Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßkostenhilfe für Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Zur (rechtzeitigen) Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
2. Zur Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, 3 S. 3, § 142; ZPO §§ 114, 117 Abs. 2, 4
Tatbestand
Der Kläger und Antragsteller (Kläger) beantragte am 26. Juni 1984, den Einkommensteuerbescheid 1975 wegen neuer Tatsachen (§ 173 der Abgabenordnung - AO 1977 -) zu seinen Gunsten zu berichtigen. Bei der Einkommensteuerveranlagung seien seine im Ausland bezogenen Einkünfte besteuert, Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung usw. aber nicht berücksichtigt worden. Er sei einmal monatlich vom Ausland nach Hause mit dem eigenen Pkw gefahren (einfache Entfernung 1 600 km).
Der Antrag des Klägers auf Änderung nach § 173 AO 1977 wurde vom Beklagten (Finanzamt - FA -) abgelehnt.
Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus, es sei bereits fraglich, ob neue Tatsachen vorlägen, da dem FA die Auslandstätigkeit des Klägers bekanntgewesen sei und deshalb davon ausgegangen werden müsse, daß es auch von damit im Zusammenhang angefallenen Aufwendungen gewußt habe. Darauf komme es aber nicht entscheidend an. Denn selbst wenn es sich um neue Tatsachen handeln sollte, sei dem Kläger jedenfalls ein grobes Verschulden daran anzulasten, daß diese erst nachträglich bekanntgeworden seien. Bei der Prüfung der Frage, ob großes Verschulden vorliege, sei auch der Zeitraum einzubeziehen, in dem ein Steuerbescheid noch anfechtbar sei; denn sonst könnte ein Steuerpflichtiger, der schuldhaft die Rechtsbehelfsfrist versäumt habe, über diesen Weg eine Änderung des Steuerbescheids erreichen. Hier sei dem Kläger nach seinem eigenen Vortrag bei Abgabe der Steuererklärung und nach Erhalt des Einkommensteuerbescheids bekannt gewesen, daß Werbungskosten angefallen seien; er habe deshalb auch beim FA vorgesprochen. Wenn er gleichwohl keinen Einspruch eingelegt und ihm auch keine Wiedereinsetzung zu gewähren gewesen sei, so könne nur von einem groben Verschulden des Klägers ausgegangen werden.
Das Urteil des FG wurde dem Kläger am 6. Mai 1987 zugestellt. Mit Schreiben vom 6. Juni 1987, beim FG eingegangen am 9. Juni 1987, beantragte der Kläger, die Revision gegen das Urteil des FG zuzulassen und ihm für dieses Verfahren Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren.
Die Geschäftsstelle des VI. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) wies den Kläger darauf hin, daß nach ständiger Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte PKH nur gewährt werden kann, wenn dem Gericht eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem vorgeschriebenen Vordruck bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist vorgelegt worden ist; Vordruckformulare mit der Bitte um umgehende Rückgabe wurden beigefügt. Den ausgefüllten Vordruck mit vier Anlagen hat der Kläger erst am 24. November 1987 beim BFH eingereicht. Der Kläger bittet, die Verspätung zu entschuldigen. Zur Begründung führt er aus, daß er infolge verschiedener Pfändungsmaßnahmen seine Miete nicht mehr habe zahlen können, man ihm Strom und Telefon gesperrt habe und er durch diese Umstände lebensmüde geworden sei.
Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, die beim BFH unter dem Az. . . . anhängig ist, führt der Kläger im wesentlichen aus: In der mündlichen Verhandlung vor dem FG habe er darauf hingewiesen, daß nach § 129 AO 1977 Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß des Verwaltungsakts unterlaufen seien, jederzeit berichtigt werden könnten. Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten seien rein mechanische Versehen; bestehe auch nur die Möglichkeit eines Rechtsirrtums, so sei die Berichtigungsmöglichkeit ausgeschlossen. Diese Rechtsgrundsätze ergäben sich insbesondere aus dem Urteil des BFH ,,vom 31. Juli 1975, BStBl II 878". Nach den Grundsätzen dieser Entscheidung hätte für 1975 kein Einkommensteuerbescheid erlassen werden dürfen, es also beim Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich vom 9. Februar 1977 verbleiben müssen. Im übrigen sei sein Einspruch gegen den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich, der mit Unterhaltszahlungen für seinen Sohn begründet worden sei, am 17. bzw. 18. Mai 1979 im Zimmer der FA-Bediensteten A für ,,erledigt erklärt" worden; auch aus diesem Grunde hätte ein Einkommensteuerbescheid, zudem fast 19 Monate später, nicht mehr erlassen werden dürfen. Damals habe das FA argumentiert, daß ein Einkommensteuerbescheid einen Lohnsteuer-Jahresausgleich gegenstandslos mache. Deshalb gehe er davon aus, daß ihn das FA vorsätzlich falsch informiert habe. Hinzuweisen sei auch darauf, daß ihn das FG im Verfahren I 249/80 in der mündlichen Verhandlung gezwungen habe, seine Feststellungsklage in eine Nichtigkeitsklage umzuwandeln. Das abweisende Urteil sei im wesentlichen damit begründet worden, daß ein Einkommensteuerbescheid einen Lohnsteuer-Jahresausgleich gegenstandslos mache und ihn ersatzlos aufhebe.
Im Klageverfahren I 308/81 sei das FG aufgrund der Zeugenaussagen der FA-Bediensteten Frau B und Frau C davon ausgegangen, daß ihm der Nachweis, Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid eingelegt zu haben, nicht gelungen sei. Auch den Bescheid des FA über die Aussetzung der Vollziehung, aus dem die Tatsache der Anfechtung hervorgegangen sei, habe das FG nicht anerkannt.
Im übrigen gehe aus den Entscheidungsgründen des finanzgerichtlichen Urteils auch nicht hervor, daß sich das FG mit der von ihm ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung hervorgehobenen Entscheidung in BStBl II 1975, 878 auseinandergesetzt habe.
Zur Begründung seiner Beschwerde bzw. seines Antrags auf PKH führt der Kläger ferner folgendes aus: Das FG habe ihn vorsätzlich in eine finanzielle Notlage gebracht, da es die Entscheidung in dem Klageverfahren I 257/84 bewußt hinausschiebe. Eine entsprechende Anfrage sei mit dem Hinweis auf Arbeitsüberlastung abschlägig beantwortet worden. In jenem Verfahren rechne er mit einer Rückerstattung von 11 000 DM. Die Oberfinanzdirektion (OFD) sei bereit gewesen, ihm diesen Betrag zur Verfügung zu stellen unter der Voraussetzung, daß er auf alle weiteren Verfahren verzichte. Damit habe er sich jedoch nicht einverstanden erklären können.
Außerdem bitte er um die Beiordnung eines Rechtsanwalts, damit dieser seinen Antrag auf Zulassung der Revision formell einreiche und bestätige.
Das FA, dem der Senat Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, hat sich zum Antrag auf Gewährung von PKH ablehnend geäußert. Es ist der Auffassung, daß die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe, weil die Nichtzulassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) unzulässig sei. Im übrigen sei sie auch unbegründet.
Entscheidungsgründe
Der Antrag kann keinen Erfolg haben.
Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter auf Antrag PKH, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Im Antrag ist u. a. eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf amtlichem Formular beizufügen (§ 142 FGO i. V. m. § 117 Abs. 2 und 4 ZPO).
Eine solche Erklärung ist, wenn der Beteiligte wegen Mittellosigkeit an der fristgerechten Einlegung des Rechtsmittels durch eine zur Vertretung vor dem BFH berechtigte Person gehindert ist, innerhalb der Rechtsmittelfrist beim Gericht einzureichen, da nur dann Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist gewährt werden kann (BFH-Beschluß vom 30. Juli 1985 VII S 4-5/85, BFH / NV 1985, 47 m. w. N.). Daran fehlt es hier; denn der Kläger hat den ausgefüllten Erklärungsvordruck erst am 24. November 1987 beim BFH eingereicht, also lange nach Ablauf der am 9. Juni 1987 endenden Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde. Eine andere Beurteilung wäre nur dann möglich, wenn der Kläger an der rechtzeitigen Vorlage einer formgerechten Erklärung ohne sein Verschulden verhindert gewesen wäre. Auch das ist hier nicht der Fall. Denn es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Kläger durch die von ihm angeführten Umstände verhindert gewesen sein soll, den Vordruck über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse rechtzeitig auszufüllen und dem BFH vorzulegen, sondern die Rechtsmittelfrist um fast ein halbes Jahr überschritten hat.
Daß der Kläger dem Senat in einem anderen Verfahren am 4. September 1985 eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hatte, reicht für das vorliegende Verfahren ebenfalls nicht aus. Dabei kann offenbleiben, ob eine entsprechende Bezugnahme unter den vorliegenden Umständen zulässig gewesen wäre; denn tatsächlich ist eine Bezugnahme nicht erfolgt. Sie wäre aber jedenfalls erforderlich gewesen (Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 13. November 1985 IV b ZB 76/85, KG, Versicherungsrecht - VersR - 1986, 342). Im übrigen hätte der Kläger weiter auch versichern müssen, daß sich an seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zwischenzeitlich nichts geändert hat.
Der Antrag kann aber auch deshalb keinen Erfolg haben, weil die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers sachlich keine hinreichende Erfolgsaussicht hat. Denn Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) sind nicht ersichtlich. Auch die vom Kläger gerügten Mängel rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
Was zunächst die geltend gemachte Divergenz vom ,,BFH-Urteil vom 31. Juli 1975, BStBl II Seite 878" betrifft, so ist die Entscheidung des BFH, von der die Vorentscheidung angeblich abweicht, nicht einmal ausreichend bezeichnet i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO. Denn dazu gehört in erster Linie die Angabe des Aktenzeichens und des Datums des Urteils oder der Fundstelle (BFH-Urteil vom 6. Mai 1970 VI B 140/69, BFHE 99, 25, BStBl II 1970, 552). Hier hat der Kläger die Entscheidung mit dem Datum, aber ohne Aktenzeichen bezeichnet, und die angegebene Fundstelle im BStBl trifft offensichtlich nicht zu, weil sich dort eine BFH-Entscheidung vom 31. Juli 1975 nicht findet. Die Vorentscheidung weicht aber auch nicht von der als divergierend bezeichneten Rechtsauffassung des BFH über die Auslegung des § 129 AO 1977 ab. Denn in der Vorentscheidung ging es um die Ablehnung einer Änderung des Einkommensteuerbescheids 1975 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977. Die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids selbst war dagegen nicht Gegenstand des Klageverfahrens. Im übrigen hat das FA zutreffend darauf hingewiesen, daß nach der Rechtsprechung des BFH (Beschlüsse vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207, und GrS 3/84, BFHE 145, 160, BStBl II 1986, 213) eine Einkommensteuerveranlagung auch nach Ergehen eines Bescheides über den Lohnsteuer-Jahresausgleich und nachdem dieser bestandskräftig geworden ist, erfolgen kann, ohne daß die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 vorliegen müßten.
Zu Recht hat das FA auch darauf hingewiesen, daß die Ausführungen, mit denen der Kläger das Verfahren des FG in anderen zwischen ihm und dem FA anhängigen oder anhängig gewesenen Sachen (I 249/80, I 257/84 und I 308/81) bemängelt, zur Zulassung der Revision im vorliegenden Verfahren schon deshalb nicht führen können, weil etwaige in diesen Verfahren vorgekommene Mängel nicht die hier streitige Vorentscheidung betreffen könnten.
Fundstellen
Haufe-Index 415472 |
BFH/NV 1988, 265 |