Rz. 7

Satz 1 enthält anders als die frühere Regelung (§ 16 BSHG) nicht nur eine einfache Vermutung hinsichtlich der tatsächlichen Unterhaltsleistung, sondern nunmehr (vgl. Rz. 2) die doppelte Vermutung, dass Wohngemeinschaften auch Haushaltsgemeinschaften sind (vgl. dazu Rz. 8 f.) und in ihnen notfalls gegenseitig Leistungen zum Lebensunterhalt erbracht werden, wenn dies aufgrund des Einkommens und Vermögens zu erwarten ist (vgl. dazu Rz. 10 ff.). Trotz § 20 Satz 2 findet im Verhältnis der Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft (oder Lebenspartnerschaft) die (Vermutungs-)Regelung des § 39 keine Anwendung (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 24.6.2013, L 20 SO 617/11; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 21.9.2006, L 7 SO 5441/05 Rz. 37 m. w. N.; Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 20 Rz. 24 sowie § 39 Rz. 4; Conradis bzw. Schoch, in: LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 20 Rz. 17 und § 39 Rz. 7; Hohm bzw. H. Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl. 2010, § 20 Rz. 33 bzw. § 36 Rz. 10 m. w. N.; Becker, in: juris-PK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 39 Rz. 11 m. w. N.).

 

Rz. 7a

Bleibt streitig, ob die Voraussetzungen für die Vermutungen (Rz. 8 ff. bzw. Rz. 10 ff.) erfüllt sind, richtet sich die Beweislast nach den allgemeinen Regeln. Das Beweisrisiko liegt daher insoweitbei der Verwaltung (a. A. Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 39 Rz. 18).

2.1.1 Wohngemeinschaft

 

Rz. 8

Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 15/1514 S. 61 zu § 37) knüpft die Regelung an den objektiven Sachverhalt des "gemeinsamen Wohnens" an. Der Begriff "Wohnung" meint Wohnraum i. S. d. § 4a Wohngeldgesetzes (WoGG) der darüber hinaus entsprechend der üblichen Zweckbestimmung einer Wohnung nach außen in gewisser Weise abgeschlossen ist. Der umfassendere Begriff "Unterkunft" entspricht dem in § 27a Abs. 1 Satz 1 und § 35 (vgl. Komm. dort). Eine "entsprechende andere Unterkunft" ist also eine solche, die wie eine Wohnung nach außen in gewisser Weise abgeschlossen ist.

 

Rz. 9

Satz 1 HS 1 enthält insoweit eine Erweiterung gegenüber dem früheren § 16 Satz 1 BSHG, als nunmehr nicht nur Verwandte und Verschwägerte (§§ 1589, 1590 BGB), sondern alle Personen, die die Vorteile einer gemeinsamen Haushaltsführung nutzen, grundsätzlich in den Vermutungstatbestand einbezogen werden (zur Begründung und Kritik vgl. Rz. 3 und 4). Diese Erweiterung war schon im Regierungsentwurf zum BSHG-Reformgesetz 1996 enthalten (vgl. H. Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl. 2010, § 36 Rz. 8), ist dann aber nicht in das BSHG aufgenommen worden. Zu Ausnahmen bzw. zu den Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung vgl. Rz. 17 ff. und die Rechtsprechungshinweise unter Rz. 27.

 

Rz. 9a

Die ununterbrochene Anwesenheit aller Personen einer Wohngemeinschaft ist nicht erforderlich, Unter Umständen kann selbst die monatelange Abwesenheit für ein Auslandsstudium die Wohngemeinschaft unberührt lassen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 14.7.2006, L 1 B 23/06 AS ER Rz. 24). Auch ein Klinikaufenthalt steht dem Eingreifen der Vermutung nicht entgegen (Bayerisches LSG, Beschluss v. 9.3.2010, L 8 SO 45/10 B ER Rz. 22). Nach Auffassung des Bayerischen LSG (Urteil v. 24.4.2012, L 8 SO 125/10) lebt nach der Anschauung des praktischen Lebens in einer Wirtschaftsgemeinschaft, wer 17 Jahre bei einer Person in einem Raum in Untermiete wohnt, die gemeinsame Einrichtung nutzt und dort gemeldet ist.

2.1.2 "… soweit dies nach ihrem Einkommen und Vermögen erwartet werden kann" (Satz 1 letzter HS)

 

Rz. 10

Ob und in welchem Umfang erwartet werden kann, dass die mit der nachfragenden Person zusammen lebende Person der nachfragenden Person Unterhalt leistet, kann nicht schematisch beantwortet werden, ist aber als Voraussetzung für das Eingreifen der Vermutung von dem Träger der Sozialhilfe möglichst umfassend zu belegen bzw. zu begründen (H. Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl. 2010, § 39 Rz. 11 m. w. N.). Verschiedene Aspekte sind zu beachten.

 

Rz. 11

Grundsätzlich kommt es nicht darauf an, ob auch zivilrechtlich eine Unterhaltspflicht vorliegt. Eine sittliche Unterhaltspflicht (vgl. dazu § 84 Abs. 2) reicht aus. Allerdings ergeben sich aus Art und Umfang einer gesetzlichen Unterhaltspflicht Anhaltspunkte dafür, in welchem Umfang die Gewährung von Unterhalt objektiv erwartet werden kann.

 

Rz. 12

Bezogen auf die Anwendung der Vermutungsregelung zwischen (unterhaltspflichtigen) Verwandten hat das BVerwG (vgl. Urteil v. 1.10.1998, 5 C 32/97) unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zu § 16 BSHG dargelegt, dass mit der Bestimmung nicht auf ein nach regelsatzmäßigen Gesichtspunkten zu wertendes Einkommen der Angehörigen abgestellt werden soll. Vielmehr sei aus den Umständen des Einzelfalles zu schließen, ob und in welcher Höhe nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine Unterhaltsleistung erwartet werden kann. Dies setzt voraus, dass das dem Verwandten oder Verschwägerten verbleibende Einkommen deutlich über dem sozialhilferechtlichen Bedarf der Hilfe zum Lebensunterhalt liege (so bereits auch BVerwG, Urteil v. 29.2.1996, 5 C 2/95; Bayerisch...

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