Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgungsanspruch. Ansteckung der Ehefrau an Lungentuberkulose. Abgrenzung der Anspruchsgrundlagen von Teilbereichen des sozialen Entschädigungsrechts. Verfassungsmäßigkeit des Versorgungsausschlusses bei mittelbarer Schädigung

 

Leitsatz (amtlich)

Verursachen Schädigungsfolgen Gesundheitsstörungen eines anderen (mittelbar Geschädigter), begründet dies keinen Versorgungsanspruch nach dem BVG (Abgrenzung zu Fällen eines Schockschadens BSG 1982-03-17 9a/9 RV 41/80 = SozR 3100 § 5 Nr 6, BSG 1979-11-07 9 RVg 1/78 = BSGE 49, 98; Bestätigung von BSG 1960-01-15 11/10 RV 51/57 = BSGE 11, 234, BSG 1975-01-28 10 RV 159/74 = SozR 3100 § 1 Nr 5).

 

Orientierungssatz

1. Die Ansteckung einer Ehefrau bei ihrem Ehemann, bei dem Lungentuberkulose als Schädigungsfolge anerkannt ist, begründet einen Versorgungsanspruch weder nach § 1 Abs 1 noch nach § 5 Abs 1 Buchst e BVG.

2. Aus § 5 SGB 1, der klarstellt, daß die verschiedenen Entschädigungsregelungen nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern Teile eines umfassenden sozialen Entschädigungsrechts bilden sollen, kann nicht die Forderung nach einer strikt-einheitlichen Linie der Leistungsgrundlagen hergeleitet werden. Es ist vielmehr Rücksicht zu nehmen auf die unterschiedlichen, jeweils berücksichtigten Schädigungsmodalitäten.

3. Zur Abgrenzung der Anspruchsgrundlagen nach § 1 BVG, § 1 Abs 1 OEG, §§ 51, 52 BSeuchG und § 1 Abs 3 Nr 4 BEG.

4. Der Ausschluß der mittelbar geschädigten Ehefrau vom Versorgungsanspruch verstößt auch nicht gegen Art 3 Abs 1 und Art 6 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs 1; BVG § 1 Abs 3 S 1; OEG § 1; BVG § 5 Abs 1 Buchst e; SGB 1 § 5; OEG § 1 Abs 1; BSeuchG §§ 51-52; BEG § 1 Abs 3 Nr 4; GG Art 3 Abs 1; GG Art 6 Abs 1; GG Art 20 Abs 1; BGB § 1353 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 20.11.1981; Aktenzeichen L 9 V 380/81)

SG Osnabrück (Entscheidung vom 27.05.1981; Aktenzeichen S 7 V 13/81)

 

Tatbestand

Die Klägerin beansprucht Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Sie leidet unter den Folgen einer Lungentuberkulose.

Sie hatte sich im Dezember 1951 bei ihrem Ehemann angesteckt. Die Tuberkulose des Ehemannes war als Schädigungsfolge iS des § 1 BVG anerkannt. Er ist 1979 gestorben.

Die Versorgungsverwaltung lehnte den Antrag der Klägerin ab. Die hiergegen gerichtete Klage und die Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat dazu ausgeführt: Die Klägerin gehöre nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis. Sie sei nur mittelbar geschädigt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), das insoweit in der Tradition des Reichsversorgungsgerichts judiziere, habe einen Versorgungsanspruch nur, wer selbst in seiner Person durch eine gesundheitliche Schädigung direkt betroffen sei. Eine erweiternde Gesetzesauslegung, vornehmlich des § 1 BVG, würde im Widerspruch zu dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers stehen. Die Verfassung gebiete überdies kein abweichendes Ergebnis. Namentlich scheide eine besondere Rücksicht auf die Ehefrau eines Beschädigten aus. Auf Art 6 Abs 1 Grundgesetz (GG), wonach Ehe und Familie dem Schutz des Staates besonders anvertraut seien, lasse sich der Anspruch der Klägerin nicht stützen. Denn die Klägerin werde nicht gegenüber einer Ledigen benachteiligt. Nur darauf beziehe sich aber Art 6 Abs 1 GG. Etwas anderes sei schließlich nicht aus der Entscheidung des BSG zu § 1 des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in bezug auf den Schockschaden einer Mutter (BSGE 49, 98 ff) herzuleiten. Dort sei die Frage eines mittelbar Geschädigtseins nicht beantwortet worden.

Die Klägerin vertritt mit ihrer - vom Senat zugelassenen - Revision die Ansicht, die angefochtenen Urteile verstießen in ihrer Auslegung des § 1 BVG gegen die Art 3 Abs 1, Art 6 Abs 1 und Art 20 Abs 1 GG. Ebenso wie der Nochnichtgeborene verdienten Ehegatten und Kinder bei einer interfamiliären Ansteckungsgefahr aus verfassungsrechtlichen Gründen den Versorgungsschutz. Eine ausufernde Überdehnung der Entschädigungspflicht des Staates sei deshalb nicht zu befürchten. Es dürfe andererseits nicht übersehen werden, daß Ehefrauen und die im Haushalt eines Geschädigten lebenden Kinder gesundheitsstatistisch um ein Vielfaches mehr als andere der Infektionsgefahr ausgesetzt seien. Hinzu komme, daß der Ehegatte nicht nur zur ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern auch zum persönlichen Beistand seines kranken Partners verpflichtet sei. Überdies könne der Kreis der nach § 1 OEG begünstigten Anspruchsberechtigten nicht weiter sein als im Versorgungsrecht. Das OEG erfasse aber auch sog Drittgeschädigte.

Die Klägerin beantragt, die vorinstanzlichen Urteile sowie den Bescheid des Versorgungsamtes aufzuheben und festzustellen, daß ihre Lungentuberkulose Schädigungsfolge iS des BVG ist; darüberhinaus den Beklagten zu verurteilen, ihr ab 1. Juli 1980 Beschädigtenrente zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, Die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Versorgung nach dem BVG zu.

Versorgungsrechtlich geschützt sind im wesentlichen zwei Personengruppen von Geschädigten: einmal diejenigen, die in einem militärischen oder militärähnlichen Gewaltverhältnis zum Staat standen, zum anderen die Zivilpersonen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege zu Schaden kamen. Berechtigter und damit "wer" im Sinne des § 1 BVG ist derjenige, dessen Schädigung auf einem der entschädigungsbegründenden Tatbestände des § 1 BVG beruht. Es muß eine "Opfer- und Gefahrenlage" bestanden haben, die einen Anspruch nach dem "Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges", wie der volle Titel des BVG lautet, zu begründen vermag (BSGE 39, 6, 8 = SozR 3100 § 1 Nr 5). Kriegerische Vorgänge stellen das schädigende Ereignis dar, das als Entschädigungsmotiv der Kriegsopferversorgung zugrunde liegt.

Die Klägerin ist bei ihrer Erkrankung an Lungentuberkulose nicht durch direkte Einflüsse des Krieges geschädigt worden. Ein Anspruch aus § 1 Abs 2 Buchst a BVG iVm dem hier nur in Betracht zu ziehenden § 5 Abs 1 Buchst e BVG ist nicht gegeben.

Die Klägerin hat sich im Dezember 1951 bei ihrem Ehemann angesteckt. Dieser hatte sich die Tuberkulose im Rahmen der Kriegsereignisse zugezogen. Diese, durch die Person des Kriegsgeschädigten Ehemannes vermittelte Ansteckung führt nicht dazu, daß auch die Ehefrau selbst infolge kriegerischer Vorgänge geschädigt ist. Mit anderen Worten: der Krieg wirkt als entschädigungsauslösender Grund nicht in der Krankheit des erstgeschädigten Ehemannes bis zur Erkrankung der Ehefrau fort. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs 2 Buchst a BVG iVm § 5 Abs 1 Buchst e BVG sind solche Fernwirkungen des Krieges nicht umfaßt. Diese Vorschriften setzen eine unmittelbare Nähe des Geschädigten zu kriegerischen Vorgängen voraus (BSG Urteil vom 17. März 1982 - 9a/9 RV 41/80 -). Eine solche Nähe ist allein durch das Zusammenleben mit einem kriegsbedingt Tuberkulosekranken nicht hergestellt. Im übrigen kann eine derartige Infektionskrankheit keinen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich iS des § 5 Abs 1 Buchst e BVG darstellen. Daran ändert auch die um ein mehrfaches erhöhte Ansteckungsgefahr in der Familie nichts, da dieses Infektionsrisiko auf dem engen Zusammenleben beruht, insoweit unabhängig von kriegerischen Ereignissen besteht. Einem der in den §§ 1 bis 5 BVG umschriebenen Gefährdungstatbestände war die Klägerin zur Zeit der Ansteckung nicht ausgesetzt.

Insoweit unterscheidet sich diese Konstellation auch von dem in der Rechtsprechung mehrfach behandelten Problemkreis der "Schockschäden" (BSGE 49, 98 = SozR 3800 § 1 Nr 1; Urteil vom 17. März 1982 - 9a/9 RV 41/80 -). Zwar haben sich in den genannten Fällen die Gewalttaten nicht eigentlich gegen die Geschädigten gerichtet, diese waren aber von dem Gewaltgeschehen selbst tangiert. Der Schockeffekt trat direkt in der Psyche des anderen ein. Die Krankheit der Klägerin ist dagegen auf die Infektion ihres Ehemannes zurückzuführen.

Gehört die Klägerin mithin nicht zum Kreis der durch kriegerische Vorgänge Geschädigten, so stellt sich die Frage, ob eine Versorgung nach § 1 BVG gleichwohl beansprucht werden kann, wenn die Schädigung über einen kriegsbedingten Erstschaden vermittelt wird.

Nach dem Wortlaut des § 1 BVG muß sich die Gesundheitsschädigung bei einem Personenkreis verwirklicht haben, der sich in einer militär- oder kriegsbedingten Risikolage befunden hat. Entschädigungsbegründender Tatbestand ist die Befindlichkeit in einer der in den §§ 1 ff BVG umschriebenen besonderen Situationen. Die allgemein durch den Krieg für alle entstandene Gefahr gehört nicht dazu. Dies wird insbesondere deutlich in dem Tatbestandsmerkmal der "unmittelbaren Kriegseinwirkung" in § 1 Abs 2 Buchst a BVG. Damit legt bereits das Wortverständnis des § 1 BVG die Annahme nahe, daß nur derjenige, der selbst, in seiner Person einem entsprechenden Geschehen ausgesetzt war, Versorgung verlangen kann.

Die geschichtliche Entwicklung des Versorgungsrechts bestätigt diese Auslegung. Die dem BVG vorangegangenen Regelungen haben nur die Personen einbezogen, die sich selbst in der Wehrmacht oder in einem militärähnlichen Dienst befunden haben bzw durch unmittelbare Kriegseinwirkung geschädigt worden sind (vgl dazu ausführlich BSGE 11, S 234 f). Der Gesetzgeber hat in Kenntnis und durch Bezugnahme auf diese Vorstellungen § 1 BVG formuliert (BT-Drucks Nr 1333, 1. Wahlperiode, S 46). Hätte er eine grundlegende Änderung des versorgungsrechtlich geschützten Personenkreises beabsichtigt, wie es die Einbeziehung auch der nur indirekt Betroffenen darstellt, so hätte eine deutliche Anordnung dafür im Gesetz erwartet werden dürfen.

In diese Richtung weisen ferner Sinn und Zweck des § 1 BVG. Sein Regelungsgehalt ist vom Rechtsgrund der Kriegsopferversorgung her zu erschließen. Das Kriegsopferrecht ist Teil eines Entschädigungssystems zum Ausgleich von Schäden, für deren Entstehen die Allgemeinheit eine besondere Verantwortung trägt. Es handelt sich um gesetzlich normierte Aufopferungsansprüche. Sie dienen dem Ausgleich für das dem Staat an Gesundheit und Leben erbrachte besondere Opfer (BVerfGE 48, 281, 288 f mwN). Danach ist ausgleichspflichtig nicht jede Schädigung an Gesundheit oder Leben, die ihre Letztursache in den kriegerischen Ereignissen hatte. Zu versorgen sind nur "Opfer des Krieges" (vgl die ungekürzte Gesetzesüberschrift). Der schädigende Vorgang muß daher zu einem kriegerischen Ereignis in spezifischer Beziehung stehen. Der Betroffene muß sich selbst in einer vom Gesetz näher dargestellten Risikosituation befunden haben, für die der Staat die Verantwortung zu tragen hat. Entschädigungscausa und Schädigung bedingen einander.

Versorgungsberechtigt - also "wer" iS des § 1 BVG - ist danach nur derjenige, der die Schädigung in einer der in den §§ 1 ff BVG gekennzeichneten besonderen wehrdienst- oder kriegsbedingten Gegebenheiten selbst erlitten hat. Mit dieser Auslegung wird der Absicht des Gesetzes Rechnung getragen, das den versorgungsberechtigten Personenkreis überschaubar eingegrenzt wissen will (vgl BSGE 11, 234, 236).

Der Blick auf den Kreis von Anspruchsberechtigten anderer sozialer Entschädigungstatbestände verlangt kein abweichendes Resultat. Zwar stellt § 5 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) klar, daß die verschiedenen Entschädigungsregelungen nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern Teile eines umfassenden sozialen Entschädigungsrechtes bilden sollen. Dennoch ist bei der Frage nach den versorgungsrechtlich geschützten Personen der Zweck und die Tatbestandsformulierung jedes einzelnen Komplexes zu beachten. Auch soweit andere Gesetze wie § 80 Soldatenversorgungsgesetz, § 59 Abs 1 Bundesgrenzschutzgesetz, § 47 Zivildienstgesetz, § 51 Bundesseuchengesetz (BSeuchG), §§ 4 und 5 Häftlingshilfegesetz und § 1 Abs 1 OEG, die entsprechende Anwendung der Leistungsvorschriften des BVG vorsehen, muß sich die Anspruchsberechtigung nach dem jeweiligen Entschädigungsgrund richten. Ist auch der gesamte hier genannte Bereich durch § 5 SGB 1 überwölbt von den Prinzipien der "sozialen Entschädigung", so kann daraus doch nicht die Forderung nach einer strikt-einheitlichen Linie der Leistungsgrundlagen hergeleitet werden. Es ist vielmehr Rücksicht zu nehmen auf die unterschiedlichen, jeweils berücksichtigten Schädigungsmodalitäten.

Nach dem OEG wird die Entschädigungspflicht der öffentlichen Hand damit gerechtfertigt, daß der Staat keinen wirksamen Schutz vor krimineller Handlung gegen Leib oder Leben hatte geben können. Im Vergleich dazu müßte im Kriegsopferrecht wegen des vom Staat abverlangten Sonderopfers auch die staatliche Verantwortung stärker sein (vgl BSGE 49, 98, 101). Überdies bleibt fraglich, ob nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte in § 1 OEG der Kreis der geschützten Personen weniger eng als im BVG gezogen werden kann. Darüber braucht hier letztlich jedoch, ebenso wie in dem Urteil BSGE 49, 101, nicht entschieden zu werden.

Ähnliche Erwägungen sind für das Impfschadensrecht anzustellen. Ausgleichstatbestand ist die Schädigung, die eingetreten ist infolge einer individuellen Impfung. Impfungen werden sowohl im Interesse des einzelnen als auch der Allgemeinheit durchgeführt. Sie wollen das Auftreten einer Epidemie verhindern. Der Staat hat über die Entschädigungspflicht bei Impfschäden die Verantwortung für die in der Schutzimpfung auch liegende Gefährdung übernommen. Den Besonderheiten der Impfschäden, die durch die Schutzimpfung mit Lebendimpfstoffen eintreten können, hat der Gesetzgeber in § 52 BSeuchG Rechnung getragen. Bei der Impfung mit lebenden Erregern kann sich der Gefährdungstatbestand des § 51 BSeuchG gerade auch bei anderen Personen als dem Impfling verwirklichen.

Die Vorschrift des § 1 Abs 3 Nr 4 Bundesentschädigungsgesetz (BEG), nach der von der Verfolgung mitbetroffene nahe Angehörige entschädigt werden, gebietet keine Auslegung des § 1 BVG dahin, daß unter gewissen Umständen nahe Angehörige des Kriegsopfers selbst als Kriegsopfer zu gelten haben. Das BEG unterfällt zwar nicht dem § 5 SGB 1. Wegen der sachlichen Nähe der Entschädigungstatbestände ist aber eine Parallelbetrachtung angebracht. Nach § 2 Abs 1 BEG wird Entschädigung allerdings nur für solche Maßnahmen gewährt, die sich nach dem Willen des Verfolgers gegen denjenigen richteten, der als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geschädigt wurde. Die Eingriffe waren individuell gezielt gegen eine bestimmte Person gerichtet. § 2 Abs 1 BEG enthält damit ein subjektives Moment im Hinblick auf die Verfolgungsrichtung. Darüber hinaus ging es dem Gesetzgeber darum, die wegen ihrer engen Familienbindung von der Verfolgung regelmäßig besonders hart mitbetroffenen nächsten Angehörigen zu entschädigen (BGH RzW 68, 168). Der Wiedergutmachungsausschuß des Bundestages, auf dessen Vorschlag die Bestimmung zurückgeht (BT-Drucks IV/3423 S 3), hat eine Lücke der Regelung darin gesehen, daß die Familienangehörigen von Verfolgten nur in beschränktem Umfange entschädigungsberechtigt waren. Sie waren es aber dann, wenn wenigstens festgestellt werden konnte, daß die Verfolgung ihres Angehörigen auch gegen sie selbst gerichtet war (§ 1 Abs 2 Nr 3 BEG). Diese Zielrichtung der Gewaltmaßnahme gegen Familienmitglieder, die in ihrer Person dem NS-Staat nicht mißliebig waren, ließ sich jedoch mitunter auch bei schwerstem Mitbetroffensein nicht feststellen. Gleichwohl sollten offensichtlich Menschen, die die Verfolgung ihrer nächsten Angehörigen mitgetragen haben, entschädigt werden (BGH RzW aaO, S 171).

Der Entschädigungstatbestand des § 1 BVG ist dagegen weit formuliert, er enthält keine subjektive Stoßrichtung und kann sie auch nicht enthalten. Über § 1 Abs 2 Buchst a BVG iVm § 5 BVG sind allgemein die vom Krieg Mitbetroffenen in die Kriegsopferversorgung einbezogen worden. Eine Eingrenzung der in § 1 BVG geschützten Personen kann somit zunächst nur im Hinblick auf den Entschädigungsgrund hergestellt werden. Dieser unterscheidet sich von dem Rechtsgrund der Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Die Versorgung nach dem BVG steht dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen zu, weil er im Krieg Gesundheit oder Leben für die Allgemeinheit geopfert hat, die Entschädigung nach dem BEG, weil es Unrecht war, daß der Staat dieses Opfer von ihm verlangte.

Diese zwischen den verschiedenen Entschädigungstatbeständen bestehenden Unterschiede lassen es nicht als sachwidrig erscheinen, wenn der Gesetzgeber nahe Angehörige nicht generell in den in § 1 BVG geschützten Personenkreis einbezogen hat, sondern sich auf eine Hinterbliebenenversorgung beschränkt. Insoweit kann auch diese Auslegung nicht gegen Art 3 Abs 1 GG verstoßen. Solange nicht feststeht, daß eine Bestimmung innerhalb des eigenen Sachbereichs nicht oder nicht mehr sachgerecht ist, kann sie nicht durch Auslegung mit Hilfe des Gleichheitssatzes im Hinblick auf andere Bestimmungen ausweitend interpretiert werden, die anderen Ordnungsbereichen angehören und in anderen systematischen und sozialgeschichtlichen Zusammenhängen stehen (vgl BVerfGE 11, 283, 293).

Zweifel, ob die hier vertretene Lösung angemessen ist, verlieren ihr Gewicht angesichts einer langen Tradition höchstrichterlicher Spruchpraxis. So hatte bereits das Reichsversorgungsgericht (RVG) eine Versorgung der Personen abgelehnt, die sich bei einem kriegsbedingt Erkrankten angesteckt hatten (RVGE 11, 136, 137). An diese Überlieferung hat das BSG angeknüpft (vgl hierzu BSGE 11, 234). Es hat diese Rechtsprechung ständig fortgeführt (BSGE 20, 41, 43 = SozR Nr 68 zu § 1 BVG; BSG SozR 3100 § 1 Nr 5; vgl auch BVerfGE 17, 38, 46). Auch im Urteil vom 7. November 1979 (BSGE 49, 98, 103) hat der Senat daran festgehalten. Daraus hat sich eine faktische, wenn auch nicht rechtsnormativ geltende Ordnung ergeben (BSGE 41, 70, 77 mwN). Der Gesetzgeber ist diesem Gerichtsgebrauch nicht entgegengetreten; er hat ihn gebilligt oder zumindest hingenommen (hierzu BVerfGE 21, 1, 4; BVerwGE 25, 280, 283). Angesichts sonst durchgreifender Reformen im Kriegsopferrecht hätte es nahegelegen, daß der Gesetzgeber diese Auslegung des § 1 BVG durch eine Gesetzesänderung korrigiert. Von Präjudizien, zumal in einer solchen Reihe, soll im Stabilitätsinteresse und um der gebotenen Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit der Rechtsfolge willen nicht ohne zwingenden Grund abgewichen werden (Hilger, Überlegungen zum Richterrecht, Festschrift für Larenz, 1973, 109, 115 f). Ein zwingender Anlaß, in den Kreis der versorgungsberechtigten Personen nach § 1 BVG auch die nur indirekt Geschädigten einzubeziehen, besteht nach dem zuvor Gesagten nicht. Bei dieser Rechtslage sind einer Rechtsprechungsänderung Grenzen gesetzt (BSGE 41, 70, 77 mwN).

Das Gesetz weist im Falle der Klägerin auch keine Lücke auf, die im Wege der Rechtsergänzung durch Analogie zu schließen wäre. Die Rechtsprechung zum Versorgungsanspruch des nasciturus (Leibesfrucht), auf die sich die Klägerin beruft, ist auf ihre Situation nicht übertragbar. Das BSG bejahte in diesen Fällen zunächst einen Versorgungsanspruch auch für solche Gesundheitsstörungen, die auf Schädigungen eines Embryos vor der Geburt zurückzuführen waren (BSGE 18, 55 = SozR Nr 64 zu § 1 BVG; vgl auch BVerfGE SozR Nr 35 zu § 539 RVO). Es ließ sich dabei von der Erwägung leiten, daß hier im Wege der Rechtsfindung eine Lücke im BVG zu schließen sei, weil der Gesetzgeber offenbar nicht bedacht habe, daß eine "unmittelbare Kriegseinwirkung" auch auf die Leibesfrucht stattfinden könne, so daß diese gleichfalls als "Opfer des Krieges" anzusehen sei. In Fortentwicklung dieser Rechtsprechung hat das BSG (BSGE 20, 41) ausgesprochen, daß auch das Kind anspruchsberechtigt ist, das erst nach dem schädigenden Ereignis, von dem die Mutter betroffen wurde, erzeugt worden ist und das nur deshalb krank zur Welt gekommen ist, weil die unerkannte Schädigungsfolge der Mutter auf das Kind im Mutterleib übertragen worden ist. In dieser Entscheidung hat das BSG zunächst seine frühere Rechtsprechung bestätigt, daß nach den §§ 1 ff BVG nur versorgungsberechtigt ist, wer selbst einen Schädigungstatbestand im Sinne dieser Vorschriften erfüllt (vgl BSGE 11, 234). Eine ausdehnende Auslegung hat es lediglich für diesen Sonderfall gerechtfertigt, weil das werdende Kind vor der Geburt mit der Mutter eine biologische Einheit bildet und weil es notwendigerweise Erkrankungen und anderen gesundheitlichen Gefährdungen der Mutter mit ausgesetzt ist, die das Kind im Mutterleib schädigen können.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich jedoch wesentlich von den eben beschriebenen Sonderfällen, die von dem Gedanken der notwendigen Mitschädigung des nasciturus geprägt sind, die also auf die Besonderheiten des werdenden menschlichen Lebens Rücksicht nehmen. Die Schädigung der Klägerin beruht im Gegensatz dazu nicht auf einem unmittelbaren Kriegsereignis. Von einer "natürlichen Einheit", wie sie zwischen Mutter und werdendem Kind besteht, kann bei Ehegatten nicht gesprochen werden. Die rechtliche Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft in § 1353 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) stellt eine solche Einheit nicht her. Zwar soll nicht verkannt werden, daß sich durch das Zusammenleben in einer Ehe das Ansteckungsrisiko nicht unerheblich erhöht (vgl dazu Hennies/Natho, Der medizinische Sachverständige 1964, 99). Dieser Gefahrenlage sind aber mehr oder weniger alle Ehegatten oder, noch weitergehend, alle in enger Gemeinschaft lebenden Personen ausgesetzt. Der Staat ist nicht gehalten, nur weil er die Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet, alle daraus resultierenden besonderen Schäden auszugleichen. Die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft in § 1353 Abs 1 BGB macht die Ansteckung eines Ehegatten also nicht zu einem vom Staat abgeforderten Sonderopfer für die Allgemeinheit, läßt ihn nicht selbst zum Kriegsopfer werden.

Art 6 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) verlangt keine andere Auslegung.

Art 6 Abs 1 GG gebietet als verbindliche Wertentscheidung den besonderen Schutz von Ehe und Familie (BVerfGE 6, 55, 71 f, ständige Rechtsprechung; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Art 6 RdNr 6). Der staatliche Schutz kann entweder im Unterlassen von Benachteiligungen durch Rechtsetzung oder Rechtsanwendung bestehen oder in der Begründung von Rechtsansprüchen auf Förderung durch staatliche Maßnahmen (BVerfGE 28, 324, 347; 32, 260, 267; 43, 108, 121; Maunz, aaO, RdNr 13).

Von einer Benachteiligung der Ehe könnte jedoch nur dann gesprochen werden, wenn Ehegatten gegenüber Ledigen benachteiligt würden (vgl BVerfGE 9, 237, 242). Hier verlangt die Klägerin aber eine Besserstellung gerade aus dem Gesichtspunkt der Ehe, so daß im vorliegenden Fall lediglich der Aspekt der Förderung herangezogen werden kann.

Aus dem in Art 6 Abs 1 GG enthaltenen Gebot positiver Förderung der Familie erwachsen jedoch keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen (BVerfG SozR 2600 § 60 Nr 1). Der Staat ist nicht gehalten, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen (BVerfGE 40, 131, 132). An dieser Stelle ist auf den spezifischen Rechtsgrund der Kriegsopferversorgung zurückzukommen; nämlich auf den Ausgleich für das vom Staat aufgenötigte Opfer an Gesundheit und Leben. Das Kriegsopferrecht ist kausal orientiert; dies bedeutet: von der Hinterbliebenenversorgung abgesehen, kann Entschädigung nur verlangen, wer sich bei seiner Schädigung in einer Gefahrensituation befunden hat, die in den Verantwortungsbereich der Allgemeinheit fällt. Dagegen ist die Ansteckungsgefahr bei Infektionskrankheiten ein allgemeines Lebensrisiko auch dann, wenn sie sich im familiären Zusammenleben signifikant erhöht verwirklicht. Der Schutz von Ehe und Familie gebietet nicht, in den Fällen, in denen die Erstinfektion auf einem ausgleichspflichtigen Tatbestand iS des § 1 BVG beruht, bei den Familienmitgliedern vom Prinzip der Kriegsschädigung abzuweichen und das Sonderopfer des Erstbetroffenen auf die Mitbetroffenen auszudehnen.

Desweiteren zwingt das Sozialstaatsprinzip zu keiner anderen Lösung. Zwar verpflichtet es die staatliche Gemeinschaft, in der Regel Lasten mitzutragen, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal, namentlich durch Eingriffe von außen, entstanden sind und mehr oder weniger zufällig nur einige Bürger oder bestimmte Gruppen getroffen haben (BVerfGE 27, 253, 283; vgl auch BVerfGE 38, 187, 198). Angesichts der Totalität des Zweiten Weltkrieges war der Gesetzgeber aber nicht gehalten, alle mit den Auswirkungen kriegerischen Geschehens zusammenhängenden Schäden auszugleichen. Die mit dem Merkmal der "Unmittelbarkeit" verfolgte Absicht, den Kreis der Versorgungsberechtigten in Grenzen zu halten (BSG Urteil vom 17. März 1982 - 9a/9 RV 41/80 -), ist nicht sachwidrig.

Da der Klägerin ein Versorgungsanspruch aus § 1 BVG nicht zusteht, ist ihre Revision unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 206

Breith. 1983, 709

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