Leitsatz (amtlich)

Versorgung nach dem BVG wird grundsätzlich nur dem unmittelbar Geschädigten gewährt (Anschluß an BSG 1960-01-15 11/10 RV 51/57 = BSGE 11, 234, 235).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine durch Geschlechtsverkehr unter Verlobten erfolgte Ansteckung begründet keinen Versorgungsanspruch des durch die Ansteckung Geschädigten.

2. Der Ehemann der Klägerin, der einen gesundheitlichen Schaden durch Übertragung einer schädigungsbedingten Krankheit der Klägerin, seiner damaligen Verlobten, erlitten hatte, gehört nicht zu den durch einen Schädigungstatbestand iS des BVG § 1 unmittelbar Geschädigten.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28, Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1966-12-28, § 5 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1953-08-07, Buchst. e Fassung: 1953-08-07

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Februar 1974 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin verfolgt als Rechtsnachfolgerin ihres während des Verwaltungsverfahrens am 28. Mai 1969 an einem Leberleiden verstorbenen Ehemannes Günter N (N.) dessen Anspruch auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) weiter. N. hatte im Oktober 1968 wegen chronischer Hepatitis einen Versorgungsantrag gestellt. Diese Krankheit führte er auf zwei Salvarsankuren zurück, die bei ihm im Jahre 1947 wegen einer Geschlechtskrankheit (Lues I) durchgeführt worden waren. N. gab ergänzend an, nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft im Juli 1947 habe er sich bei seiner damaligen Verlobten, seiner späteren Ehefrau - der jetzigen Klägerin -, infiziert. Erst nach seiner Erkrankung sei eine Lues II bei seiner Verlobten erkannt worden. Deren Erkrankung sei auf Vergewaltigungen durch russische Soldaten im Jahre 1945 zurückzuführen und später als Versorgungsleiden anerkannt worden.

Das Versorgungsamt München lehnte durch Bescheid vom 16. Januar 1970 den Antrag des N. auf Beschädigtenrente ab. Im Widerspruchsbescheid vom 14. April 1970 erklärte der Beklagte, der mittelbare Zusammenhang der tödlich verlaufenen Lebererkrankung des N. mit der als unmittelbare Kriegseinwirkung anerkannten venerischen Erkrankung der jetzigen Klägerin werde medizinisch nicht bestritten. Die deswegen bei N. eingeleitete Salvarsan-Behandlung habe einen sogenannten Serum-Ikterus verursacht. Nach dem BVG stehe jedoch mittelbar betroffenen Personen kein Versorgungsanspruch zu.

Das Sozialgericht (SG) München hat durch Urteil vom 15. Februar 1973 den Beklagten verurteilt, bei N. "Leberzirrhose nach venerischer Erkrankung" als Schädigungsfolge anzuerkennen und der Klägerin als Rechtsnachfolgerin für die Zeit vom 1. Oktober 1968 bis 31. Mai 1969 Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. zu gewähren. Das SG hat die Berufung zugelassen.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 21. Februar 1974 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es, grundsätzlich könne nur derjenige Versorgung nach dem BVG bekommen, der selbst eine Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 BVG erlitten habe. Mit Ausnahme weniger Sonderfälle habe das Bundessozialgericht (BSG) nicht den Grundsatz in Frage gestellt, daß anderen als den unmittelbar geschädigten Personen keine Versorgung zustehe, weil der Gesetzgeber bewußt davon Abstand genommen habe, den nur mittelbar geschädigten Personen einen Versorgungsanspruch zuzubilligen. Die Vergewaltigung der Klägerin durch Soldaten der Besatzungsmacht habe nur diese selbst betroffen, so daß N., als er sich 1947 an der Klägerin mit Lues infiziert habe, nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar durch diesen schädigenden Vorgang des Jahres 1945 betroffen worden sei. Daß die späteren Eheleute N. damals schon im Brautstand gelebt hätten, ändere daran nichts.

Die Klägerin rügt mit der - zugelassenen - Revision eine Verletzung der §§ 1 Abs. 1 und 2 Buchst. a, 5 Abs. 1 Buchst. d und e BVG. Sie trägt vor, ihr Ehemann müsse als "unmittelbar Geschädigter" angesehen werden, weil er nur deshalb an Lues erkrankt sei, weil sie selbst aufgrund des schädigenden Ereignisses bereits infiziert gewesen sei, davon aber keine Kenntnis gehabt habe. Diese Auffassung werde auch von Wilke in seinem Kommentar zum BVG, jedenfalls bei einer Ansteckung unter Eheleuten, vertreten. Daß sie mit ihrem späteren Ehemann im Zeitpunkt der Infektion noch nicht verheiratet, sondern erst verlobt gewesen sei, begründe keinen Unterschied. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das eine Begriffsbestimmung der Ehe selbst nicht kenne, fasse diese als die mit dem Eheschließungswillen eingegangene staatlich anerkannte dauernde Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau auf. Diese Voraussetzungen seien im Zeitpunkt der Infektion insoweit erfüllt gewesen, als die sofortige Eheschließung nur aus den in der Erkrankung des N. und der Klägerin liegenden Gründen unterblieben sei. Daß nach der Rückkehr des N. aus der Kriegsgefangenschaft eine dem familienrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis vergleichbare Lebensgemeinschaft eingegangen worden sei, werde dadurch bewiesen, daß N. trotz seiner Ansteckung durch die Klägerin diese im Jahre 1948 geheiratet habe, weil er sich als in der Verantwortung stehend gefühlt habe. Das BSG habe in den vom LSG zitierten Urteilen aufgezeigt, daß die notwendige Fortentwicklung ausfüllungsbedürftiger Normen unerläßlich sei, um die Substanz sozialer Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Eine ausdehnende Auslegung entspreche hier dem Sinngehalt des BVG.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 15. Februar 1973 als unbegründet zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Februar 1974 als unbegründet zurückzuweisen.

Er verweist auf die Entscheidung des BSG in Band 11 S. 234 und meint weiter, die Auffassung von Wilke führe zu einer nicht zu rechtfertigenden Ausweitung des geschützten Personenkreises, weil sie konsequenterweise auch auf das Verhältnis zwischen Verwandten, zumindest ersten Grades, ausgedehnt werden müsse.

Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

II

Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthafte Revision ist nicht begründet.

Nach § 1 Abs. 1 BVG ist versorgungsberechtigt, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Einer solchen Schädigung steht nach § 1 Abs. 2 Buchst. a BVG eine Schädigung gleich, die durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung herbeigeführt worden ist. Was unter einer unmittelbaren Kriegseinwirkung zu verstehen ist, wird ausschließlich in § 5 BVG definiert (vgl. BSG 2, 29). für das vorliegende Verfahren kann dahinstehen, ob der verstorbene Ehemann der Klägerin (N.) die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen insbesondere des § 5 Abs. 1 Buchst. d oder e BVG erfüllt, denn jedenfalls gehörte N. mit der hier geltend gemachten Krankheit nicht zu dem versorgungsrechtlich geschützten Personenkreis. Nach § 1 BVG ist nur versorgungsberechtigt, wer selbst, d.h. in seiner Person, einen Schädigungstatbestand im Sinne dieser Vorschrift erfüllt; Schädigungen, die bei anderen als den unmittelbar geschädigten Personen auftreten, begründen keinen Versorgungsanspruch (vgl. hierzu BSG 11, 234 mit zahlreichen Nachweisen). Das ergibt sich aus der geschichtlichen Entwicklung und dem Sinn und Zweck des Versorgungsrechts.

Nach § 1 des Reichversorgungsgesetzes (vom 12. Mai 1920, RGBl 989 - RVG -) erhielten frühere Angehörige der deutschen Wehrmacht und ihre Hinterbliebenen im Falle einer Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung. Das Reichversorgungsgericht (RVGer) hat hierzu entschieden (vgl. RVGer Bd. 11 S. 136), daß für Körperschäden "in der Person eines Dritten" Versorgung nicht gewährt werden kann und daß deshalb den Hinterbliebenen eines durch seinen ruhrkranken von der Front in die Heimat beurlaubten Sohn tödlich Angesteckten keine Versorgung zusteht. An dieser Rechtslage haben nach 1945 weder die in den süddeutschen Ländern ergangenen Körperbeschädigten-Leistungsgesetze (KBLG) noch die in der ehemaligen britischen Besatzungszone erlassene Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 (SVD) etwas geändert. Auch das BVG hat insoweit kein abweichendes Recht geschaffen (vgl. BSG 11, 234; 20, 41). Der anspruchsberechtigte Personenkreis ist lediglich dahin erweitert worden, daß nicht nur ehemalige Angehörige der Wehrmacht, sondern auch Zivilpersonen Versorgung erhalten können, wenn sie durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung verletzt worden sind. Im übrigen hat aber der Kreis der Anspruchsberechtigten durch § 1 BVG nicht geändert werden sollen. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber die Frage, ob anderen als den unmittelbar geschädigten Personen Versorgung zu gewähren ist, versehentlich übergangen habe und daß es sich deshalb um eine Lücke im Gesetz handele, die von der Rechtsprechung auszufüllen sei. Hätte der Gesetzgeber insoweit eine grundlegende Änderung des Versorgungsrechts beabsichtigt, dann hätte dies im Gesetz ausdrücklich gesagt werden müssen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 12. Oktober 1972 in BSG 35, 1). Von dieser Rechtsauffassung ist auch die bisherige Rechtsprechung des BSG ausgegangen. Der 11. Senat hat deshalb in seiner Entscheidung vom 15. Januar 1960 (BSG 11, 234) den Versorgungsanspruch eines Mannes abgelehnt, der mit Langentuberkulose von seinem Schwiegersohn angesteckt worden war, der sich dieses Leiden in der Gefangenschaft zugezogen hatte. Der 11. Senat hat dabei ausgesprochen, daß bei einer anderen Regelung der versorgungsberechtigte Personenkreis unangemessen und unübersehbar (Infektionskrankheiten) erweitert worden wäre und daß der Gesetzgeber diese Ausdehnung offenbar nicht gewollt habe. Der 2. (Unfall-)Senat des BSG hat einem Kinde, das beschädigt zur Welt gekommen war, weil seine Mutter im schwangeren Zustand einen Arbeitsunfall erlitten hatte, keine Unfallentschädigung zugesprochen, weil es nicht zu dem durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützten Personenkreis gehöre und für eine Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf die Leibesfrucht im Wege der Fortbildung des Rechts kein Raum sei (vgl. BSG 10, 97). Die gegen dieses Urteil geäußerte Kritik (vgl. Rohwer-Kahlmann in JuS 1961; 285 ff.) ging vor allem dahin, das BSG habe nicht beachtet, daß das ungeborene Kind mit seiner Mutter eine "biologische Einheit" bilde. Auch das LSG Rheinland-Pfalz ist in seinem Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht - BVerfG - (vgl. SozSich 1974, 153) der Auffassung, daß dieses "Naturphänomen" zu einer Erweiterung des Versicherungsschutzes zwinge (vgl. Wallau ebenda S. 137).

Für das Gebiet der Kriegsopferversorgung (KOV) hat der erkennende Senat am 24. Oktober 1962 entschieden (vgl. BSG 18, 55), daß Anspruch auf Versorgung auch für solche Gesundheitsstörungen besteht, die auf Schädigungen eines Embryos (Nasciturus) vor der Geburt zurückzuführen sind. Der Senat hat sich dabei von der Erwägung leiten lassen, daß hier im Wege der Rechtsfindung eine Lücke im BVG zu schließen ist, weil der Gesetzgeber offenbar nicht bedacht habe, daß eine unmittelbare Kriegseinwirkung auch auf die Leibesfrucht stattfinden könne, so daß diese gleichfalls als "Opfer des Krieges" anzusehen sei. Dieser Auffassung hat sich der 8. Senat des BSG in seinem Urteil vom 21. Juli 1964 - 8 RV 833/62 - angeschlossen. In Fortentwicklung dieser Rechtsprechung hat der 11. Senat ausgesprochen (Urteil vom 15. Oktober 1963 in BSG 20, 41), daß Anspruch auf Versorgung nach dem BVG auch ein Kind hat, das erst nach dem schädigenden Ereignis, von dem die Mutter betroffen wurde, erzeugt worden ist und das nur deshalb krank zur Welt gekommen ist, weil die Schädigungsfolge der Mutter, die dieser nicht bekannt war, auf das Kind im Mutterleib übertragen worden ist. In dieser Entscheidung hat der 11. Senat zunächst seine frühere Rechtsprechung bestätigt, daß nach den §§ 1 ff. BVG nur versorgungsberechtigt ist, wer selbst einen Schädigungstatbestand im Sinne dieser Vorschriften erfüllt (vgl. BSG 11, 234). Eine ausdehnende Auslegung hat er jedoch in diesem Sonderfall für gerechtfertigt gehalten, weil das werdende Kind vor der Geburt mit der Mutter eine biologische Einheit bildet und weil es notwendigerweise Erkrankungen und anderen gesundheitlichen Gefährdungen der Mutter mit ausgesetzt ist, die das Kind im Mutterleib schädigen können.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich wesentlich von den eben beschriebenen Sonderfällen, die von dem Gedanken der notwendigen Mitschädigung des Nasciturus geprägt sind. Nach den Feststellungen des LSG lag hier eine unmittelbare Schädigung (im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG), die auch als Versorgungsleiden anerkannt worden ist, allein bei der Klägerin vor. Diese war im Juli 1945 von russischen Soldaten vergewaltigt und dadurch mit einer zunächst unerkannt gebliebenen venerischen Erkrankung (Lues) infiziert worden. N. hat sich nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft im Juli 1947 durch Geschlechtsverkehr mit seiner damaligen Verlobten angesteckt. Die deswegen notwendig gewordene Salvarsan-Behandlung führte zu einer Serum-Hepatitis, die schließlich den Tod des N. verursacht hat. N. ist also nicht unmittelbar durch Kriegsereignisse, sondern mittelbar durch die Erkrankung der Klägerin geschädigt worden.

Von Wilke/Wunderlich (Kommentar zum BVG, 4. Aufl., S. 58) wird zwar die Auffassung vertreten, daß eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß Schädigungen, die sich in der Person eines Dritten auswirken, für diesen keinen Versorgungsanspruch begründen, für den Fall gelten muß, daß Ehemann und Ehefrau Geschlechtsverkehr pflegen, ohne Kenntnis von der Ansteckung der Frau zu haben (vgl. auch OVA Karlsruhe in Breithaupt 1951, 126). Abgesehen davon aber, daß ein rein subjektiver, innerer Vorgang und Zustand - nämlich die fehlende Kenntnis von der Infizierung der Frau - eine mittelbare nicht zu einer unmittelbaren Schädigung machen kann, waren N. und die Klägerin im Zeitpunkt der Ansteckung nicht verheiratet, sondern miteinander verlobt. Dabei kann dahinstehen, ob eine beabsichtigte Eheschließung im Juli 1944 durch Kriegsereignisse verhindert worden ist, denn jedenfalls ist eine sofortige Heirat nach der Rückkehr des N. aus der Kriegsgefangenschaft nicht wegen der Geschlechtskrankheit der Klägerin, sondern zunächst aus anderen Gründen unterblieben. Das Verlöbnis begründet zwar rechtliche Verpflichtungen eigener Art (vgl. §§ 1297 ff. BGB); anders als die Eheschließung verpflichtet es aber nicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 BGB) und insbesondere nicht zum Geschlechtsverkehr. Nach deutschem Recht kann aus einem Verlöbnis auch nicht auf Eingehung der Ehe bzw. auf Herstellung der ehelichen Gemeinschaft geklagt werden (§ 1297 BGB). Der spätere Ehemann der Klägerin ist also, wie das LSG zu Recht betont, keinesfalls zwangsläufig Kriegsopfer geworden. Der Versorgungsschutz kann auch nicht daraus hergeleitet werden, daß N. seine damalige Verlobte später geheiratet hat. Der Versorgungsschutz würde alsdann von dem freien Entschluß der Verlobten, ob sie die Ehe miteinander eingehen wollen oder nicht, abhängen; er könnte auch nicht auf Verlobte beschränkt werden, sondern müßte jedenfalls auf nahe Familienangehörige und andere Personen, die kraft Gesetzes zu einem engen Zusammenleben, z.B. in der Schule, verpflichtet sind, und auf Infektionskrankheiten aller Art ausgedehnt werden (vgl. Hennies/Natho, Der Medizinische Sachverständige 1964, S. 97 ff.). Dieser "Multiplikationsfaktor" wäre so groß, daß der vom Gesetzgeber gezogene Rahmen des versorgungsberechtigten Personenkreises in vielfältiger Weise erweitert werden müßte.

Die Klägerin vermag sich auch nicht auf verfassungsrechtliche Grundnormen zu stützen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG stehen eheähnliche Gemeinschaften - und dazu gehört auch die voreheliche Gemeinschaft - nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz - GG - (vgl. BVerfG 9, 237 ff.). Im übrigen hat auch die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen ihre Grenzen (vgl. BVerfG 8, 71; 33, 83); sie darf nicht in Widerspruch treten zu dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Dabei ist insbesondere zu beachten, daß der Gesetzgeber auf dem Gebiet der Leistungsgewährung größere Freiheiten genießt als bei staatlichen Eingriffen (vgl. BVerfG in SozR GG Nr. 1 zu Art. 80). Wenn das BVG eine Versorgung nur mittelbar geschädigter Personen - mit Ausnahme der im Gesetz selbst geregelten Fälle (vgl. z.B. die Hinterbliebenenentschädigung) - nicht zuläßt, obwohl dem Gesetzgeber die Möglichkeit einer nur mittelbaren Schädigung eines lebenden Menschen durch Infektion von einer unmittelbar geschädigten Person und die höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage (vgl. BVerwG 11, 136) durchaus bekannt waren, dann muß daraus der Schluß gezogen werden, daß eine ausdehnende Auslegung im Sinne der Klägerin nicht in Betracht kommt. Das LSG hat also zutreffend das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin ist sonach unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649776

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