Entscheidungsstichwort (Thema)
Anpassung des Einkommensteuerbescheids bei Aufhebung des Grundlagenbescheids - Rechtsbehelfsbefugnis bei Parteiwechsel - berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Prüfungsanordnung
Leitsatz (amtlich)
Einer Anpassung oder Änderung des Einkommensteuerbescheids bedarf es nicht, wenn der ihm zugrundeliegende gesonderte Gewinnfeststellungsbescheid zwar ersatzlos aufgehoben wird, sich die Besteuerungsgrundlagen aber auch aus dem Einkommensteuerbescheid ergeben und aufrechterhalten werden sollen.
Orientierungssatz
1. Ist das Urteil gegen den falschen Beteiligten ergangen, weil das FG einen nach Klageerhebung eingetretenen gesetzlichen Parteiwechsel übersehen hat, ist auch der irrtümlich als Beteiligter behandelte zur Einlegung der Revision befugt.
2. An der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Prüfungsanordnung hat der Kläger ein berechtigtes Interesse, wenn er damit die Auswertung der durch die Prüfung erlangten Kenntnisse durch das FA verhindern kann. Haben die Prüfungsfeststellungen bereits Eingang in Steuerbescheide gefunden, müssen diese Steuerbescheide zusätzlich angefochten werden, um die aus den Prüfungsfeststellungen gezogenen Folgerungen zu beseitigen.
Normenkette
AO 1977 § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Nr. 1, § 180; FGO § 100 Abs. 1 S. 4, § 57
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) unterhält einen Gartenbaubetrieb. Am 2. Mai 1984 erließ der Beklagte und Revisionskläger zu 1 (das Finanzamt O --FA O--) eine Prüfungsanordnung für die Veranlagungszeiträume 1979 bis 1982. Danach sollte die Prüfung von der Landwirtschaftlichen Betriebsprüfungsstelle, einer Außenstelle der Oberfinanzdirektion (OFD) Düsseldorf durchgeführt werden, die am 7. Mai 1984 damit begann.
Nach erfolgloser Beschwerde erhob der Kläger Klage mit dem Antrag, die Prüfungsanordnung aufzuheben und --nach Ergehen des Prüfungsberichts-- die Rechtswidrigkeit der Anordnung festzustellen. In Auswertung der Ergebnisse der Betriebsprüfung erließ das FA O am 23. September 1985 Feststellungsbescheide 1979 bis 1983, die an den Garten- und Baumschulbetrieb A. und B.X. adressiert waren. Die dagegen eingelegten Einsprüche führten zu den Aufhebungsbescheiden vom 17. Januar 1989. Diese Aufhebungsbescheide enthielten eine Rechtsbehelfsbelehrung und den Vermerk: "Die Einsprüche sind hierdurch erledigt".
Zugleich erließ das FA O Einkommensteuerbescheide gegenüber den Ehegatten und zwar den Einkommensteuerbescheid 1982 am 14. Oktober 1985, den Einkommensteuerbescheid 1981 am 15. Oktober 1985, den Einkommensteuerbescheid 1980 am 28. Oktober 1985 und den Einkommensteuerbescheid 1979 am 18. März 1986. Diese Bescheide, die bestandskräftig wurden, enthielten jeweils den Vermerk, der Bescheid sei nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert und der Vorbehalt der Nachprüfung werde aufgehoben. Ein Hinweis auf die Feststellungsbescheide fehlte. Änderungsfolgebescheide sind nach Aufhebung der Feststellungsbescheide im Januar 1989 nicht ergangen.
Während des Klageverfahrens wurde die Landwirtschaftliche Betriebsprüfungsstelle durch Rechtsverordnung des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 12. September 1986 (Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Nordrhein-Westfalen --GVBl NW--, 639) aufgelöst und durch ein FA für Betriebsprüfung ersetzt. Durch die Verordnung über die Zuständigkeiten der Finanzämter vom 8. Dezember 1989 (GVBl NW, 683) wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1990 die Zuständigkeit des Revisionsklägers zu 2 (Finanzamt für Betriebsprüfung der Land- und Forstwirtschaft Duisburg --FA D--) begründet.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und führte zur Begründung im wesentlichen aus: Die Klage sei nach Durchführung der Betriebsprüfung und Übersendung des Prüfungsberichts als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, denn die Frage der Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung sei für die Rechtmäßigkeit der auf die Prüfung ergangenen Berichtigungsbescheide vorgreiflich. Die Klage sei auch begründet. Die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung ergebe sich aus einem Verstoß gegen die funktionelle Zuständigkeit innerhalb des Verwaltungsaufbaus. Die Übertragung von Zuständigkeiten auf die Mittelbehörde sei zwar zulässig, bedürfe jedoch der klaren gesetzlichen Regelung. Dieser Mangel sei auch nicht durch die Umwandlung der Außenstellen in Prüfungsfinanzämter geheilt worden. Das Senatsurteil vom 26. Februar 1987 IV R 109/86 (BFHE 149, 101, BStBl II 1987, 361) sei nicht anzuwenden, wenn sich die Prüfungsanordnung vor Inkrafttreten der Rechtsverordnung (GVBl NW 1986, 639) endgültig erledigt habe.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt das FA O die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die FÄ D und O wurden mit Schreiben des Berichterstatters vom 10. Februar 1994 darauf hingewiesen, daß durch die Verordnungen des Finanzministers Nordrhein-Westfalen auf der Beklagtenseite ein gesetzlicher Parteiwechsel eingetreten sein dürfte und neben dem FA O das nunmehr für die Anordnung und Durchführung von Betriebsprüfungen zuständige FA D am Verfahren beteiligt sei.
Das FA D hat daraufhin Revision eingelegt und zur Begründung auf den bisherigen Vortrag des FA O Bezug genommen. Ergänzend hat es vorgetragen, es halte auch unter Berücksichtigung der Rechtsausführungen im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. April 1993 X R 112/91 (BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649) die Beauftragung der Landwirtschaftlichen Betriebsprüfungsstelle Düsseldorf als Außenstelle der OFD Düsseldorf durch das seinerzeit örtlich und sachlich zuständige FA O für rechtmäßig.
Das FA O beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Das FA D beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
I.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind zulässig.
1. Das FA O war berechtigt, gegen das Urteil des FG Revision einzulegen, obwohl während des finanzgerichtlichen Verfahrens auf der Seite des Beklagten ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel eingetreten ist (vgl. BFH-Urteile vom 10. Juni 1992 I R 142/90, BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784, und in BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649 m.w.N.). Zur Einlegung der Revision sind grundsätzlich alle Beteiligten des Verfahrens der Vorinstanz berechtigt (§ 115 Abs. 1 i.V.m. § 57 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Ist das Urteil gegen den falschen Beteiligten ergangen, weil das FG --wie im Streitfall-- einen nach Klageerhebung eingetretenen gesetzlichen Parteiwechsel übersehen hat, ist auch der irrtümlich als Beteiligter behandelte zur Einlegung der Revision befugt; denn er muß die Möglichkeit haben, das zu Unrecht gegen ihn ergangene Urteil zu beseitigen (BFH-Urteile vom 10. November 1987 VIII R 397/83, BFH/NV 1989, 560 m.w.N., und vom 11. Juni 1989 VIII R 53/88, BFH/NV 1990, 178; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., Vor § 115 Anm. 13 und § 115 Anm. 3).
2. Zulässig ist auch die Revision des FA D. Dieses FA ist nunmehr für die Anordnung und Durchführung von Betriebsprüfungen bei Gartenbaubetrieben zuständig (Verordnung vom 23. Dezember 1991, GVBl NW 1992, 16). Das FA D war nicht dadurch an der Einlegung der Revision gehindert, daß es nicht am Klageverfahren beteiligt war (§ 122 Abs. 1 FGO). Da im Streitfall bereits im Klageverfahren eine Änderung in der Zuständigkeit des beklagten FA eingetreten ist, war das FA schon im Verfahren vor dem FG der richtige Beteiligte i.S. des § 57 Nr. 2 FGO. Der Umstand, daß das finanzgerichtliche Urteil gegen das FA O als Beklagten ergangen ist, steht der Aktivlegitimation des FA D als Revisionskläger ebenfalls nicht entgegen (BFH-Urteil vom 10. November 1977 V R 67/75, BFHE 124, 299, BStBl II 1978, 310).
Die Revision ist auch nicht deshalb unzulässig, weil sie erst nach Ablauf der Revisionsfrist (§ 120 Abs. 1 FGO) eingelegt worden ist. Dem FA D ist das FG-Urteil nicht zugestellt worden, so daß die Revisionsfrist ihm gegenüber nicht in Lauf gesetzt werden konnte.
II.
Die Revisionen sind auch begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die vom Kläger erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage ist während des Klageverfahrens unzulässig geworden.
1. Die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage setzt voraus, daß der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts hat (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO). An der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Prüfungsanordnung hat der Kläger ein berechtigtes Interesse, wenn er damit die Auswertung der durch die Prüfung erlangten Kenntnisse durch das FA verhindern kann. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Prüfungsanordnung hindert regelmäßig die Verwertung der Prüfungserkenntnisse. Haben die Prüfungsfeststellungen aber bereits Eingang in Steuerbescheide gefunden, müssen diese Steuerbescheide zusätzlich angefochten werden, um die aus den Prüfungsfeststellungen gezogenen Folgerungen zu beseitigen (vgl. Senatsbeschluß vom 24. Juni 1982 IV B 3/82, BFHE 136, 192, BStBl II 1982, 659 sowie BFH-Urteile vom 9. Mai 1985 IV R 172/83, BFHE 143, 506, BStBl II 1985, 579; vom 16. Dezember 1986 VIII R 123/86, BFHE 148, 426, BStBl II 1987, 248, und vom 10. April 1990 VIII R 415/83, BFHE 160, 409, BStBl II 1990, 721).
2. Danach besteht für den Kläger kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zwar war die Fortsetzungsfeststellungsklage nach Durchführung der Prüfung und Bekanntgabe des Prüfungsberichts zulässig. Die Klage ist jedoch mit dem Eintritt der Bestandskraft der zur Auswertung der Prüfungsfeststellungen ergangenen Einkommensteuerbescheide 1979 bis 1982, spätestens jedoch mit Ablauf der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1979 bis 1982 unzulässig geworden.
a) Im Streitfall besteht die Besonderheit, daß das FA O die Prüfungsergebnisse sowohl in Feststellungsbescheiden als auch in Einkommensteuerbescheiden ausgewertet hat. Dem Erlaß der Feststellungsbescheide lag die Auffassung zugrunde, zwischen den Ehegatten bestehe aufgrund gemeinsamer Bewirtschaftung des Grund und Bodens eine Mitunternehmerschaft. Nur die Feststellungsbescheide hat der Kläger angefochten, nicht dagegen die Einkommensteuerbescheide, die im übrigen keinen Hinweis darauf enthalten, daß es sich um Folgebescheide handelt. Die Änderung der Einkommensteuerbescheide erfolgte daher auch nicht nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, sondern nach § 164 AO 1977 unter Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts.
b) Die Frage, ob der Kläger bei dieser Sachlage auch die Einkommensteuerbescheide hätte anfechten müssen, um so eine Aussetzung des Verfahrens zu erreichen, bedarf keiner Entscheidung. Denn der Kläger hätte jedenfalls eine Änderung der Einkommensteuerbescheide entweder im Wege der Verpflichtungsklage oder einer nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhobenen Anfechtungsklage herbeiführen müssen, nachdem die Feststellungsbescheide im Januar 1989 auf seinen Einspruch hin aufgehoben worden waren (vgl. FG Köln, Urteil vom 3. Dezember 1986 XI K 64/84, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1987, 220, rkr.). Das FA O war nicht verpflichtet, nach Aufhebung der Feststellungsbescheide die Einkommensteuerbescheide nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu ändern. Eine Pflicht zur Anpassung von Folgebescheiden besteht nach dieser Vorschrift nämlich nur, soweit die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids effektive Folgen auslöst; andernfalls ist eine Anpassung nicht erforderlich, weil sie nicht geeignet ist, zu einer zutreffenden Festsetzung der Besteuerungsgrundlagen beizutragen (FG Köln, a.a.O.; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Mai 1987 5 K 210/86, EFG 1987, 535; gleicher Ansicht Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 175 AO 1977 Tz.3).
c) Nach diesen Grundsätzen hätte der Kläger daher bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe der Aufhebungsbescheide, mithin bis zum 20. Januar 1990 eine Änderung der Einkommensteuerbescheide herbeiführen können (§§ 110 Abs. 3, 171 Abs. 10 AO 1977). Dies ist jedoch nicht geschehen. Selbst wenn man jedoch von einer Pflicht des FA zur Änderung der Einkommensteuerbescheide nach Aufhebung der Grundlagenbescheide ausgehen sollte, war dies nach dem 20. Januar 1990 nicht mehr möglich, da die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1979 bis 1982 mit der Frist nach § 171 Abs. 10 AO 1977 abgelaufen ist. Nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 hatte die Festsetzungsfrist für den Einkommensteuerbescheid 1979 spätestens mit Ablauf des Kalenderjahrs 1982 und für die Einkommensteuerbescheide 1980 bis 1982 jeweils ein Jahr später begonnen. Läßt man die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO 1977 außer Betracht, war die Festsetzungsfrist für den Einkommensteuerbescheid 1982 danach am 31. Dezember 1989 und für die Einkommensteuerbescheide 1979 bis 1981 jeweils ein Jahr zuvor abgelaufen. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung kann mithin die Auswertung der Prüfungsfeststellungen nicht verhindern. Die Klage ist unzulässig geworden. Die Revision des Klägers ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 65724 |
BFH/NV 1995, 49 |
BStBl II 1995, 488 |
BFHE 177, 4 |
BFHE 1996, 4 |
BB 1995, 1074 (L) |
DB 1995, 1159-1160 (LT) |
DStZ 1995, 510-511 (KT) |
HFR 1995, 376-377 (LT) |
StE 1995, 334 (K) |