Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungspflicht von Rehabilitanden. ununterbrochene Krankengeldzahlung. Ermittlung der Zwölf-Monats-Frist

 

Orientierungssatz

1. Zeiten, in denen der Krankengeldanspruch wegen Fortzahlung des Gehalts ruht, sind nicht als Monate anzusehen, in denen Krankengeld iS von § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG (= § 1227 Abs 1 S 1 Nr 8a Buchst a RVO) gezahlt wurde (vergleiche BSG vom 1981-01-29 12 RK 78/79 = SozR 2200 § 1227 Nr 33). Diese Überlegungen gelten gleichermaßen für eine Lohn- oder Gehaltsfortzahlung von längerer Dauer.

2. Monate, die nicht voll, sondern nur für einige Tage oder Wochen mit Krankengeld belegt sind, sind nicht als volle Kalendermonate iS von § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG anzusehen.

3. Krankengeldzahlungen während der ersten und der zweiten Blockfrist können nicht zusammengerechnet werden, da die zwischen ihnen liegende Unterbrechung von mehr als 18 Monaten nicht mehr als "geringfügig" iS der Entscheidung des Senats vom 1981-01-29 aaO angesehen werden kann.

 

Normenkette

RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 8a Buchst a Fassung: 1974-08-07; AVG § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

SG Hamburg (Entscheidung vom 03.03.1982; Aktenzeichen 22 Kr 195/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, für welche Zeiträume die Klägerin der Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) unterlegen hat.

Die Klägerin war ab 22. Mai 1975 arbeitsunfähig krank. Die Leistungsgewährung aus der Krankenversicherung entwickelte sich wie folgt: 22. Mai 1975 bis 21. November 1975 Ruhen des Krankengeldes wegen Gehaltsfortzahlung (sechs Monate); 22. November 1975 bis 18. November 1976 Zahlung von Krankengeld (11 Kalendermonate und 27 Tage); 19. November 1976 bis 21. Mai 1978 Unterbrechung der Krankengeldzahlung wegen Erschöpfung des Anspruchs; 22. Mai 1978 bis auf weiteres Zahlung von Krankengeld wegen des Beginns einer neuen Blockfrist nach § 183 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO); ab 1. Juni 1979 Feststellung der Versicherungspflicht durch die Beklagte (nach Ablauf erneuter Krankengeldzahlung von 12 Kalendermonaten und 10 Tagen). Ab 1. Dezember 1980 erhält die Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Die Klägerin ist der Auffassung, daß Versicherungspflicht schon für die Zeit vom 19. November 1976 bis 31. Mai 1979 bestanden habe, weil schon damals die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG (12-monatige ununterbrochene Zahlung von Krankengeld) gegeben gewesen seien. Die Beklagte lehnte diesen Antrag jedoch ab (Bescheid vom 4. August 1980, Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 1980).

Auch die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Hamburg vom 8. Dezember 1981). Das SG hat die Auffassung vertreten, daß die Zeit von 12 Kalendermonaten nicht nach Tagen, sondern nur nach vollen Monaten bemessen werden könne und daß hierbei Zeiten der Gehaltsfortzahlung, in denen das Krankengeld ruht, ebenso wie Zeiten, die vor einer Unterbrechung der Krankengeldzahlung liegen, nicht zu berücksichtigen seien.

Mit der Sprungrevision macht die Klägerin geltend, daß ebenso wie bei der Ermittlung der Wartezeiten (§§ 23 Abs 3, 24 Abs 3 und 25 Abs 7 AVG) auch zur Ermittlung der Voraussetzungen für die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG Monate, in denen nur teilweise die Voraussetzungen gegeben waren, als volle Monate angesehen werden müßten. Ferner ist sie der Ansicht, daß der in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dargestellte Zweck der Frist des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG, in verwaltungsmäßig praktikabler Weise den Rehabilitationsfall von dem Krankheitsfall abzugrenzen, dazu führen müsse, bei langfristiger Gehaltsfortzahlung das Ruhen des Krankengeldes ab der 7. Woche als Zeit der Zahlung von Krankengeld zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4. August 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1980 zu verurteilen, für die Zeit vom 19. November 1976 bis 31. Mai 1979 zugunsten der Klägerin Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a iVm § 112 Abs 3 Buchst g Nr 1 AVG zu entrichten.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils und führt im übrigen aus, daß bei längerer Gehaltsfortzahlung deshalb keine unerträglichen Härten bestehen, weil für die Zeit der Gehaltsfortzahlung Beiträge von diesem Gehalt zu entrichten sind.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls, die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß die hier anstehenden Fragen durch die bisherige Rechtsprechung (Urteile des erkennenden Senats vom 7. Juni 1979 - 12 RK 18/78 - und vom 29. Januar 1981 - 12 RK 78/79 -) bereits hinreichend geklärt seien.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Beklagte hat die Klägerin zu Recht erst ab 1. Juni 1979 als versicherungspflichtig nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG angesehen.

Nach dieser Vorschrift werden in der Rentenversicherung der Angestellten versicherte Personen, denen ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung 12 Kalendermonate ununterbrochen Krankengeld gezahlt hat, für die Zeit des weiteren Bezuges von Krankengeld, darüber hinaus für höchstens weitere 24 Kalendermonate einer Arbeitsunfähigkeit. Diese Voraussetzungen waren erst ab 1. Juni 1979 gegeben, weil die Klägerin zuvor nicht 12 Kalendermonate ununterbrochen Krankengeld bezogen hatte.

Die Auffassung der Klägerin, daß Zeiten, in denen der Krankengeldanspruch wegen Fortzahlung des Gehalts ruht, als Monate anzusehen sind, in denen Krankengeld gezahlt wurde, ist unzutreffend. Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 29. Januar 1981 (12 RK 78/79 - SozR 2200 § 1227 Nr 33 S 76 -) darauf hingewiesen, daß die Zeit, in der ein Krankengeldanspruch wegen Lohnfortzahlung für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit ruht (§ 189 RVO), nicht in die 12-monatige "Wartezeit" einzurechnen ist, sondern deren Beginn hinausschiebt (s auch BT-Drucks 7/1237 S 69). Diese Überlegungen gelten gleichermaßen für eine Lohn- oder Gehaltsfortzahlung von längerer Dauer. Der Gesetzgeber hat, wie sich aus der zitierten Gesetzesbegründung und auch aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, die Versicherungspflicht grundsätzlich an eine ununterbrochene 12- monatige tatsächliche Zahlung von Krankengeld geknüpft. Das schließt zwar nicht aus, kurzfristige Unterbrechungen unberücksichtigt zu lassen (BSG aaO) und andererseits auch Zeiten zu berücksichtigen, in denen wegen einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme an die Stelle des Krankengeldes die Zahlung von Übergangsgeld tritt (Urteil vom 7. Juni 1979 - 12 RK 8/78- SozR 2200 § 1227 Nr 27). Bei diesen Abweichungen handelt es sich jedoch um besondere Tatbestände, die wegen Geringfügigkeit der Unterbrechung oder wegen der Rechtsähnlichkeit von Kranken- und Übergangsgeld die Annahme einer 12-monatigen ununterbrochenen Krankengeldzahlung nicht hindern. Solche Ausnahmen berechtigen indes nicht dazu, auch in anderen Fällen vom Gesetzeswortlaut abzuweichen, insbesondere den - hier vorliegenden - Fall des Ruhens von Krankengeld wegen Gehaltsfortzahlung der tatsächlichen Zahlung von Krankengeld gleichzustellen. Damit würde der Wortsinn der Vorschrift vollständig verlassen, ohne daß dies durch den erkennbaren Zweck des Gesetzes gerechtfertigt würde. Es ist zwar richtig, daß auch Zeiten, in denen das Krankengeld wegen Gehaltsfortzahlung ruht, zur Abgrenzung eines Krankheitsfalles von einem Rehabilitationsfall beitragen könnten, indem nämlich auch durch sie Eintritt und Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit belegt werden. Offensichtlich hat der Gesetzgeber aber mit der Forderung nach einem 12-monatigen ununterbrochenen Krankengeldbezug nicht nur dieses Ziel einer praktikablen Abgrenzung von Krankheits- und Rehabilitationsfällen verfolgt, sondern zur Entlastung der Krankenkassen dem Versicherten grundsätzlich bei jeder Erkrankung einen nicht rentenversicherten Zeitraum von 12 Monaten zumuten wollen, mag dies in der Gesetzesbegründung auch nicht zum Ausdruck gekommen sein; Wortlaut und Sinnzusammenhang der Vorschrift lassen darüber keinen Zweifel.

Der Klägerin kann auch insoweit nicht gefolgt werden, als sie annimmt, daß Monate, die nicht voll, sondern nur für einige Tage oder Wochen mit Krankengeld belegt sind, als volle Kalendermonate iS von § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG anzusehen seien. Es ist der Klägerin allerdings zuzugeben, daß die Wartezeit für den Bezug von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung (zB § 23 Abs 3 AVG) ebenfalls von einer bestimmten Zahl von versicherten Kalendermonaten abhängig ist und daß hierbei auch solche Monate zählen, in denen nur teilweise Versicherungspflicht bestand. Dies ergibt sich aber nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern aus einer ausdrücklichen Bestimmung in § 27 Abs 2 AVG. Eine vergleichbare Bestimmung für § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG enthält das Gesetz indes nicht. Dementsprechend ist dem Wortlaut folgend davon auszugehen, daß nur volle Kalendermonate zu berücksichtigen sind. Daß auf diese Weise der Eintritt der Versicherungspflicht daran scheitern kann, daß der Arbeitsunfähige die Erfüllung der 12-monatigen "Wartezeit" um wenige Tage, uU sogar um lediglich einen einzigen Tag verfehlt, mag zwar von ihm als hart empfunden werden. Diese Härte muß jedoch im Einzelfall hingenommen werden, weil sie die notwendige Folge jeder rein zeitlichen Abgrenzung ist. Die vom Senat in der früheren Entscheidung vom 29. Januar 1981 angestellte Erwägung, eine nur geringfügige Unterbrechung der Krankengeldzahlung sei nicht zu berücksichtigen, wenn und weil die Schwere des Nachteils, den der Betroffene erleiden würde, in keinem angemessenen Verhältnis zur Geringfügigkeit der Unterbrechungszeit stände, kann auf Fälle der vorliegenden Art, in denen es sich um die Zurücklegung der "Wartezeit" von 12 Kalendermonaten handelt, nicht übertragen werden.

Daraus folgt zugleich, daß hier die Krankengeldzahlungen während der ersten und der zweiten Blockfrist nicht zusammengerechnet werden können, da die zwischen ihnen liegende Unterbrechung von mehr als 18 Monaten nicht mehr als "geringfügig" im Sinne der früheren Entscheidung des Senats angesehen werden kann, wie keiner näheren Begründung bedarf. Das Gesetz bietet darüber hinaus keine Möglichkeit, auch Unterbrechungen wegen Erschöpfung des Anspruchs unberücksichtigt zu lassen, selbst wenn die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit belegt ist.

Die Forderung eines "ununterbrochenen" Bezuges von Krankengeld führt allerdings dazu, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, daß dann, wenn während der ersten Blockfrist die erforderlichen vollen 12 Kalendermonate nicht erreicht werden, trotz fortdauernder Arbeitsunfähigkeit eine Verpflichtung des Krankenversicherungsträgers, Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten, erst mehrere Jahre nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit einsetzt. Diese Benachteiligung derjenigen Versicherten, die die "Wartezeit" von 12 Monaten nicht in einer Blockfrist erreichen, besteht indessen im wesentlichen nur gegenüber denjenigen, die schon vor dem Ende der ersten Blockfrist 12 Monate ununterbrochen Krankengeld bezogen hatten und deshalb fortlaufend - längstens für weitere 24 Kalendermonate der Arbeitsunfähigkeit - Anspruch auf eine Beitragsentrichtung durch den Krankenversicherungsträger haben. Eine unterschiedliche Behandlung beider Gruppen rechtfertigt sich aber aus dem Bedürfnis nach klaren Abgrenzungen und nach Vereinfachung der Überwachung und ist deshalb auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658160

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge