Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumung materiell-rechtlicher Ausschlußfrist. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Orientierungssatz

1. Keine Wiedereinsetzung bei Versäumung der Ausschlußfrist beim Wintergeldantrag.

2. Die Verletzung einer Betreuungspflicht löst nicht schon den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch aus; erforderlich ist vielmehr, daß die Verletzung der Betreuungspflicht für den eingetretenen Schaden (hier die Fristversäumnis) ursächlich gewesen ist.

 

Normenkette

AFG § 81 Abs 3 Fassung: 1972-05-19; SGB 10 § 27 Abs 5 Fassung: 1980-08-18

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 19.04.1979; Aktenzeichen V ARBf 2/78)

SG Hamburg (Entscheidung vom 29.11.1977; Aktenzeichen 7 AR 250/74)

 

Tatbestand

Der Kläger, der ein Bauunternehmen betreibt, bei dem eine Betriebsvertretung nicht besteht, begehrt für die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer für die Zeit vom 1. Januar bis 15. März 1974 Wintergeld. Die Beklagte lehnte die Gewährung ab, da der Antrag erst am 19. Juni 1974 und damit nicht innerhalb der bis zum 15. Juni 1974 laufenden Ausschlußfrist des § 81 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) eingereicht sei. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Bescheid vom 2. Juli 1974, Widerspruchsbescheid vom 13. September 1974, Urteil des Sozialgerichts -SG- Hamburg vom 29. November 1977).

Auf die vom SG zugelassene Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg durch Urteil vom 19. April 1979 das Urteil des SG, Bescheid und Widerspruchsbescheid aufgehoben und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, das Wintergeld zu gewähren. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, zwar habe der Kläger die Antragsfrist des § 81 Abs 3 AFG, die sich 1974 gemäß § 193 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bis zum 18. Juni 1974 verlängert habe, versäumt, doch sei dem Kläger gegen die Fristversäumung Wiedereinsetzung zu gewähren. Der Eingang des Antrags bei der Beklagten lasse sich erst für den 19. Juni 1974 feststellen. Es habe nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können, daß der Einschreibebrief schon am 18. Juni 1974 in das Postfach der Beklagten gelangt sei; es sei nicht einmal sicher, daß der Auslieferungsschein für den Einschreibebrief an diesem Tage in das Postfach gelegt worden sei. Doch sei an der Rechtsprechung, die zu § 81 Abs 3 AFG und vergleichbaren Vorschriften für das Schlechtwettergeld die Möglichkeit der Wiedereinsetzung verneint habe, nicht festzuhalten.

Die von der Beklagten nicht gewährte Wiedereinsetzung sei vom Gericht nachzuholen. Den Kläger treffe an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden. Er habe die Anträge am 15. Juni 1974 per Einschreiben zur Post gegeben: damit habe er alles getan, um die Frist zu wahren. Der Kläger, dem die Beklagte am 14. Juni 1974 telefonisch die Auskunft erteilt habe, daß ein Eingang der Anträge am 18. Juni 1974 ausreiche, habe sich darauf verlassen können, daß die Sendung spätestens an diesem Tage und damit rechtzeitig bei der Beklagten eingehen würde. Bei normaler Postlaufzeit wäre die Sendung spätestens am 18. Juni 1974 bei der Beklagten eingetroffen. Sei somit die Frist eingehalten, seien die geltend gemachten Ansprüche, wie sich aus den Akten ergebe, gegeben.

Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des § 81 Abs 3 AFG und führt hierzu aus: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei Wiedereinsetzung nur gegen die Versäumung von verfahrensrechtlichen Fristen gegeben, nicht aber gegen die Versäumung von Fristen, welche materielle Anspruchsvoraussetzungen darstellten. Der § 81 Abs 3 AFG enthalte aber eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist. Es treffe nicht zu, daß § 32 Verwaltungsverfahrensgesetz bzw Art I § 27 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) auf materielle Ausschlußfristen Anwendung fänden. Schließlich habe sich durch die Anpassung der Frist des § 81 Abs 3 AFG an die Frist des § 88 Abs 2 AFG der Charakter der materiellen Ausschlußfrist nicht geändert.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung

des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verweist auf das angefochtene Urteil, das dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung entspreche. Die Unterscheidung zwischen formellen und materiell-rechtlichen Ausschlußfristen sei dogmatisch richtig, hinsichtlich der Wiedereinsetzung jedoch gegenstandslos. Auch das Bundesarbeitsgericht habe bei materiell-rechtlichen Ausschlußfristen die Wiedereinsetzung grundsätzlich zugelassen (AP § 496 ZPO Nr 4). Ausdrücklich habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß Verzögerungen auf dem Postwege nicht zu Lasten des Absenders gingen. Jedenfalls innerhalb von sechs Monaten nach Fristablauf gehe der Beklagten auch durch die Fristversäumnis kein Beweismittel verloren; es spiele somit keine Rolle, wenn ein Antrag ein oder zwei Tage später eingehe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die vom Kläger geltend gemachten Wintergeldansprüche seiner Arbeitnehmer für die Zeit vom 1. Januar bis 15. März 1974 sind unbegründet. Es fehlt an einem rechtzeitig gestellten Antrag.

Nach § 81 Abs 3 AFG in der 1974 anzuwendenden Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AFG vom 19. Mai 1972 (BGBl I 791) wird das mit diesem Gesetz, der sogenannten Winterbaunovelle, eingeführte Wintergeld auf Antrag gewährt. Der Antrag ist vom Arbeitgeber (oder der Betriebsvertretung) bis zum Ablauf einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach dem Ende der Förderungszeit zu stellen. Förderungszeit ist gemäß § 75 Abs 2 Nr 1 AFG die Zeit vom 16. Dezember bis 15. März. Der Wintergeldantrag war daher grundsätzlich bis zum 15. Juni eines jeden Jahres zu stellen; dies ergibt die hier in Ermangelung besonderer Vorschriften zulässige entsprechende Anwendung der Fristbestimmungen der §§ 186 ff BGB.

Da der 15. Juni 1974 auf einen Sonnabend fiel, trat gemäß § 193 BGB an die Stelle dieses Tages der nächste Werktag, dh der 18. Juni 1974. Bis zum Ablauf dieses Tages ist die Postsendung mit dem Antrag des Klägers nach den Feststellungen des LSG, an die der Senat in Ermangelung tatsächlicher Rügen des Klägers gebunden ist (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), nicht in die Verfügungsgewalt der Beklagten gelangt. Der erst später eingegangene Antrag war somit verspätet.

Zu Unrecht hat das LSG dem Kläger gegen die Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Das AFG sieht die Möglichkeit, gegen die Versäumung der Ausschlußfrist des § 81 Abs 3 AFG Wiedereinsetzung zu gewähren, nicht vor. Die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden Vorschriften in anderen Gesetzen lassen sich auf die Frist des § 81 Abs 3 AFG nicht entsprechend anwenden.

Wie der Senat schon entschieden hat, kann bei der Versäumung verfahrensrechtlicher Fristen im Verwaltungsverfahren eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen auch dann in Betracht kommen, wenn die Wiedereinsetzung nicht ausdrücklich vorgesehen ist (vgl BSGE 43, 19, 24 = SozR 4495 § 11 Nr 1 mwN). Die rechtzeitige Stellung des Antrags nach § 81 Abs 3 AFG ist jedoch keine verfahrensrechtliche, sondern eine materiell-rechtliche Voraussetzung des Wintergeldanspruchs (BSG SozR 4100 § 81 Nr 3; Urteil vom 23. Juni 1976 - 12/7 RAr 35/74 - AuB 1977, 26; Urteil vom 21. Juni 1977 - 7 RAr 129/75 -). Hieran ist festzuhalten. Gegen die Versäumung materiell-rechtlicher Fristen läßt die Rechtsprechung eine entsprechende Anwendung von Wiedereinsetzungsvorschriften grundsätzlich nicht zu (vgl BSGE 22, 257, 258 = SozR § 143 l AVAVG Nr 2; SozR aaO Nr 3; Urteil vom 23. Juni 1976 - 12/7 RAr 35/74 - AuB 1977, 26; Urteil vom 22. November 1979 - 8bRKg 3/79 -; BVerwGE 13, 209, 211 f; 21, 258, 261 f). Das vom Kläger zitierte Urteil des Bundesarbeitsgerichts -BAG- (BAG AP ZPO § 496 Nr 4) steht hierzu in keinem Widerspruch. Das BAG hat in jenem Falle gegen die Versäumung einer materiell-rechtlichen, in einem Manteltarifvertrag vorgesehenen Ausschlußfrist nicht die Wiedereinsetzung zugelassen, vielmehr lediglich in Fällen höherer Gewalt eine entsprechende Anwendung des § 203 Abs 2 BGB für erforderlich gehalten. Diese Frage stellt sich hier nicht; im übrigen entspricht die Entscheidung des BAG der - auch vom Senat geteilten - allgemeinen Ansicht, daß die Wirkung einer Ausschlußfrist dort nicht Platzgreift, wo im Einzelfalle Grundsätze von Treu und Glauben der Ausschlußwirkung entgegenstehen. Ob Art I § 27 SGB 10 vom 18. August 1980 (BGBl I 1469), der am 1. Januar 1981 in Kraft tritt, Veranlassung gibt, bei der Versäumung materiell-rechtlicher Fristen im Sozialrecht künftig deren Ausschlußwirkung geringere Folgen beizumessen und im Einzelfalle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Raum zu geben (vgl Kopp BayVBl 1977, 33 ff; allgemein Frank DAng Vers 1977, 45; kritisch zur Rechtsprechung Redeker SGb 1979, 482), bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls kommt nach wie vor bei der Versäumung solcher Fristen eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht, bei denen diese Möglichkeit ausgeschlossen werden sollte. So bestimmt der künftige Art I § 27 Abs 5 SGB 10 (in Übereinstimmung mit § 32 Abs 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 25. Mai 1976, BGBl I 1253), daß die Wiedereinsetzung unzulässig ist, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, daß sie ausgeschlossen ist. Dies ist jedoch entgegen der Ansicht des LSG bei § 81 Abs 3 AFG der Fall.

Der § 81 Abs 3 AFG fordert als Voraussetzung des Anspruchs auf Wintergeld nicht nur einen Antrag, er verlangt auch, daß der Antrag innerhalb einer Frist, die das Gesetz als Ausschlußfrist bezeichnet, gestellt wird. Zwar mag allein aus der Verwendung des Wortes Ausschlußfrist nicht immer ohne weiteres etwas über den rechtlichen Wert der Frist gesagt sein (vgl BSGE 43, 19, 23 = SozR 4495 § 11 Nr 1); es ergibt sich jedoch aus der Entstehungsgeschichte des § 81 Abs 3 AFG, daß der Gesetzgeber durch die Verwendung des gesetzestechnischen Ausdrucks "Ausschlußfrist" klarstellen wollte, daß die Versäumung dieser Frist regelmäßig und ohne die Möglichkeit der Wiedereinsetzung den Anspruchsausschluß zur Folge haben soll.

Die Vorschrift des § 81 Abs 3 AFG geht letztlich auf § 143 l Abs 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) idF des 3. Änderungsgesetzes zum AVAVG vom 28. Oktober 1960 (BGBl I 833) zurück. Nach § 143 l Abs 2 AVAVG war der Schlechtwettergeldantrag vom Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten nach dem Ende der Schlechtwetterzeit beim zuständigen Arbeitsamt einzureichen. Zu dieser Vorschrift hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Zweimonatsfrist eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist sei, gegen deren Versäumung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne; die Fristversäumnis sei von Amts wegen zu beachten, sofern der Ausschluß im Einzelfalle nicht nach den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben mißbräuchlich sei (vgl BSGE 22, 257, 258f = SozR § 143 l AVAVG Nr 2; SozR aaO Nr 3; Urteil vom 28. November 1967 - 7 RAr 30/65 - Dienstbl BAVAV Ausgabe C AVAVG § 143 l Nr 1336; Urteil vom 26. Februar 1969 - 7 RAr 23/67 - Dienstbl aaO AVAVG § 143 d Nr 1447 a). Die gleiche Ansicht hat das Schrifttum vertreten (vgl Draeger/Buchwitz/Schoenefelder, AVAVG, 1961, § 143 l RdNr 17; Krebs, AVAVG, § 143 l RdNr 14).

Diese Regelung übernahm das AFG in seiner ursprünglichen Fassung im wesentlichen unverändert in § 79 Abs 2. Allerdings war der Schlechtwettergeldantrag beim zuständigen Arbeitsamt nunmehr nicht mehr "einzureichen", sondern "zu stellen". Sofern man dieser Änderung überhaupt mehr als philologische Bedeutung beimessen will, kann ihr jedenfalls nicht entnommen werden, daß die bisherige Ausschlußwirkung eingeschränkt werden sollte. Entsprechend führte die Bundesregierung zur Begründung des § 79 Abs 2 AFG aus, daß diese Vorschrift § 143 l Abs 2 AVAVG entspreche (BT-Drucks V/2291 S 75 zu § 73). Die Rechtsprechung ist dem gefolgt (BSG SozR 4100 § 72 Nr 2).

Die Winterbaunovelle verlängerte die Ausschlußfrist auf drei Monate nach dem Ende der Schlechtwetterzeit und strich das Wort "spätestens", bei dem es sich um eine ohnehin überflüssige Erläuterung zum Begriff der Ausschlußfrist gehandelt hatte (BSG SozR 4100 § 72 Nr 2). Somit war auch mit § 88 Abs 2 AFG idF der Winterbaunovelle eine Änderung der Rechtsfolgen der Fristversäumnis nicht eingetreten. Entsprechend versteht die Rechtsprechung des BSG auch § 88 Abs 2 AFG wie § 143 l Abs 2 AVAVG als materiell-rechtliche Ausschlußfrist, nach deren Ablauf der Berechtigte von der Geltendmachung des Anspruchs ausgeschlossen ist, wenn die Grundsätze von Treu und Glauben nicht entgegenstehen (vgl das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 22. November 1979 - 8b RKg 3/79 -).

Dieser Regelung für das Schlechtwettergeld ist § 81 Abs 3 AFG nachgebildet worden. Der Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, auf dessen Empfehlung das Wintergeld mit der Winterbaunovelle eingeführt worden ist, hat zur Begründung des § 81 Abs 2a seines Gesetzentwurfes (= § 81 Abs 3 AFG) ausdrücklich bemerkt, das Antragsverfahren sei beim Wintergeld genauso geregelt worden wie beim Schlechtwettergeld (BT-Drucks VI/3161 S 5). Hieraus ergibt sich, daß bei der Versäumung der Ausschlußfrist des § 81 Abs 3 AFG die gleichen Folgen wie herkömmlich bei der Versäumung der Ausschlußfrist beim Schlechtwettergeld eintreten sollten, mithin ua die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen bleiben sollte. Angesichts dieser Entstehungsgeschichte kann der Umstand, daß etwa die Zwecke, die der Gesetzgeber mit der Frist verfolgte, die getroffene Regelung nicht unbedingt erfordern, nicht zur Zulassung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führen; denn grundsätzlich ist der Gesetzgeber frei, die Rechtsfolgen einer Fristversäumnis zu bestimmen. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, zumindest bei Ansprüchen gegen die öffentliche Hand gegen die unverschuldete Versäumnis materiell-rechtlicher Ausschlußfristen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu eröffnen, kann dem Grundgesetz (GG), insbesondere Art 19 Abs 4 oder Art 103 Abs 1, nicht entnommen werden. Die Rechtsweggarantie des Art 19 Abs 4 GG hat zum Inhalt, daß ein möglichst umfassender Gerichtsschutz zur Verfügung steht. Art 19 Abs 4 GG gewährt jedoch nicht selbst Rechte, sondern setzt eine im Interesse des Einzelnen gewährte Rechtsposition voraus (BVerfGE 15, 275, 281; 27, 297, 305). Der Gerichtsschutz, dh die gerichtliche Überprüfbarkeit der Entscheidung, daß Wintergeld nicht zusteht, ist auch nach Ablauf der Ausschlußfrist gegeben. Daher liegt auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) nicht vor. Es trifft zwar zu, daß das Bundesverfassungsgericht wiederholt entschieden hat, daß dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung und Briefzustellung durch die Deutsche Bundespost nicht als Verschulden im Sinne der Wiedereinsetzungsvorschriften angerechnet werden dürfen. Diese zu Art 19 Abs 4 GG, Art 103 Abs 1 GG ergangene Rechtsprechung bezieht sich jedoch ausschließlich auf den ersten Zugang zum Gericht und den Zugang zu einer weiteren, von der Prozeßordnung vorgesehenen Instanz (vgl BVerfGE 51, 352, 354 mwN), nicht jedoch auf materiell-rechtliche Ausschlußfristen. Der Senat schließt sich daher der Rechtsprechung des BSG an, daß auch gegen die Versäumung der Ausschlußfrist des § 81 Abs 3 AFG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann (SozR 4100 § 81 Nr 3; Urteil vom 23. Juni 1976 - 12/7 RAr 35/74 - AuB 1977, 26). Er setzt sich damit nicht in Widerspruch zu seinem unveröffentlichten Urteil vom 21. Juni 1977 - 7 RAr 129/75 -; dort war diese Frage offengelassen worden, weil die damalige Klägerin die Frist offensichtlich nicht ohne ihr Verschulden versäumt hatte.

Kann dem Kläger somit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, bleibt die Ausschlußfrist versäumt. Dies ist von Amts wegen zu beachten. Grundsätze von Treu und Glauben stehen der Ausschlußwirkung im Falle des Klägers nicht entgegen. Daß die Voraussetzungen des Wintergeldes im übrigen gegeben sind, hindert den Ausschluß nicht, da der Sinn der Ausschlußfrist des § 81 Abs 3 AFG nicht allein darin liegt, die Beklagte davor zu schützen, daß gegen sie Ansprüche erhoben werden, deren Berechtigung sie nur noch schwer nachprüfen kann. Die Frist soll vielmehr auch sicherstellen, daß die Beklagte zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Überblick über den Umfang der zu gewährenden Leistungen erhält, was die Einhaltung der Ausschlußfrist erfordert (Urteil vom 23. Juni 1976 - 12/7 RAr 35/74 - AuB 1977, 26; Urteil vom 21. Juni 1977 - 7 RAr 129/75 -). Ebenfalls kann der Kläger bei dem - von ihm verauslagten - Wintergeld für zweieinhalb Monate nicht geltend machen, auf seiner Seite stünden ganz erhebliche, langfristig wirksame Interessen auf dem Spiel, während die Fristversäumnis um einen Tag für die Beklagte von geringer Bedeutung sei (vgl BSG aaO). Die Beklagte ist schließlich auch nicht aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches verpflichtet, den Kläger so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn er die Frist eingehalten hätte. Das LSG hat zwar nicht geprüft, ob die Beklagte etwa eine dem Kläger gegenüber obliegende Betreuungspflicht verletzt hat. Doch löst nicht schon die Verletzung einer Betreuungspflicht den Herstellungsanspruch aus; erforderlich ist vielmehr, daß die Verletzung der Betreuungspflicht für den eingetretenen Schaden, also hier die Fristversäumnis, ursächlich gewesen ist. Aus den Feststellungen des LSG ergibt sich aber, daß der Kläger aufgrund einer ihm am 14. Juni 1974 von Bediensteten der Beklagten erteilten telefonischen Auskunft Kenntnis davon hatte, daß die Ausschlußfrist am 18. Juni 1974 ablief. Die Versäumung der Frist kann daher nicht mehr darauf zurückgeführt werden, daß die Beklagte etwa vorher ihrer Betreuungspflicht nicht genügt hätte.

Liegen somit die Voraussetzungen nicht vor, unter denen die Beklagte Wintergeld zu gewähren hat, hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen. Auf die Revision der Beklagten ist daher das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655841

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