § 87; GG Art. 103 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für das Kind K. für die Zeit ab April 2014 aufhob und eine Erstattung gezahlten Kindergeldes für den Zeitraum April 2014 bis Dezember 2014 i.H.v. 1.935,– EUR und für den Zeitraum Januar 2015 bis August 2015 i.H.v. 1.752,– EUR forderte.

Das Kind K. ist eines von insgesamt sechs Kindern des Klägers.

Unter dem 9. April 2014 beantragte der Kläger Kindergeld für seine sechs Kinder. Dem Kindergeldantrag war u.a. ein ausgefülltes Formular „Erklärung zum Ausbildungsverhältnis” mit der vom 10. April 2014 datierenden Bestätigung des Ausbildungsbetriebs „…” beigefügt, nach der das Kind K. dort seit September 2013 bis voraussichtlich September 2015 eine Berufsausbildung als … absolvierte.

Nach den schriftlichen Angaben des Klägers in dem am 13. Mai 2014 von ihm unterschriebenen Formular „Haushaltsbescheinigung zur Vorlage bei der Familienkasse” lebten das Kind K. und die weiteren vier Kinder … jeweils seit 1995 und das weitere Kind … seit 2002 in Deutschland. Alle sechs Kinder waren seit dem 15. August 2007 in den Haushalt des Klägers in … aufgenommen.

Nachdem der Kläger der Aufforderung der Beklagten mit Schreiben vom 15. Mai 2014, Nachweise über seinen Aufenthaltstitel vorzulegen, nicht nachgekommen war, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juni 2014 den Antrag des Klägers auf Kindergeld ab.

Mit einem handschriftlichen, in einwandfreiem Deutsch verfassten Schreiben, auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird und das im Juni 2014 bei der Beklagten einging, legte der Kläger Einspruch gegen den Bescheid vom 20. Juni 2014 ein. Zur Begründung führte er aus, dass er zwar noch nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels sei, dies aber für türkische Staatsbürger auch nicht mehr erforderlich sei. Dem Einspruchsschreiben waren Kopien eines Passes und eines Aufenthaltstitels des Klägers beigefügt.

Die Beklagte entsprach dem Einspruch des Klägers mit Bescheid vom 3. Juli 2014 in der Weise, dass sie in eine erneute Prüfung eintrat und den Kläger in der Folgezeit um Vorlage weiterer, im Einzelnen bezeichneter Unterlagen aufforderte.

Am 8. Oktober 2014 ging bei der Beklagten die Kopie eines bei der Handwerkskammer … gestellten Antrags auf Eintragung eines zwischen dem Kind K. als Auszubildenden und der … als Ausbildungsbetrieb ab dem 1. September 2013 bestehenden Berufsausbildungsverhältnisses ein, der von dem Ausbildungsbetrieb am 30. August 2013 gestellt worden war und eine bis zum 3. August 2015 dauernde Ausbildung des Kindes K. zum … betraf .

Mit Bescheid vom 23. Oktober 2014 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger Kindergeld u.a. für das Kind K. ab April 2014 fest. Zur Begründung führte sie aus, dass sich das Kind K. in Ausbildung befinde. Der Bescheid enthält den Hinweis, dass alle für die Festsetzung des Kindergeldes erheblichen Änderungen umgehend mitzuteilen seien (§ 68 des EinkommensteuergesetzesEStG –) und der Verstoß gegen diese Pflicht den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat erfüllen könne.

Mit Bescheid vom 3. August 2015 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind K. ab dem Monat September 2015 gemäß § 70 Abs. 2 EStG auf. Zur Begründung verwies sie darauf, dass das Kind K. nach den ihr vorliegenden Unterlagen im Monat August 2015 seine Berufsausbildung beenden werde. In den Erläuterungen zu dem Aufhebungsbescheid teilte die Beklagte dem Kläger außerdem mit, dass sie die Rechtmäßigkeit der Kindergeldfestsetzung zu überprüfen und deshalb den Kläger aufzufordern habe, innerhalb von vier Wochen das Ende der Ausbildung des Kindes K. nachzuweisen. Die Beklagte kündigte an, dass die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind K. rückwirkend ab dem Monat aufgehoben werden müsse, der dem Monat folge, für den zuletzt die Anspruchsvoraussetzungen nachgewiesen worden seien, falls der Kläger den angeforderten Nachweis nicht einreiche.

Am 23. November 2015 ging ein vom Kind K. am 30. Oktobe...

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