Leitsatz (amtlich)

Eine Rentenversicherungspflicht als Rehabilitand, die ua nach einer zwölfmonatigen ununterbrochenen Zahlung von Krankengeld eintritt (RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 8a Buchst a), wird durch eine nur geringfügige Unterbrechung der Krankengeldzahlung (hier: wegen eines mißglückten Arbeitsversuchs von wenigen Tagen) nicht ausgeschlossen; das gilt jedenfalls dann, wenn während der Unterbrechung Arbeitsunfähigkeit fortbestanden hat (Weiterführung von BSG 1979-06-07 12 RK 18/78 = SozR 2200 § 1227 Nr 27).

 

Leitsatz (redaktionell)

Beginn der Rentenversicherungspflicht nach § 1227 Abs 1 S 1 Nr 8a Buchst a RVO:

In die Zwölf-Monats-Frist des § 1227 Abs 1 S 1 Nr 8a Buchst a RVO (§ 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG) ist der Zeitraum einer Lohn- oder Gehaltsfortzahlung zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht einzubeziehen.

 

Normenkette

RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 8a Buchst. a Fassung: 1974-08-07; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 10a Buchst. a Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

SG Regensburg (Entscheidung vom 08.11.1979; Aktenzeichen S 8 Kr 56/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in der Zeit vom 1. Oktober bis 13. Dezember 1977 als Rehabilitand in der Rentenversicherung der Arbeiter (ArV) versicherungspflichtig nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) war und die Beklagte deshalb für diesen Zeitraum die Beiträge nach § 1385 Abs 4 Buchst g RVO als Rehabilitationsträger zu tragen hat.

Die Beklagte zahlte dem ab 20. September 1976 wegen einer Darmerkrankung arbeitsunfähigen Kläger in der Zeit vom 21.September 1976 bis 13. Dezember 1977 Krankengeld mit Ausnahme der Tage vom 12. bis 17. Januar 1977. Für diese Tage unterbrach sie die Zahlung, nachdem der Kläger vom behandelnden Arzt ab 12. Januar 1977, einem Mittwoch, wieder für arbeitsfähig erachtet worden war, für diesen Tag bezahlten Urlaub genommen und am 13. Januar 1977 wieder zu arbeiten begonnen hatte. Bereits am 14. Januar 1977 hatte er jedoch die Arbeit wieder einstellen müssen; am 17. Januar 1977 (Montag) wurde ihm ärztlich bestätigt, daß er aufgrund seiner Darmerkrankung wieder arbeitsunfähig sei.

Mit Bescheid vom 16. Mai 1978 stellte die Beklagte fest, daß eine Versicherungspflicht des Klägers nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst a RVO nicht eingetreten sei. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 1978). Das Sozialgericht (SG) Regensburg hat der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Entscheidung verurteilt, für den Kläger Beiträge zur Rentenversicherung für die Zeit vom 1. Oktober bis 13. Dezember 1977 zu zahlen (Urteil vom 8. November 1979). Das SG hat festgestellt, daß der Kläger auch während der Zeit vom 12. bis 17. Januar 1977 wegen seiner Darmerkrankung arbeitsunfähig krank gewesen sei und deshalb einen Anspruch auf Krankengeld gehabt habe, der allerdings wegen Zahlung von Arbeitsentgelt geruht habe. Das kurzfristige Ruhen der Krankengeldzahlung bei einem mißglückten Arbeitsversuch sei, wie die kurzfristige Unterbrechung der Krankengeldzahlung infolge Bezugs von Übergangsgeld während eines Heilverfahrens, keine Unterbrechung, die den Eintritt der Versicherungspflicht nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst a RVO hindere.

Mit der - vom SG im Urteil zugelassenen - Sprungrevision vertritt die Beklagte die Auffassung, nach dem insoweit nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst a RVO sei allein die "ununterbrochene" Krankengeldzahlung für den Beginn der Versicherungspflicht maßgebend. Da aber die Krankengeldzahlung durch den Bezug von Arbeitsentgelt unterbrochen worden sei, seien die Voraussetzungen der Versicherungspflicht nicht erfüllt. In dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. Juni 1979 - 12 RK 18/78 - sei ein anderer Sachverhalt zu entscheiden gewesen. Dort habe der Versicherte in ununterbrochenem Leistungsbezug gestanden.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des SG aufzuheben und die Klage

abzuweisen.

Der (im Revisionsverfahren nicht vertretene) Kläger und die Beigeladene haben keine Anträge gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist als unbegründet zurückzuweisen.

Das SG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger in der streitigen Zeit (1. Oktober bis 13. Dezember 1977) versicherungspflichtig nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst a RVO war und daß deshalb die Beklagte gemäß § 1385 Abs 4 Buchst g RVO verpflichtet ist, für diese Zeit die Beiträge zur ArV zu tragen.

Nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst a RVO werden Personen, denen ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zwölf Kalendermonate ununterbrochen Krankengeld gezahlt hat, für die Zeit des weiteren Bezuges von Krankengeld, darüber hinaus für höchstens weitere 24 Kalendermonate einer Arbeitsunfähigkeit in der ArV versichert. Die Voraussetzung dieser Vorschrift war beim Kläger mit dem Ablauf des Monats September 1977 erfüllt.

Der Wortlaut der Vorschrift scheint allerdings eher für die Auffassung der Beklagten zu sprechen; wenn nämlich - in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch - unter der "Zahlung" eines Betrags ein rein tatsächlicher Vorgang zu verstehen wäre und bei jeder, auch einer nur kurzen Unterbrechung dieses Vorgangs eine "ununterbrochene" Zahlung nicht mehr vorläge, dann wäre wegen der unstreitigen Nichtzahlung des Krankengeldes in der Zeit vom 12. bis zum 17. Januar 1977 die Voraussetzung der genannten Vorschrift nicht erfüllt. Wie jedoch der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 7. Juni 1979 - 12 RK 18/78 - (SozR 2200 § 1227 Nr 27) zu der gleichlautenden Vorschrift des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) entschieden hat, würde eine lediglich am Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung des Begriffs "ununterbrochene Zahlung" dem erkennbaren Zweck und damit dem objektiven Willen des Gesetzes zuwiderlaufen. Bei einem Widerstreit zwischen Wortlaut und Zweck einer Norm entspricht es aber allgemeinen Regeln der Rechtsmethodik, daß der Richter sich bei der Auslegung und Anwendung der Norm nicht auf deren bloßen Wortlaut beschränkt, sondern den Sinnzusammenhang, in den die Norm gestellt ist, entscheidend mitberücksichtigt, um den Absichten des Gesetzgebers gerecht zu werden (vgl hierzu Zippelius, Einführung in die juristische Methodenlehre, 2.Aufl 1974, S 52; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1975, S 309).

Wie der Senat schon in einer früheren Entscheidung ausgeführt hat, dient die Einbeziehung der Rehabilitanden in die Rentenversicherungspflicht - mit der Übertragung der Beitragspflicht auf die Rehabilitationsträger als einer ergänzenden Leistung nach § 12 Nr 2 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 - der sozialen Sicherung der Behinderten; sie ist ein Ausgleich des durch die Behinderung bedingten Verlustes der Fähigkeit, sich aus den Erträgnissen einer Erwerbstätigkeit selbst ausreichend gegen die von der gesetzlichen Rentenversicherung abgedeckten Risiken zu versichern (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 30. November 1977 - 12 RK 28/76 - BSGE 45, 188). Durch das RehaAnglG wurden auch die Krankenkassen in den Kreis der Rehabilitationsträger einbezogen (§ 2 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 RehaAnglG). Sie haben ihren Mitgliedern alle medizinischen Leistungen zur Rehabilitation zu erbringen, soweit nicht ein anderer Träger dazu verpflichtet ist (vgl BT-Drucks 7/1237 S 51, rechte Spalte Mitte). Das bedeutet allerdings nicht, daß nunmehr jede medizinische Maßnahme auch als eine Rehabilitationsleistung anzusehen ist. Dies gilt vielmehr nur für solche Maßnahmen, die auf die Behandlung länger dauernder Leiden gerichtet sind, so daß namentlich kurzfristige (akute) Erkrankungen nicht erfaßt werden (vgl Jung/Preuß, Rehabilitation, 2. Aufl, S 172; Kugler, Rehabilitation in der Rentenversicherung, S 284). Damit werden die Krankenkassen - als Träger der Beitragslast für ihre rentenversicherungspflichtigen Rehabilitanden - finanziell geschont, was beabsichtigt war (vgl BT-Drucks 7/2256 S 12 zu Nr 55). Erst wenn also eine Krankheit eine längere Behandlung erfordert, liegt ein Rehabilitationsfall vor, für den die Krankenkassen als Rehabilitationsträger die Beiträge zur Rentenversicherung zu tragen haben.

Um insoweit klare Verhältnisse für alle Beteiligten zu schaffen, insbesondere den Krankenkassen eine praktikable, dh verwaltungsmäßig einfach und sicher zu handhabende Unterscheidung zwischen Rehabilitations- und sonstigen Krankheitsfällen zu ermöglichen und dadurch "Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden", macht § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst a RVO den Eintritt der Rentenversicherungspflicht davon abhängig, daß der Träger der Krankenversicherung "zwölf Kalendermonate ununterbrochen Krankengeld gezahlt hat" (vgl BT-Drucks 7/1237 S 69 zu Nr 55). Wenn und sobald dies geschehen ist, ist der Krankheitsfall, der zunächst vorgelegen hat, zu einem Rehabilitationsfall geworden, der dann Versicherungspflicht nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst a RVO auslöst. Solange dagegen Krankengeld noch nicht für zwölf Kalendermonate gezahlt ist, handelt es sich weiterhin um einen "normalen" Krankheitsfall, der noch keine Versicherungspflicht nach der genannten Vorschrift begründet und damit auch die Krankenkasse noch nicht nach § 1385 Abs 4 Buchst g RVO zur Beitragszahlung verpflichtet. In dieser eingeschränkten, im wesentlichen auf Verwaltungsvereinfachung gerichteten Funktion erschöpft sich indessen der Zweck der genannten Vorschrift, soweit darin eine bestimmte Bezugsdauer des Krankengeldes gefordert wird. Eine darüber hinausgehende Bedeutung kommt ihr und der mit ihr verbundenen Unterscheidung von Rehabilitations- und sonstigen Krankheitsfällen nicht zu (so ausdrücklich BT-Drucks aaO); insbesondere bietet sie keinen Anhalt dafür, daß nach dem Willen des Gesetzgebers jede tatsächliche Unterbrechung der Krankengeldzahlung, unabhängig von ihrem Grund und von ihrer Dauer, als eine auch im Rechtssinne erhebliche Unterbrechung anzusehen ist.

Für Unterbrechungen, die ihren Grund darin haben, daß anstelle des von der Krankenkasse gezahlten Krankengeldes für eine gewisse Zeit ein anderer Versicherungsträger Übergangsgeld gewährt, hat der Senat dies bereits entschieden (vgl das erwähnte Urteil vom 7. Juni 1979; zustimmend Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 52. Nachtrag August 1979, S 620 m, mwN, ferner Gesamtkomm zur RVO, 17. Lieferung November 1980, § 1227 Anm 18). Das gleiche muß aber auch für Fälle der vorliegenden Art gelten, in denen die Krankenkasse die Zahlung des Krankengeldes für kurze Zeit ausgesetzt hat, weil der - arbeitsunfähig gebliebene - Kranke einen mißglückten Arbeitsversuch unternommen, für diese Zeit Arbeitsentgelt erhalten und sein Krankengeldanspruch deshalb geruht hat (§ 189 RVO).

Daß kurzfristige Unterbrechungen unschädlich sein können und dann im Rechtssinne als nicht vorhanden anzusehen sind, hat die Rechtsprechung schon früher in anderen Zusammenhängen angenommen (vgl BSGE 24, 290, 292 mwN zu § 1248 Abs 2 RVO, der in der ursprünglichen Fassung eine "ununterbrochene" Arbeitslosigkeit von mindestens einem Jahr vorausgesetzt hatte). Dabei hat die Erwägung mitgesprochen, daß bei einer nur kurzen Unterbrechung die Schwere des Nachteils, den der Betroffene erleiden würde, wenn eine Unterbrechung im Rechtssinne anzunehmen wäre, in keinem angemessenen Verhältnis zur Geringfügigkeit ihrer Dauer stände. Das gleiche Bedenken würde sich aber auch dann erheben, wenn schon bei einer kurzen Unterbrechung in der Zahlung des Krankengeldes während der zwölfmonatigen "Wartezeit" der Versicherungsschutz als Rehabilitand entfiele. Eine solche Rechtsfolge wäre um so weniger verständlich, wenn für die Beteiligten zweifelsfrei feststände, daß der Kranke auch während der Unterbrechungszeit arbeitsunfähig gewesen war, sich sein rehabilitationsbedürftiger Zustand mithin nicht verändert hatte. Dann hätte nämlich die Krankenkasse auch verwaltungsmäßig keine Schwierigkeiten, den Rehabilitationsfall von sonstigen Krankheitsfällen abzugrenzen. Jedenfalls unter dieser Voraussetzung - Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit - erscheint es deshalb geboten, eine tatsächliche Unterbrechung der Krankengeldzahlung von nur geringer Dauer bei der Anwendung des § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst a RVO außer Betracht zu lassen.

Ob das gleiche auch für andere Fälle einer kurzfristigen Zahlungsunterbrechung gilt, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden. Andererseits genügt, wie zur Klarstellung gegenüber der Entscheidung vom 7. Juni 1979 zu bemerken ist, zur Überbrückung einer Zahlungslücke nicht in jedem Falle ein - ruhender - Krankengeldanspruch. In der früheren Entscheidung hatte der Senat einen solchen Anspruch vor allem auch deshalb für ausreichend erachtet, weil zu dem ruhenden Krankengeldanspruch die Zahlung von Übergangsgeld, dh einer dem gleichen Zweck wie das Krankengeld dienenden öffentlichen Leistung, hinzugekommen war. Daß im übrigen die Zeit, in der ein Krankengeldanspruch besteht, aber wegen Lohnfortzahlung für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit ruht (§ 189 RVO) in die zwölfmonatige "Wartezeit" des § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst a RVO nicht einzurechnen ist, sondern deren Beginn hinausschiebt, ist schon in der Begründung zu der genannten Vorschrift (BT-Drucks 7/1237 S 69) ausgeführt worden.

Im vorliegenden Fall hat das SG unangefochten festgestellt, daß der Kläger während der Zeit seines mißglückten Arbeitsversuchs arbeitsunfähig geblieben war. Da auch die Unterbrechung der Krankengeldzahlung von nur sechs Tagen als geringfügig anzusehen ist, hat das SG im Ergebnis mit Recht entschieden, daß der Kläger ab 1. Oktober 1977 als Rehabilitand nach der angeführten Vorschrift versicherungspflichtig war. Die Entscheidung des SG ist sonach zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 172

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