Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. stationäre Pflege. Auswahlermessen. Berücksichtigung von Wünschen des Leistungsberechtigten. Angemessenheit. Mehrkostenvorbehalt. Unverhältnismäßigkeit. wertende Betrachtung

 

Orientierungssatz

1. Soweit mehrere Handlungsalternativen existieren, handelt es sich beim Wunsch- und Wahlrecht nach § 9 Abs 2 SGB 12 um einen Ermessensgesichtspunkt, der vom Sozialhilfeträger im Rahmen seiner Ermessenserwägungen zu berücksichtigen ist.

2. Der Mehrkostenvorbehalt des § 9 Abs 2 S 3 SGB 12 erschöpft sich nicht in einem rein rechnerischen Kostenvergleich, sondern verlangt (auch) eine wertende Betrachtungsweise, bei der das Gewicht der vom Hilfeempfänger gewünschten Gestaltung der Hilfe im Hinblick auf seine individuelle Notsituation zu berücksichtigen ist.

3. Die Berücksichtigung von Pflegesätzen bis zu einer Schwelle von 5 % über dem städtischen Durchschnitt bezogen auf die jeweilige Pflegestufe ist zu niedrig. In Rechtsprechung und Literatur wird eine Unverhältnismäßigkeit soweit ersichtlich regelmäßig erst bei Kosten, die 20 % bis 30 % über denen der Vergleichsgruppe liegen, angenommen.

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 08.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2011 und der konkludent durch Auszahlung ergangenen Änderungsbescheide verurteilt, der Klägerin weitere Heimkosten für die Zeit vom 23.08.2010 bis 30.09.2010 in Höhe von 3,77 Euro täglich, für die Zeit vom 01.10.2010 bis 31.12.2010 in Höhe von 2,20 Euro täglich, für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.03.2011 in Höhe von 1,81 Euro täglich, für die Zeit vom 01.04.2011 bis 30.06.2011 in Höhe von 1,67 Euro täglich, für die Zeit vom 01.07.2011 bis 30.09.2011 in Höhe von 1,62 Euro täglich, für die Zeit vom 01.10.2011 bis 31.12.2011 in Höhe von 1,00 Euro täglich, für die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.03.2012 in Höhe von 0,75 Euro täglich und für die Zeit ab 01.04.2012 in Höhe von 0,14 Euro täglich zu gewähren.

Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin und des Beigeladenen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Klägerin auf Übernahme der tatsächlichen Heimkosten nach dem Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch (SGB XII).

Die im Jahr 1913 geborene, verwitwete Klägerin hat ausweislich ihres Schwerbehindertenausweises einen Grad der Behinderung von 70 sowie Merkzeichen G. Von der Pflegekasse wurde Pflegestufe I anerkannt. Die Klägerin bezieht eine Altersrente in Höhe von 339,47 Euro und eine Witwenrente in Höhe von 144,70 Euro (Stand: 01.07.2010). Daneben bezog sie Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII von der Beklagten. Bis zum 22.08.2010 lebte sie im eigenen Haushalt; Vermieterin war der Caritas-Verband.

Am 09.08.2010 teilte die Tochter der Klägerin der Beklagten telefonisch mit, dass die Klägerin am 23.08.2010 in das St. Clemens Haus des Beigeladenen ziehen werde. Ein anderer Heimplatz sei nicht frei gewesen. Ein verwandter Weihbischof habe die Einrichtung eröffnet und eingeweiht. Die Beklagte wies auf den Mehrkostenvorbehalt hin. Die Klägerin beantragte am 24.08.2010 bei der Beklagten die Übernahme der ungedeckten Heimkosten im St. Clemens Haus des Caritas-Verbandes. Zudem bevollmächtige sie ihre Tochter, sie in Behördenangelegenheiten zu vertreten. Der tägliche Pflegesatz im St. Clemens Haus für Pflegestufe I betrug 94,84 Euro in dem von der Klägerin bezogenen Einzelzimmer. Die Klägerin erklärte in ihrem Antrag, sie sei nicht in der Lage einen eigenen Haushalt zu führen. Dem Antrag beigefügt war ein Schreiben der AOK Rheinland/Hamburg vom 27.07.2010, in dem der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) die Notwendigkeit einer 24-Stunden-Betreuung für die Klägerin bestätigte. Oberhalb des Vermögensfreibetrages von 2.600,00 Euro liegendes Vermögen war bei Heimaufnahme nicht vorhanden. Die AOK Rheinland/Hamburg gewährte der Klägerin rückwirkend ab Heimaufnahme Leistungen der vollstationären Pflege in Höhe von 1.023,00 Euro. Unter dem 31.08.2010 beantragte die Klägerin zudem Pflegewohngeld bei der Beklagten, welches rückwirkend ab Heimaufnahme in Höhe von 704,22 Euro monatlich gewährt wurde.

Mit Bescheid vom 08.11.2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 23.08.2010 Sozialhilfe unter Berücksichtigung eines täglichen Pflegesatzes in Höhe von insgesamt 91,07 Euro (ab dem 01.10.2010 92,64 Euro täglich). Ab dem 01.10.2010 rechnete sie dabei das Renteneinkommen der Klägerin an, wobei von der Altersrente nur ein Betrag in Höhe von 90,30 angerechnet und der auf die Kindererziehung bezogene Rentenanteil in Höhe von 54,40 Euro freigelassen wurde. Zudem bewilligte sie der Klägerin einen Barbetrag in Höhe von monatlich 96,93 Euro. Der Differenzbetrag von täglich 3,77 Euro, bzw. ab dem 01.10.2010 von 2,20 Euro zu dem tatsächlich im St. Clemens Haus erhobenen Pflegsatz in Höhe von 94,84 Euro bleibe unberücksichtigt. Die Stadt D. wende als Sozialhilfeträger bei der Gewährung von Leistungen den so genannten Mehrkostenvorbehalt gem...

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