Rz. 17

Das Gesetz selbst nennt in Satz 3 zwei Fälle, in denen die Vermutung ausnahmsweise nicht gilt. Außerdem kann die Vermutung nach Satz 2 widerlegt werden. Im Übrigen ist die Anwendung von § 39 Satz 1 im Rahmen der Leistungen nach dem Vierten Kapitel ausgeschlossen (vgl. § 43 Abs. 1 HS 2). Dieser Ausschluss bezieht sich jedoch nur auf die Vermutung der Bedarfsdeckung, nicht dagegen auf die Vermutung der gemeinsamen Haushaltsführung (vgl. BSG, Urteil v. 23.7.2014, B 8 SO 14/13 R Rz. 16, 29).

2.2.1 Ausschluss kraft Gesetzes (Satz 3)

 

Rz. 18

Nach Satz 3 Nr. 1 greift die Vermutung trotz des Vorliegens der unter Rz. 7 ff. beschriebenen Voraussetzungen nicht bei nachfragenden Personen, die schwanger sind oder ihr leibliches Kind bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres betreuen und mit ihren Eltern oder einem Elternteil zusammenleben.

 

Rz. 19

Dies entsprach auch schon bisher der Praxis, da eine andere Handhabung eine Umgehung von § 19 Abs. 4 (früher § 11 Abs. 1 Satz 3 BSHG) bei Minderjährigen bzw. von § 94 Abs. 1 Satz 3 (früher § 91 Abs. 1 Satz 3 HS 2 BSHG) bei volljährigen Müttern darstellen würde. Der Vorschrift kommt damit nur klarstellender Charakter zu (vgl. BT-Drs. 15/1514 S. 61 zu § 37).

 

Rz. 20

Unter den in Satz 3 Nr. 2 näher beschriebenen Voraussetzungen ist die Vermutung auch bei der Betreuung von behinderten oder pflegebedürftigen Personen ausgeschlossen (zu einem solchen Fall LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 9.11.2007, L 13 SO 31/07 ER). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1514 S. 61 zu § 37) soll durch den Ausschluss der Vermutung eine persönliche Leistung, die innerhalb der Wohngemeinschaft erbracht wird, honoriert und gleichzeitig einem "Abschieben" in eine stationäre Unterbringung entgegengewirkt werden. Es sollen auch Wohngemeinschaften nicht in die Regelung einbezogen werden, die zur gegenseitigen Hilfe und Unterstützung gebildet werden, wie dies z. B. bei alten Menschen zunehmend der Fall ist. Dies dient auch der Entlastung der öffentlichen Hilfen. Wird jedoch in solchen Fällen der Lebensunterhalt tatsächlich mit gedeckt, entfallen aufgrund des Bedarfsdeckungsprinzips Leistungen der Sozialhilfe (vgl. Becker, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 39 Rz. 67 m. w. N.; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 29. Erg.-Lfg. XI/12, K § 39 Rz. 64), für minderjährige Kinder gegenüber ihren Eltern gilt weiterhin § 27 Abs. 2 Satz 3.

2.2.2 Widerlegung der Vermutung (Satz 2)

 

Rz. 21

Die Vermutung kann widerlegt werden. Da es sich um eine doppelte Vermutung handelt, kommt als Ansatzpunkt dafür sowohl die erste als auch die zweite Vermutungsfolge in Betracht. Das heißt, es kann behauptet und belegt werden, dass trotz Wohngemeinschaft nicht gemeinsam gewirtschaftet wird oder dass die mit der nachfragenden Person zusammenlebende Person tatsächlich keinen Beitrag zum Lebensunterhalt leistet. Die Vermutung ist nicht schon dann widerlegt, wenn eine Person gegenüber anderen einen geringeren Beitrag an der Haushaltsführung leistet, selbst wenn für eine Haushaltsführung wesentliche Fähigkeiten fehlen. Die Vermutung greift nur dann nicht, wenn keinerlei oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil v. 23.7.2014, B 8 SO 14/13 Rz. 16). Streng zu unterscheiden ist die Widerlegung der Vermutungsfolge nach Satz 2 von der Frage, ob die Voraussetzungen für die Vermutung (vgl. Rz. 7 ff.) erfüllt sind (so auch Grube, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 39 Rz. 18). Wer die Vermutung widerlegen will – in aller Regel wird dies derjenige sein, der Leistungen vom Träger der Sozialhilfe begehrt –, den trifft dafür die Beweislast (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 3.3.2006, L 20 B 64/05 SO ER Rz. 5; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 29. Erg.-Lfg. XI/12, K § 39 Rz. 57). Ob und wann die Vermutung als widerlegt angesehen werden kann, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalles zu entscheiden. Besonders hohe Anforderungen sind jedoch nicht zu stellen. Nach Auffassung des Gesetzgebers (BT-Drs. 15/1514 S. 61 zu § 37) wird im Regelfall eine Glaubhaftmachung oder eine zweifelsfreie Versicherung ausreichen (vgl. zu den konkreten Anforderungen im Einzelfall OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 4.10.1993, 8 A 275/92).

 

Rz. 22

Im Übrigen können die Auskunftspflichten nach § 117 Abs. 1 Satz 2 weiterhelfen. An die Schlüssigkeit des Vortrages bzw. die Überzeugungskraft der Mittel zur Glaubhaftmachung dürften umso höhere Anforderungen zu stellen sein, je größer die vermutete Leistungsfähigkeit der mit der nachfragenden Person zusammenlebenden Person ist.

 

Rz. 23

Der Einwand, die mit der nachfragenden Person zusammenlebende Person sei nur deswegen tätig geworden bzw. in "Vorleistung" getreten, weil nicht rechtzeitig Sozialhilfe geleistet worden sei, ist jedenfalls dann unbeachtlich, wenn es sich bei dem Dritten um einen unterhaltsverpflichteten Verwandten handelt. Der Gesichtspunkt der "Nothilfe" anstelle und für Rechnung des Sozialhilfeträgers ist nämlich dann nicht tragfähig, wenn den "Nothelfer" selbst eine Unterhaltspflicht tr...

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