Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Voraussetzungen einer zulassungsfreien Revision

 

Leitsatz (NV)

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unverschuldeter Versäumung des Termins zur mündlichen Verhandlung kommt im finanzgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht (Bestätigung von BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948).

2. Zur Auslegung eines finanzgerichtlichen Geschäftsverteilungsplans.

3. Zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung bei Abwesenheit des Rechtsanwalts durch Übergabe an einen Stationsreferendar.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 116 Abs. 1 Nrn. 1, 3; ZPO § 183 Abs. 2

 

Tatbestand

Mit Schriftsatz vom 10. Juli 1992 erhob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) Klage gegen die vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) erlassenen Gewerbesteuermeßbescheide 1985 und 1986. Der Klageschrift beigefügt war die Einspruchsentscheidung des FA. Mit Verfügung vom 15. Juli 1992 forderte das Finanzgericht (FG) die Klägerin u.a. auf, einen bestimmten Antrag zu stellen und anzugeben, welchen Inhalt die begehrte Entscheidung haben solle. Nachdem keine Antwort einging, lud das FG den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zur mündlichen Verhandlung am ... Dezember 1992. Lt. Postzustellungsurkunde vom 4. November 1992 hat der Postzusteller den Empfänger in seinem Geschäftslokal nicht angetroffen und die Sendung daher dem Bediensteten K unter der Zustellanschrift des Prozeßbevollmächtigten B übergeben.

Die mündliche Verhandlung ist am ... Dezember 1992 durchgeführt worden. Nach dem Inhalt des Protokolls ist zu der Verhandlung niemand erschienen; nach Beratung ist ein klageabweisendes Urteil verkündet worden.

Das FG führte in dem Urteil aus, durch das Nichterscheinen der Beteiligten zur mündlichen Verhandlung sei der Senat nicht daran gehindert, über die Klage zu verhandeln und zu entscheiden. Die Anwesenheit der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung sei von der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht vorgeschrieben. Darauf seien die Beteiligten vom Gericht in der Ladungsverfügung ausdrücklich hingewiesen worden.

Die Klage sei jedoch mangels Bezeichnung des Streitgegenstandes unzulässig. Die bloße Angabe des angefochtenen Verwaltungsakts genüge den Erfordernissen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht. Vielmehr müsse der Kläger sein Begehren so deutlich zum Ausdruck bringen, daß das Ziel seiner Klage ausreichend erkennbar werde. Voraussetzung dafür sei, daß der Kläger dem Gericht substantiiert den konkreten Sachverhalt unterbreite, in dessen steuerlicher Würdigung durch das FA er eine Rechtsverletzung sehe. Diesen Erfordernissen genüge die vorliegende Klage nicht, da sie lediglich eine Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts enthalte. Ein offenbar am 11. Dezember 1992 beim FA A und am 16. Dezember 1992 beim FG eingegangener Schriftsatz der Klägerin vom ... Dezember 1992 habe nicht mehr berücksichtigt werden können, weil er dem Gericht erst nach Verkündung des Urteils zugegangen sei.

Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde erhoben, die der Senat durch Beschluß vom heutigen Tage ... zurückgewiesen hat.

Die Klägerin hat ferner die vorliegende, auf § 116 FGO gestützte Revision erhoben. Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin im wesentlichen vor:

Das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), da das Urteil von einem unzuständigen Senat gefällt worden sei. Der entscheidende 6. Senat des FG sei für den Streitfall nicht der gesetzliche Richter, da lt. Geschäftsverteilungsplan der 5. Senat zuständig sei. Sie, die Klägerin, habe am 10. Juli 1992 mittels Fax hintereinander drei Klagen beim FG gegen Steuerbescheide des FA angebracht. Die gegen den Umsatzsteuerbescheid 1987 und den Gewerbesteuerbescheid 1987 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 19. Juni 1992 gerichtete Klage sei dem 5. Senat des FG zugewiesen worden, während die beiden anderen Klagen betreffend der Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebes auf den 1. Januar 1985 und auf den 1. Januar 1986 ebenso wie die Klagen gegen die Gewerbesteuerbescheide 1985 und 1986 dem 6. Senat des FG zugewiesen worden seien.

Diese Behandlung sei unzutreffend; die am gleichen Tage eingegangenen Klagen hätten nicht auf zwei verschiedene Senate verteilt werden dürfen. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des FG sei für Klagen wegen Umsatzsteuer ab 1. Januar 1992 der 5. Senat zuständig. Für Gewerbesteuer sowie Einheitsbewertung des Betriebsvermögens sei dagegen grundsätzlich der 6. Senat zuständig. Zur Konzentration des Streitstoffes auf einen Senat sei sodann eine Annexzuständigkeit bestimmt; danach entfalle die Zuständigkeit des nach der Buchstabenverteilung zuständigen Senats für Klagen wegen Umsatz-, Gewerbe-, Vermögensteuer oder Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, sofern ein Antrag lediglich wegen einer dieser Steuermaterien oder für einen anderen Zeitraum anhängig werde oder die Entscheidung ausschließlich von einer speziellen Frage aus einer dieser Steuermaterien abhänge. Bei am selben Tag eingehenden Klagen blieben unterschiedliche Zeiträume oder Zeitpunkte unberührt. Betreffe die Klage mehr als eine dieser Materien, so richte sich die Zuständigkeit nach dem höheren Streitwertanteil.

Danach hätten sämtiche Klagen dem 5. Senat zugewiesen werden müssen. Denn nach der das Streitjahr 1987 betreffenden Klage sei die Umsatzsteuer um 19204,41 DM herabzusetzen, während die entsprechende Gewerbesteuerminderung nur 10559 DM betrage. Der Streitwert der beiden anderen, dem 6. Senat zugewiesenen Klagen liege ebenfalls jeweils erheblich unter dem Umsatzsteuerstreitwert; denn hinsichtlich der Gewerbesteuer 1985 und 1986 sei streitig, ob aus formellen Gründen unverändert drei oder lediglich ein Freibetrag nach § 11 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zu berücksichtigen sei. Der Streitwert betrage danach für beide Streitjahre jeweils 7135 DM (9,91% von 72000 DM). Der Streitwert hinsichtlich der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens liege erheblich unter den Gewerbesteuerbeträgen. Mithin überwiege der Streitwertanteil der Umsatzsteuer erheblich, so daß die Zuständigkeit des 5. Senats für alle Klagen hätte bejaht werden müssen.

Die Revision werde auch auf Verletzung des § 116 Nr. 3 FGO gestützt. Zur Begründung werde vorgetragen, daß die Ladung zur mündlichen Verhandlung unwirksam gewesen sei. Herr K, dem die Ladung vom Zusteller übergeben worden sei, sei Stationsreferendar bei der in den gleichen Kanzleiräumen befindlichen B und Partner, Steuerberatungsgesellschaft mbH, gewesen. Er sei zur Entgegennahme von Schriftsätzen und Zustellungen nicht berechtigt gewesen. Herr K behaupte, er habe die Ladung in das Fristenkontrollbuch zwecks späterer Eintragung gelegt; sie sei dort aber nicht aufgefunden worden, obwohl das Fristenkontrollbuch regelmäßig vom Prozeßbevollmächtigten kontrolliert werde. Erst nach Versendung der Klagebegründung habe der Prozeßbevollmächtigte durch das Protokoll von der mündlichen Verhandlung erfahren. Die Ladung sei aufgefunden worden, nachdem der Stationsreferendar die Akte, die ihm zur kurzfristigen Bearbeitung in der Bibliothek und zur Vorbereitung eines Schriftsatzes auf dessen häuslichem Computer anvertraut gewesen sei, zurückgegeben habe.

Die Zustellung sei unwirksam, weil der Stationsreferendar der Steuerberatungsgesellschaft nicht als Gehilfe des in der Einzelkanzlei tätigen Prozeßbevollmächtigten angesehen werden könne. Selbst wenn er der Einzelkanzlei zugewiesen worden wäre, hätte er nicht die Stellung eines Gehilfen gehabt. Denn ein Stationsreferendar werde nicht auf Dauer zur Unterstützung des Anwalts tätig.

Auf Anforderung hat der Vorsitzende des 6. Senats des FG mit Schreiben vom 16. September 1993 dem Bundesfinanzhof (BFH) den Geschäftsverteilungsplan des FG für 1992 zusammen mit einer eigenen Stellungnahme übersandt. Das Schreiben vom 16. September 1993 ist den Beteiligten zur Kenntnis gegeben worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision ist nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsfrist ein Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt wird (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 116 Anm. 3, m.w.N.). Die Klägerin hat jedoch weder einen Mangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO noch einen nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO schlüssig gerügt.

1. § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO geht davon aus, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren nicht vertreten war, weil das Gericht bei der Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch den Beteiligten die Teilnahme unmöglich gemacht hat (BFH-Beschluß vom 27. Januar 1988 IV R 14/86, BFHE 152, 196, BStBl II 1988, 447). Ein Fall fehlender Vertretung liegt insbesondere vor, wenn der Kläger nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (BFH-Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948, und BFH-Beschluß vom 11. April 1978 VIII R 215/77, BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401).

Im Streitfall ist der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin jedoch ordnungsgemäß geladen worden. Lt. Postzustellungsurkunde ist die Ladung, nachdem der Prozeßbevollmächtigte selbst im Geschäftslokal nicht angetroffen wurde, Herrn K am 4. November 1992 übergeben worden. Dies war nach § 183 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zulässig. Zu dem in Abs. 2 dieser Vorschrift genannten Gehilfen gehören nach allgemeiner Auffassung auch Stationsreferendare (Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 51. Aufl., § 183 Rdnr. 8, m.w.N.; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 18. Aufl., § 183 Rdnr. 6).

Unerheblich ist demgegenüber der Einwand der Klägerin, Herr K sei nicht ihrem Prozeßbevollmächtigten selbst als Referendar zur Ausbildung zugewiesen worden, sondern der von ihm mitbetriebenen Steuerberatungsgesellschaft mbH, die in den gleichen Räumen eine Kanzlei betrieben habe. Denn Voraussetzung für die Annahme eines Gehilfenverhältnisses i.S. des § 183 ZPO ist nur die dauernde Tätigkeit im Geschäftsbetrieb des Zustellungsadressaten; eine entsprechende vertragslose Dienstleistung reicht dafür aus (Zöller, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 183 Rdnr. 4). Daß Herr K aber auch im Rahmen der Einzelpraxis des Prozeßbevollmächtigten für diesen, und zwar mit dessen Einverständnis, tätig geworden ist, ergibt sich aus dem eigenen Vortrag der Klägerin. Denn danach ist dem Referendar gerade die Akte des vorliegenden Streitfalls zur Vorbereitung eines Schriftsatzes anvertraut und zur Mitnahme in sein häusliches Arbeitszimmer überlassen worden.

Zu Recht ist das FG deshalb von der Wirksamkeit der Ladung ausgegangen. Es hat im Urteil auch ausdrücklich festgestellt, die Beteiligten seien in der Ladungsverfügung darauf hingewiesen worden, daß auch in ihrer Abwesenheit verhandelt werden könne.

An dem Ergebnis, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ordnungsgemäß geladen und der Klägerin deshalb nicht die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung in gesetzwidriger Weise unmöglich gemacht worden ist, ändert sich auch dann nichts, wenn der Prozeßbevollmächtigte ohne sein Verschulden von der Ladung keine Kenntnis erhalten haben sollte. Denn eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei einer unverschuldeten Versäumung des Termins zur mündlichen Verhandlung kommt im finanz- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht. Entscheidend ist insoweit, daß in der FGO wie auch in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eine dem § 235 der Strafprozeßordnung (StPO) vergleichbare Vorschrift fehlt (Urteil in BFHE 154, 17, 23, BStBl II 1988, 948).

2. Zu Unrecht glaubt die Klägerin ferner, einen Mangel der in § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO bezeichneten Art dadurch darlegen zu können, daß sie unter Hinweis auf den Geschäftsverteilungsplan des FG vorträgt, für die Entscheidung der Sache sei der 5. Senat des FG zuständig gewesen.

Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des Vorsitzenden des 6. Senats des FG an, daß nach dem Vortrag der Klägerin für sämtliche am 10. Juli 1992 angebrachten Klagen der Klägerin der 6. Senat des FG zuständig war. Denn der 6. Senat ist für Gewerbesteuer sowie die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zuständig. Da nach dem Geschäftsverteilungsplan bei am selben Tag eingegangenen Klagen unterschiedliche Zeiträume oder Zeitpunkte unberücksichtigt bleiben, ist hinsichtlich der Gewerbesteuer der gesamte Zeitraum 1985 bis 1987 in die Betrachtung einzubeziehen. Der entsprechende Streitwertanteil beträgt nach den eigenen Angaben der Klägerin 24829 DM Gewerbesteuer. Dieser Betrag ist höher als die streitige Umsatzsteuer 1987 in Höhe von 19204,41 DM. Auf die Höhe des Streitwerts betreffend die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, der nach den Angaben der Klägerin erheblich unter den Gewerbesteuerbeträgen liegt, kommt es unter diesen Umständen nicht mehr an.

Entgegen der Auffassung der Klägerin entspricht diese Auslegung nicht nur den ausdrücklichen Vorgaben des Geschäftsverteilungsplans, sondern wird auch dem Sinn und Zweck der Regelung, die Verfahren zu beschleunigen und eine unterschiedliche Würdigung gleicher Sachverhalte zu vermeiden, gerecht. Denn diese Auslegung führt zur Konzentration der Verfahren bei einem, nämlich dem 6. Senat.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 390

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