Rz. 9

Unverändert ist im SGB XII noch immer geregelt, dass Bezieher von Sozialhilfe bei der Frage der Hilfegestaltung Wünsche äußern dürfen. Das Wunsch- und Wahlrecht ist für die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe von zentraler, ermessensleitender Bedeutung (Hohm, a. a. O., § 9 Rz. 14).

Durch das Wahlrecht wird außerdem festgehalten, dass der Leistungsberechtigte eine eigenverantwortlich handelnde Person ist und nicht ein bloßes Objekt staatlicher Fürsorgeleistungen (Adolph, in: Linhart/Adolph, SGB II, SGB XII und AsylbLG, Kommentar, 2005, § 9 Rz. 16).

Dabei kommt das Wunsch- und Wahlrecht als Gestaltungsrecht erst dann zum Tragen, wenn ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht und es mehrere Handlungsalternativen (z. B. unterschiedliche Formen der Leistung gemäß § 10; unterschiedliche Modalitäten der Leistung: stationär oder ambulant) gibt, die in Betracht kommen können (Wahrendorf, a. a. O., § 9 Rz. 33; Dauber, a. a. O., § 9 Rz. 21). Es kann also nur im Rahmen von Entscheidungen eine Rolle spielen, bei denen der Verwaltung ein Gestaltungsspielraum zukommt, nicht jedoch bei gebundenen Entscheidungen. Zur Maßgeblichkeit der Wünsche eines behinderten Menschen im Ausgangspunkt bei der KFZ-Hilfe vgl. BSG, Urteil v. 2.2.2012, B 8 SO 9/10 R.

 

Rz. 10

Der Gesetzgeber hat an diesem fundamentalen Recht, welches eine wesentliche Ausgestaltung des Individualisierungsprinzips ist, festgehalten. Es ist letztlich ein Ausfluss aus dem in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Persönlichkeitsrecht (Dauber, a. a. O., § 9 Rz. 22; Fichtner, a. a. O., § 9 Rz. 10).

 

Rz. 11

Der Sozialhilfeträger ist durch die Ausgestaltung der Vorschrift als Soll-Vorschrift auch gezwungen, den geäußerten oder im Rahmen von Sachverhaltsermittlungen deutlich werdenden Wünschen Rechnung zu tragen ("soll" bedeutet "muss", es sei denn, es gibt gewichtige Gründe für eine abweichende Entscheidung, Schoch, a. a. O., S. 96 m. w. N.; Fichtner, a. a. O., § 9 Rz. 9).

 

Rz. 12

Eine Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts liegt allerdings für den Fall vor, wenn die Wünsche des Leistungsberechtigten unangemessen sind. Bei dem Begriff der Angemessenheit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (Spellbrink, in: jurisPraxisKommentar SGB XII, § 9 Rz. 17). Es können nicht mit Erfolg Wünsche vorgetragen werden, die völlig aus dem Rahmen des Üblichen fallen oder bei denen abzusehen ist, dass hierdurch erhebliche Folgekosten entstehen werden. Angemessen kann z. B. der Wunsch einer Hilfeempfängerin sein, eine notwendige ambulante, auch den Intimbereich erfassende Pflege durch eine (womöglich kostenintensivere) weibliche Pflegekraft statt durch einen (regelmäßig kostengünstigeren) Zivil- bzw. Bundesfreiwilligendienstleistenden durchführen zu lassen (Hohm, a. a. O., § 9 Rz. 20). Auch der Wunsch nach einem in der Nähe des Wohnorts des im Haushalt verbleibenden Ehegatten oder naher Angehöriger gelegenen Heimplatz ist grundsätzlich zunächst einmal angemessen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 1.3.2006, L 23 1083/05 SO ER). Der Aspekt der Angemessenheit bzw. Unangemessenheit wirkt sowohl im ambulanten wie auch im stationären und teilstationären Bereich.

 

Rz. 13

Wohl das Hauptkriterium für die Beurteilung der Angemessenheit findet sich in Abs. 2 Satz 3. Die Verwirklichung von Wünschen, die nur mittels unverhältnismäßiger Mehrkosten möglich wäre, darf in jedem Fall grundsätzlich abgelehnt werden. Hintergrund dieser Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts ist die Tatsache, dass etwaige durch dessen Ausübung entstehende Mehrkosten aus öffentlichen Mitteln aufgebracht werden müssten. Der "Mehrkostenvorbehalt" setzt aber zunächst voraus, dass überhaupt mehrere Angebote oder Wünsche angemessen sind (vgl. Spellbrink, in: juris PraxisKommentar SGB XII, § 9 Rz. 21). Bei der Beantwortung der Frage, ob unverhältnismäßige Mehrkosten i. S. d. Abs. 2 Satz 3 vorliegen, ist ein Kostenvergleich mit anderen, gleich guten und qualifizierten Hilfemöglichkeiten durchzuführen und von vernünftigen Durchschnittskosten auszugehen (Roscher, a. a. O., § 9 Rz. 36). Der Mehrkostenvorbehalt erschöpft sich dabei nicht in einem rein rechnerischen Kostenvergleich, sondern verlangt (auch) eine wertende Betrachtungsweise, bei der das Gewicht der vom Hilfeempfänger gewünschten Gestaltung der Hilfe im Hinblick auf seine individuelle Notsituation zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwGE 97 S. 103).

 

Rz. 13a

Als unzulässig muss daher angesehen werden, wenn Sozialhilfeträger bei der Entscheidung darüber, in welches Altenheim ein Leistungsberechtigter ziehen kann, grundsätzlich nur das billigste Heim in der Umgebung akzeptieren, quasi ausnahmslos nur die in ihrem Bereich dem Durchschnitt entsprechenden Heimkosten übernehmen (SG Duisburg, Urteil v. 16.4.2012, S 2 SO 55/11) oder in jedem Fall eine Unterbringung in einem Doppelzimmer vorschreiben. Liegen mehrere Alternativen vor, die alle zur Bedarfsdeckung gleich gut geeignet sind und hierzu bereit sind, kommt der Mehrkos...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge